Geschichten:Das Kaninchen und die Schlange

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Schon am Vormittag des nächsten Tages machte sich Siegerain daran, seinen Trupp zusammenzustellen, denn natürlich wollte er dem Heermeister schon deutlich vor Ablauf der gesetzten Frist die Namen der für diese Mission Ausgewählten präsentieren. Zwei verlässliche Schreiber und vier geeignete Soldaten als Eskorte waren schnell gefunden. Ansonsten hatte er sich bisher lediglich auf Yanda von Gerben, die Kommandantin der Sonderflottille, als weiteres Mitglied festlegen können. Zum einen, weil die Versorgung des Heeres später auch über die Flüsse erfolgen sollte und ihre fachliche Expertise daher sehr wertvoll sein dürfte, zum anderen, da Yanda keine Gefahr für den Oberst darstellte. Selbst wenn sie sich über die Maßen bei den anstehenden Verhandlungen hervortäte, brächte ihr dies vielleicht Pluspunkte bei der Flottenführung, nicht aber beim Heermeister ein, auf den es Siegerain ankam. Und ginge wider Erwarten alles schief, so gäbe sie einen guten Sündenbock gegenüber Zivko ab, eben weil sie nicht dem Heer angehörte und dessen Ruf bei einem 'Versagen' somit nicht schmälern könnte.
Noch einige andere Namen gingen dem Kommandeur des Bombardenregiments durch den Kopf, wurden aber von ihm zumindest vorerst rasch wieder verworfen. Zwar gab es im Heer durchaus eine Reihe von Offizieren, die für die anstehende Aufgabe zweifelsohne sehr gut geeignet wären, doch bestünde bei deren Benennung die Gefahr, dass sie im Erfolgsfalle dem Oberst den Ruhm streitig machten, umgekehrt sich jedoch im Falle eines Scheiterns vermutlich nicht so einfach den Schwarzen Alrik dafür zuschieben ließen.
Ein Klopfen an der Tür riss Siegerain jäh aus seinen Gedanken.

"Herein!"

Eine junge Frau betrat das Arbeitszimmer, verbeugte sich kurz und sprach:
"Die Zwölfe zum Gruße, Herr von Bregelsaum-Berg. Ich bin Nedime Eorcaïdos von Aimar-Gor, Knappin des Herrn Rukus von Rabicum. Dessen Vater, seine hochgeborene Exzellenz Zordan von Rabicum, hat mich gesandt, um Euch in seinem Namen eine Einladung zu einem gemeinsamen Abendessen in seiner Residenz auszusprechen. Er wäre auf das höchste erfreut, Euch dort zur Tsastunde willkommen heißen zu dürfen. Selbstverständlich gilt diese Einladung auch für Eure werte Frau Gemahlin."

"Die ist leider unpässlich.", antwortete Siegerain wie mit der Armbrust geschossen, noch bevor er sich über die Hintergründe der Einladung konkrete Gedanken machen konnte. "Ihr könnt dem geschätzten Seneschall mitteilen, dass ich mich auf das höchste geehrt fühle und seine Einladung selbstverständlich gerne annehme."

"Ich werde es ihm umgehend ausrichten. Den Zwölfen befohlen."

Wieder alleine in seinem Zimmer, begann der Oberst fieberhaft zu überlegen, was der nach dem Markgrafen mächtigste Mann der Provinz wohl von ihm wollen könnte – und das so kurzfristig. Nach einer unverbindlichen Plauderei bei einem guten Essen stand ihm sicherlich nicht der Sinn, zumindest dessen war sich Siegerain gewiss. Aber auch hier halfen keine Spekulationen sondern lediglich Warten. Doch eine Sache konnte – und musste – der Offizier schon jetzt erledigen.
"Ordonannz!"

Wenige Augenblicke später stand eine Korporalin mittleren Alters in der Tür und nahm Haltung an.
"Herr Oberst haben befohlen?"

Der Angesprochene stutzte kurz.
"Wo ist denn Voltan, der sonst diese Funktion ausübt?"

"In einer Arrestzelle. Nachdem er befehlsgemäß die Gattin des Herrn Oberst über den Ausfall des gemeinsamen Mittagessens in Kenntnis gesetzt hatte, kehrte er in eine Schänke ein, betrank sich und verhielt sich auch sonst höchst ungebührlich. Leutnant von Eckelstor will ihn, wie ich hörte, in die Zacken strafversetzen lassen."

