Geschichten:Das Banner brennt
oder: Roter Buhurt oder Sankt Erlgard die Blutige
Ja, sie hatte einen Brummschädel. Eigentlich pulste noch immer Alkohol durch ihre Adern. Doch die Sauferei hatte ihr nicht geholfen – weder am Vorabend noch half sie jetzt: In Maya kochte die Wut, die blanke Wut, die rote Wut. In manchen Momenten stolperte ihr der Atem, so wütend war sie. Hätte Blakharaz seine Aufmerksamkeit in diesen Stunden auf das Erlgardsfeld gelenkt, dann hätte er viele Willige gefunden, in deren Herzen Rache loderte.
Rache für Lechmins Kind.
Rache für Lechmin.
Rache für Lechmins Vater Danos. Ja, Ritter Danos. Denn dass dieser Mann den Reichsforster Rittern genommen worden war, einfach so, und ersetzt durch den schlaffen Drego und seine selbstherrliche Bande, das schrie seit langem schon nach Rache. Jeder hätte nur zu gerne einen Teil von sich gegeben, wenn sich aus diesen der König der Ritter wieder heile machen ließe. Aber: Sie konnten nichts tun. Nichts. Nur den Wolfsköpfen zusehen, wie sie Danos‘ Erbe verspielten.
Aber nun: Sie konnten sich dreifach rächen an den Hartsteener Maulhelden. Den Spöttern. Den Kindsmördern. Den Unritterlichen. Den Verrätern am Gastrecht! Dreifach Rache!
Ob sie schon daran gedacht hatte, als sie morgens zum Buhurt gekommen war? Nein. Die schnapsseligen Heldentaten vom Vorabend waren nur gegrölte Gewaltphantasien gewesen. Sie hatte nicht vorgehabt, „dem Hundsfott Odilbert den Arsch bis zur Halsbeuge aufzureißen“. Sie hatte dem „großspurigen Schwingenfelser“ nicht „die eigenen Eier zu fressen“ geben wollen. Sie war auch jetzt nicht der Ansicht, dass „alle Hartsteener bettelsüchtige Zwangsverräter wären, die vor Mendena auf Danos’ Leichnam gespuckt“ hätten, wusste sie doch genau, welche Entbehrungen etwa Hadrumir für die Reliquien des Heiligen Danos auf sich genommen hatte.
Aber jetzt und hier – als Ritterin Selinde die Knappen aufrief, auf das Feld zu stürmen, um den Buhurt zu drehen und die Hartsteener aus den Sätteln zu kippen – ja, da hatte sie Mord gedacht und Rot gesehen, war mit Jesmina und Debrek losgestürmt, hatte mit verbotenen Lanzen den erstbesten Hartsteener aus dem Sattel gekippt und schrill gelacht, als das Ross des Ritters Visage zertreten hatte. Gold und Rot schräg geteiltes Schild. Wer das war, war einerlei. Er gehörte zur „Burg“, zu den Gegnern im Buhurt. Und er sollte büßen.
Der Buhurt war von Anfang an heftig gewesen. Zwar war es Brauch, ungerüstet zum Treffen zu reiten und nur Helm und Schild zu tragen sowie mit dem Schwert nur zu prügeln, nicht zu schlagen. Aber die Schwerter der Reichsforster waren scharf und sie wurden vom ersten Moment an geschwungen, um zu verletzen. Heroldin Selinde hatte kaum zu Ende gesprochen, als auch schon die Stadtluringer Ritter um Luring-Prestelberg vorstürmten und den Schlachtruf ausgaben, der die Reichsforster in Wallung und die Hartsteener in Erschrecken versetzte: „Rache für Lechmin!“ Manch verstecktes Kettenhemd wurde sichtbar, als die Reichsforster Ritter weit ausholten, sich in den Steigbügeln aufstellten und ihre Hiebe auf die Hartsteener niedergehen ließen. Der Keil der Reiter zielte sogleich auf das Banner der „Burg“, das Odilbert von Hartsteen in der Hand hielt, und hätten ein Stolzenfurter und ein Schallenberger den Erben ihres Grafen nicht buchstäblich mit ihrem Leben geschützt – Banner und Grafensohn wären gefallen.
Die Härte und Wut der Reichsforster in der Partei des „Feldes“ traf die „Burg“ völlig unvorbereitet. Mehr noch überrumpelte die Gäste, wie unritterlich die Gastgeber sich in Rage brüllten und alle Regeln des ritterlichen Buhurts verletzten. Zwei packten etwa den letzten Schwertvater Odilberts, den Ritter Voltan von Schwingenfels, während ein Dritter – Ritter Moribert – ihm mit dem Streitkolben den Schädel einschlug. Dann strömten die Knappen aufs Feld, bewaffnet mit Lanzen und Piken, um die Ritter von unten aus den Sätteln zu hebeln wie in weiland Pervals Tagen. Ein unrühmliches Schauspiel, das ausgerechnet in Lechmins Namen, in Danos‘ Namen sich abspielte.
