Geschichten:Das Bein des Burggrafen - Teil 1

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Dramatis personae:
- Oldebor von Weyringhaus, Burggraf der Raulsmark
- Merisa von Weyringhaus-Rabenmund, Gattin Oldebors


Villa Geldana, Peraine 1024 BF

"Allmählich beschleicht mich ein mulmiges Gefühl", vertraute Oldebor von Weyringhaus beim abendlichen Beisammensein seiner geliebten Gattin Merisa an. "Mir scheint, dass mein rechtes Bein mir nicht mehr richtig gehorchen will. Als ich im letzten Sommer mit der darpatischen Fürstin zur Jagd ausreiten wollte, hat der Fuß derart gezuckt, dass ich ihn beim besten Willen nicht in den Steigbügel bekommen habe ..."
"Ja, davon hattest du erzählt", pflichtete ihm seine Ehefrau bei. "Aber war das nicht bloß ein Krampf?"
"Tja, es ging von selbst wieder vorbei - als alle anderen los geritten waren. Ich hätte dem ja auch keine allzu große Bedeutung beigemessen ... wenn es nicht ein paar Monde später wieder passiert wäre. Und heute schon wieder."
"Du hast schon recht, es ist merkwürdig", sinnierte Merisa. "Denn eigentlich warst du doch auf dem Wege der Besserung, nicht wahr? Ich war doch selbst so angenehm überrascht - fast zwanzig Götterläufe hast du über dein steifes Bein geklagt, seit dieser Oger ..." - die bloße Vorstellung ließ die Burggräfin erschauern. Ihr Gatte vollendete den Satz: "... mit seiner Keule mein Knie gestreichelt hat." Merisa sah von ihrer Stickerei auf und warf ihrem Mann ein amüsiertes Lächeln zu - natürlich hatte sie erkannt, dass er zu ihrer Schonung eine freundlichere Formulierung für "zertrümmert" gewählt hatte. Umstandslos setzte sie fort: "Und seit knapp einem Jahr ist das Bein wieder in Ordnung - du hast mich bei den letzten Bällen sogar wieder auf den Tanzboden geführt. Seit du von dieser Grafenwahl in Bredenhag zurückkamst, ging es dir doch so viel besser."
"Ja", antwortete der Burggraf der Raulsmark, wenn auch vielleicht einen Herzschlag zu spät. "Die gute albernische Luft ..."

Als seine Gattin schon längst zu Bett gegangen war, saß Oldebor noch immer sinnierend in seiner Studierstube. Er hatte beinahe verdrängt, was damals am Rande des Baihirs zu Bredenhag wirklich geschehen war. Eine solche Vergesslichkeit entsprach mindestens in zweifacher Hinsicht der menschlichen Natur. Zum einen ist Gesundheit für einen Gesunden etwas derart Selbstverständliches, dass auch die Erinnerung an eine Zeit der Krankheit und des Leidens rasch verblasst. Zum anderen aber verdankte der Burggraf - zumindest zum Teil - seine Gesundung einer Person, die er am liebsten ganz und gar aus seiner Erinnerung gestrichen hätte. Sein damaliger Hofmagier nämlich hatte den Gedanken gehabt. Wie hieß er noch gleich? Ach einerlei - es war ohnehin nicht der richtige Name; ein paar Monate später hatte sich der angebliche Heilzauberer aus Donnerbach als schändlicher Spion aus dem Horasreich entpuppt und war bei Nacht und Nebel geflohen.
Was auch immer dieser Agent aber mit seinem damaligen Vorschlag im Schilde geführt haben mochte - es hatte auch sein Gutes gehabt. Denn zur großen Überraschung des garetischen Burggrafen waren auf diesem Baihir zu Bredenhag - auf dem, Praios hilf!, ein Grafentitel durch Wahl zu vergeben war - auch die Feen selbst zu Gast, von denen in Albernia nicht nur die Sagen und Märchen künden. Dieser Heilmagus wusste, dass die alte Kriegsverletzung Oldebors keiner Heilung durch derische Mittel und menschliche Zauberkraft mehr zugänglich war - und so kam er auf den Gedanken, die Feen um Rat und Hilfe anzugehen. Und wahrhaftig, die Feen waren gerne bereit, ihre fremdartige Magie zu Gunsten des Burggrafen einzusetzen: zunächst ein stechender Schmerz, doch dann fügten sich Knochen und Sehnen in seinem Körper wie von selbst wieder so zusammen, wie sie vor langen Jahren - vor der Schlacht - gewesen waren. Eine Gegenleistung, eine Bezahlung hatten die Feen nicht verlangt.
Oder etwa doch?
Der Burggraf grübelte. Wen könnte man um Rat fragen? Seine geliebte Frau würde ihm hier nicht weiterhelfen können. Seine Schwiegertochter Rhodena war zwar in den Wegen der Diplomatie sehr bewandert, aber in der Magie völlig unerfahren. Die strengen Weißmagier der Garether Akademie kamen nicht im Entferntesten in Betracht. Irgendwelche anderen Zauberer oder Heiler - ha, da würde sich das Volk wohl das Maul zerreißen, wenn Seine Edelhochgeboren in der Gegenwart solcher möglicherweise zwielichtiger Gestalten gesehen würde.
Zauberkundig und von Stand, das wäre die rechte Mischung - und zugleich nach außen hin unverfänglich. Damit grenzte sich der Kreis der in Frage kommenden Personen schon gehörig ein. Racalla von Horsen-Rabenmund? Zu beschäftigt. Allechandriel Quellentanz, die Gräfin zu Waldstein? Zu weit weg, und wahrscheinlich ohnehin wieder auf "Jagdausflug" im Reichsforst. Der Name "Naheniel", der Vorgängerin im Grafenamt, schwebte durch den Geist des Burggrafen. Da plötzlich kam ihm der rettende Gedanke! Die Lösung befand sich fast vor seiner Nase - in Roßkuppel, keine halbe Stunde Ritt von seinem eigenen Stammsitz Gut Weyring entfernt. Der Junker Balrik von Keres hatte dort sein kaiserliches Lehen, das aus der Raulsmark herausgelöst worden war. Und dieser Balrik war vermählt mit einer Elfe, einer Waldelfe, deren Name in Oldebors Ohren ganz genauso klang wie der Name der früheren Gräfin - auch wenn für feine Elfenohren vermutlich Welten zwischen "Naheniel" und "Nahéniel" lagen. "Ich werde Meister Wiesenbach eine Einladung diktieren", sagte der Burggraf zufrieden zu sich selbst. "Gleich morgen früh."



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Texte der Hauptreihe:
K1. Teil 1
K2. Teil 2
K3. Teil 3
K4. Teil 4
Per 1024 BF
Teil 1


Kapitel 1

Teil 2
Autor: Oldebor