Geschichten:Das Einhorn im Walde – Prolog
Das Einhorn im Walde – Prolog
Gareth, Stadtteil Meilersgrund, 26. Rondra 1037 BF
»Vorbei... Jetzt ist es also vorbei...«
Larena blickte nicht auf, das beklommene Schlucken Irolds spürte sie auch so. Sie spürte den Kloß im Hals selber.
»Jaja, vorbei« lamentierte eine andere Stimme in bei age fröhlichen Tonfall. »Vorbei, vorbei...«
Larena schlug mit der flachen Hand an ihre Seite. »Sei still, Fünkchen, es ist schon schlimm genug.«
»Ja...« kam es beleidigt aus der Ledertasche, die sie rechts an ihrem Gürtel trug. »Mach mal den Umhang zurück, ich kann nix sehen!«
»Nein, Du bleibst jetzt da drin! Sonst richtest Du nur wieder Unheil an!« zischte sie. »Oder willst Du, dass wir so enden wie er?«
»Ja. Ich meine natürlich - nein«, kam es aus der Tasche zurück.
»Still jetzt«, murmelte Irold. »Lasst uns verschwinden. Ich ertrage die johlende Menge nicht länger.« Er zog die Kapuze noch tiefer ins Gesicht, so dass Larena sich fragte, ob er überhaupt noch etwas sehen konnte. Dennoch folgte sie seinem Beispiel. Mühsam drängten sie sich durch das Volk, und Larena war heilfroh, das Fünkchen das Maul hielt. Die junge Meckerdrachin wäre nicht das erste Mal kurz davor gewesen, sie in Schwierigkeiten zu bringen, doch im Gegensatz zu sonst schien sie die Gefahr endlich einmal zu begreifen - denn es möchte durchaus um Leben und Tod gehen, wie Dartan gerade am eigenen Leibe hatte erleben müssen. Nun hatte er es hinter sich, und so traurig es auch war: er würde seinen Platz bei den Göttern finden, daran konnte auch kein derisches Verbot der Nanduskirche und ihrer Anhänger etwas ändern.
»He, ihr da, passt gefälligst auf!« Die Stimme hallte harsch hinter ihnen, eisenbeschlagene Hufe trommelten auf das Pflaster. Larena sprang zur Seite, Irold mit sich ziehend; der Reiter preschte an ihnen vorbei und schüttelte drohend die Faust.
»Eitler Fatzke«, murmelte Irold.
»Vater kann ihn auch nicht leiden«, entgegnete sie.
»Kennst Du ihn?« Er sah seine Schülerin fragend an.
»Kennen ist zuviel gesagt. Ich kenne das Gesicht vom Sehen. Balrik von Keres, Reichsritter. Vater sagt, er sei einer von uns. Über seine Großmutter oder so.«
Irold war irritiert. »Eine von uns?«
Larena überwand sich zu einem Grinsen. »Nein, nicht von uns. Es heißt, sie war eine Streitzig, wie ich.«
»Ach so. Aber Keres - war er nicht derjenige, der Dartan in den Heerbann berufen hat? Hätte er sich nicht für ihn einsetzen können? Ich verstehe das alles nicht mehr; es wird mir einfach zuviel.«
»Jaja, zuviel. Mir ist das auch zuviel«, plapperte Fünkchen und verstummte, als Larena sie drohend anschaute.
Schließlich erreichten sie die Herberge, in der sie seit Wochen schon ihren Unterschlupf hatten. Es war inzwischen später Nachmittag, und da sie zur Mittagsstunde nichts gegessen hatten und trotz der traurigen Ereignisse der Hunger ihre Eingeweide zwickte, blieben sie in der Gaststube und nahmen ein frühes Abendmahl zu sich. Entsprechend der Tageszeit war es nicht allzu voll, und sie konnten sich ungestört weiter unterhalten. Das Essen war einfach und karg; Brot, Käse, etwas Speck. Dennoch bekam Irold kaum einen Bissen herunter.
»Irgendwie ist mir der Tag auf den Magen geschlagen«, sagte Irold mehr zu sich selbst und schon den Teller von sich fort.
»Mir nicht«, konstatierte Fünkchen. Sie hockte zwischen den beiden auf der Bank und war im schummrigen Licht des Gastraums kaum zu erkennen.
Larena lächelte, nahm ein Stück Speck von Irolds Teller und hielt es der kleinen Drachin hin, die sofort zuschnappte und den Bissen leise schmatzend verschlang.
Irold bemerkte es kaum. »Wir sollten fortgehen von hier«, murmelte er.
»Wohin?« fragte sie.
»Irgendwo hin, wo es sicherer ist als hier. In Gareth sollten wir nicht bleiben.«
»Wohin? Irgendwo hin! Überall ist es schöner als hier; hier sind wir eh lange genug gewesen«, plapperte Fünkchen zwischen ihnen.
Larenas Augen blitzten auf. »Lass uns nach Hirschfurt gehen, Irold. Das ist weit genug weg, und es ist eine Reichsstadt. Dort sollten wir sicher genug sein, zumindest fürs erste, oder etwa nicht?«
»Hirschfurt? Ich weiß nich recht...« Ihr Lehrer zuckte mit den Schultern. »Wobei: Vielleicht hast du recht. Dann haben wir wenigstens ein Ziel und können in Euhe weitersehen - und Abstand zu all dem hier zwischen uns bringen.«
›Und ich kann Vater wieder sehen‹, dachte sie still. ›Das habe ich schon viel zu lange nicht getan.‹
Am nächsten Morgen brachen sie auf. Sie hinterließ Lares eine Nachricht, da er sie bestimmt suchen würde, und verließen die Kaiserstadt, noch bevor sich die Straßen richtig füllten. Mit gemischten Gefühlen ließen der Nandusgeweihte und seine Novizin Gareth hinter sich, ohne zurückzublicken. Nur Fünkchen machte das alles nichts aus – für die war die Reise nur ein neues, großes Abenteuer.
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Ankunft und Wiedersehen | ▻ |