Grauen lähmte die Zuschauer, Grauen lähmte die Heroldin, Grauen lähmte Graf Drego, der das Banner des „Feldes“ hielt und wie verloren hinter seinen Rittern stand und erschrocken stammelte. Vor ihm massakrierten sich der Dorianter Alrik und ein Ibelsteiner Ritter gegenseitig, blutüberströmt. Am linken Rand schleppte sich eine Gauternburgerin in die Sicherheit der Zuschauerränge – helfende Hände zogen sie in die zweite Reihe. Direkt dahinter verröchelte die wohlbekannte Altjachterin ihr langes Leben mit eingedrücktem Brustkorb. Pferdehufe schossen in die Höhe, zertraten Knie, Hände und Gesichter. Von oben dengelten Schwerter und Schilde. Das Scheppern und Wiehern füllte den Himmel und wurde überschrien vom Gebrüll der Menschen.
Die Knappin Maya fühlte sich wie rohes Fleisch in einem kochenden Kessel. Ein innerer Schleier über den Augen trübte ihren Blick, als sie gemeinsam mit Ritter Reto den erschlagenen Sichelauer Drakhart rächen wollte. Ein Hartsteener Steinfelde stand vor ihm, schon jetzt fehlten ihm die Zähne, der weiße Schwan seines Wappens war tiefrot. Maya senkte die Lanze und wollte sie dem Ritter in das Auge stoßen, als der Schleier von ihren Augen gerissen wurde.
Das Banner brannte!
Das Banner des „Feldes“ brannte!
Nicht Drego trug es mehr, sondern ein alter Mann, gebeugt in schäbiger Kutte. Er richtete sich auf und brüllte „Aaabsitzen! Formation! Aaabsitzen!“
Wie oft hatten die Luringer diese Stimme diesen Befehl rufen hören? So oft, dass sie ihn hörten. Die zerschlissene Joppe rutschte von des langen Odos Schultern. Der alte Zuchtmeister brüllte aus tiefer Kehle die alten Befehle: „Foormation! Haalt ein!“ Neben ihm stützte mit leuengleicher Strahlkraft Rudjahne von Sturmfels, die Rondraäbtissin das brennende Banner, dieweil Baron Nimmgalf den Grafen hielt, dem Tränen flossen.
Maya spürte etwas, einen Hauch, ein Wehen. Die Göttin? Golgari? Blakharaz? Sie erschauerte und blickte über das Schlachtfeld.
Denn das war es – ein Schlachtfeld. Kein Buhurt. Stöhnende Männer und Frauen lagen im Blut, Rösser trabten reiterlos über verbeulte Schilde, verbogene Schwerter, eingedellte Helme, Kämpfende erwachten aus dem Blutrausch. Stille senkte sich für kurz auf das Feld, über dem des langen Odos Stimme verhallte wie des Feuers Rauch verwehte.
Drei Dinge geschahen gleichzeitig:
Die Hartstener Ritter sammelten sich um ihr Banner, schnell und gewappnet. „Aufbruch“ und „Abreise“ – „Sofort.“
Der Luringer Landvogt Zwillingstein, von dessen Schwert das Blut troff, zeigte auf den langen Odo, grinste mit nur einem Mundwinkel und befahl seinen Leuten: „Ergreift ihn. Er hat sich dem Gesetz entzogen.“
Und drittens fasste Knappe Adhemar - wo war der hergekommen? War der nicht mit Odo vor vielen Monden untergetaucht? - seine Base Maya an der Hand und flehte: „Versteck mich. Jetzt haben sie Odo.“
Keine halbe Stunde später fuhren die Hartsteener Ritter auf freier Straße, führten ihre Gefallenen mit. Das Luringer Turnier war das blutigste in der Geschichte. Das ehrloseste. Das folgenschwerste. Noch hatte es keiner ausgesprochen, aber es lag auf der Hand: Das Band zwischen den alten Häusern Hartsteen und Luring war zerrissen. Die Fehde würde folgen.
Tote
Alrik Herdan von Doriant
Drakhardt Gerion von Sichelaue
Firumir von Ibelstein
Haldan von Stolzenfurt
Kedio Melcher von Gneppeldotz
Selfina von Altjachtern
Ulfwin von Schallenberg-Zoltheim
Voltan Lechmar von Schwingenfels
Wibert von Allingen
Versehrte
Adhemar von Leuenmoos
Alrik Ulmenbert von Sturmfels
Alwine von Hirschenrode
Ismene von Gauternburg
Praioswin von Steinfelde
Raulward Sigwulf von Schwarztannen
Rondria von Greyfentrutz
Rondriana von Schwingenfels
Wulfger von Schallenberg
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