Geschichten:Das Hügelländer Rennbanner in Garetien - Abschied und Willkommen
Burg Hutt, Tsa 1043 BF
Das Hufgetrappel der Pferde polterte erst über die heruntergelassene Zugbrücke und hallte dann von den dicken Mauern der Torhalle wider. Bevor die mächtigen Flügel des Grafentores wieder geschlossen wurden, lenkte Josmene von Treublatt als eine der letzten ihr Ross in den Kapellenhof, wo sie jemand von der Seite anrief: „Nanu, Frau Josmene, Ihr seid zurück? Ich dachte, Ihr konntet es nicht erwarten, wieder nach Hause zu kommen.“
Die Ritterin wandte den Kopf und entdeckte Praioswald von Steinfelde, der auf seine beiden Krücken gestützt im Portal zur Praioskapelle stand. Sie hatte den einbeinigen Sänger zum ersten Mal 1042 BF während der Grafenhochzeit auf Grauensee getroffen, wo er die älteren Knappen am Seeufer bis zum Morgengrauen mit manch spöttischem Lied unterhalten hatte, unter anderem auch mit einer Strophe seines Hochzeitsliedes, die nicht im großen Festsaal erklungen war.
Als solch ein Blum’ erscheinst Du mir. / Ich wag’ es kaum zu hoffen,
Dass solch ein Mond auch ich Dir wär / und Dein Blüt’ stünd’ mir offen.
Die langen Winterabende in der Halle hatten über geteilten Spottversen und selbstironischen Witzeleien bei Dünnbier und Grütze eine Art kameradschaftlicher Verbundenheit entstehen lassen. Als das Hügelländer Rennbanner die Reise zurück in heimische Koscher Gefilde antreten sollte, hatten sowohl Josmene als auch Praioswald das bedauert.
Die Ritterin hielt an und antwortete dem Hartsteener in Erinnerung an den Abschied am Morgen: „Und Ihr wolltet Euch doch aufmachen, mich im Kosch zu besuchen. Warum seid Ihr also immer noch hier, wo doch klar ist, dass man mit nur einem Bein doppelt so lange für die Strecke braucht.“
„Wieso, ich bin doch schon im äußeren Burghof. Das ist genug Strecke für einen Tag“, konterte der Sänger mit einem schiefen Grinsen. Doch als er Josmenes von einem Armbrustbolzen zerbeulten Harnisch, und den blutgetränkten Lappen an ihrem rechten Unterarm entdeckte, wurde er ernst. „Was ist passiert?“
„Wir trafen hinter Dornheim auf einen Schlunder Haufen. Es hat einen ziemlichen Kampf mit etlichen Toten gegeben, bevor wir sie in die Flucht schlagen konnten“, berichtete die junge Ritterin, wobei sich Trauer in ihre Stimme mischte. „Auf unserer Seite ist Frau Cella von Salzmarken gefallen und Herr Eulrich zu Zwietrutz böse verwundet worden. Es wird Zeit brauchen, bis er wieder in den Sattel steigen kann.“
„Und Gräfin Niope?“, erkundigte sich Praioswald ehrlich besorgt, doch die Koscherin konnte ihn beruhigen: „Sie ist wohlauf und bereits jenseits der Grenze zur Mark Rommilys. Das Rennbanner hat sich geteilt. Frau Firuna von Salzmarken-See wird die Gräfin zusammen mit Herrn Halmar von Sindelsaum und Frau Lorine von Eichstein sicher weiter gen Kosch geleiten. Arn vom Hochfeld und ich bleiben hier und unterstützen mit unseren verbliebenen Streitern weiter Graf Odilbert – jetzt, wo er seine Gemahlin erneut entbehren muss.“
„Da hättet Ihr aber in Bertolfshufen nach Süden abbiegen müssen.“
„Ich weiß, aber die Versorgung der Verwundeten geht erst einmal vor. Und für mein Teil ist heute genug gekämpft...“, erschöpft ließ sich Josmene aus dem Sattel gleiten, wobei sie das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzog. Auch wenn sie keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hatte, so würden die davongetragenen Blutergüsse und der Schnitt am Arm sie noch einige Tage an den heutigen Kampf erinnern.
„Na dann, willkommen!“, deutete Praioswald eine Verbeugung an, bevor er wieder in sein übliches Spötteln verfiel; „Ihr werdet feststellen, dass jetzt auf Burg Hutt viel mehr Platz ist, wo all die Ritter und ihr Gefolge ausgezogen sind, die Feinde Hartsteens in die Natter zu jagen – zumindest, bis sie sich die nächste blutige Nase in dieser Fehde holen. Der Einfachheit halber bezieht mit Euren Leuten euer altes Quartier, ich werde Euch etwas zur Stärkung bringen lassen.“
„Ja bitte. Ich wäre für Angbarer Zwergenbock und Hammelkeule mit Tüften in Knoblauchtunke“, witzelte Josmene im Bewusstsein darüber, dass Schmalhans auch an der Rittertafel auf Burg Hutt über den Winter Stammgast war.
„Viel besser: ungepfeffertes Rübenmus und Kräuterbier.“
„Pfff. Aber doch wenigstens Apfelkompott?“
Der Hartsteener winkte gespielt empört ab: „Nachtisch macht nur träge.“
Unwillkürlich musste Josmene von Treublatt auflachen, auch wenn sie das sogleich bereute, als der Schmerz erneut durch ihre Glieder fuhr. Trotz allem: Es hätte sie heute wahrlich schlechter treffen können.