"Das wird nicht nötig sein. Drei Tage Arrest genügen."
Siegerain konnte einfach nicht anders, als den Mann zu bedauern und Milde walten zu lassen.
"Ihr werdet gleich meine Gattin aufsuchen und sie darüber informieren, dass ich aufgrund einer anderweitigen dringenden Verpflichtung nicht mit ihr zu Abend essen werde. Das wäre dann alles. Weggetreten."
Der Vorgesetzte der Frau konnte sehen, dass diese ein wenig blass um die Nase wurde. Offenbar hatte sich das 'liebreizende' Wesen Olberthes im Regiment mittlerweile herumgesprochen, ging es Siegerain durch den Kopf.

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Zordan von Rabicum hatte sich als vollendeter Gastgeber erwiesen und seinen Gast mit einem hervorragenden Essen, exzellenten Getränken und angeregten Plaudereien über alle erdenklichen Themen umsorgt. Einerseits genoss Siegerain all dies sehr, andererseits war er aber auch auf der Hut: Der Seneschall war nun wahrlich nicht für seine Gastfreundschaft und Herzlichkeit bekannt. Dass dieser ihn lediglich eingeladen habe, um ihm noch einmal ganz persönlich für seine Verdienste bei der Aushebung dieses Rauschkrautrings zu danken, mochte der Offizier nur schwerlich glauben. Dennoch hätte er später nicht sagen können, wann und wie sein Gastgeber ihre Unterhaltung erst in Richtung des bevorstehenden Heerzuges gelenkt hatte und letztlich beim von Siegerain zusammenzustellenden Vorauskommando gelandet war. Und woher wusste Zordan überhaupt davon?

"Da hat Euch der Heermeister wahrlich eine ebenso bedeutsame wie große Aufgabe übertragen, mein Lieber. Aber ich bin mir sicher, dass Ihr sie, wie zuvor schon die Organisation der Heerschau, mit Bravour meistern werdet. Habt Ihr denn schon Eure Gruppe zusammengestellt?"
Während der Oberst zu einer Antwort anhub, ließ es sich der Seneschall nicht nehmen, ihm persönlich noch etwas Wein nachzuschenken.

"Nun, ebenso verlässliche wie fähige Schreiber und Wachen habe ich bereits ausgewählt. Und mit Yanda von Gerben wird auch eine hochrangige Vertreterin der Flotte als Unterhändlerin das Kommando verstärken. Für die restlichen Positionen habe ich einige Offiziere des Heeres im Auge." Der gute Wein, das ebenso gute Essen und die bequemen Sessel hatten Siegerains Zunge recht locker werden lassen. Außerdem war er zu der Erkenntnis gelangt, dass es ebenso unklug wie töricht wäre, etwas vor dem Rabicumer verbergen zu wollen, von dem er vermutlich längst wusste. Und so ziemlich das letzte, das der Oberst wollte, war, diese Schlange zum Feind zu haben.

"Ich bin mir sicher, dass Ihr die richtigen Leute für diese Mission auswählen werdet; daran besteht für mich kein Zweifel. Und gewiss werdet Ihr auch diejenigen berücksichtigen, die Euch weiland bei der Unschädlichmachung dieser Rauschkrauthändler so vortrefflich zur Hand gegangen sind. Warum solltet Ihr auch auf deren außerordentlichen Fähigkeiten und Diskretion verzichten wollen? Und einige 'Zivilisten' in der Gruppe dürften, so meine bescheidene Meinung, sehr dazu beitragen, die Verhandlungen zu einem Erfolg zu führen. Jedenfalls mehr, als es eine reine Schar eher einschüchternd wirkender Offiziere vermögen könnte. Aber genug davon. Es steht mir nicht zu, mich in Eure Arbeit zu mischen und es ist auch kein Thema für diese wunderbare Zusammenkunft, die wir unbedingt wiederholen sollten.", schloss Zordan mit einem gewinnenden Lächeln, während sich Siegerain wie ein Kaninchen, dass einer Schlange gegenübersitzt, vorkam.

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Am nächsten Morgen ließ sich der Oberst, noch ein wenig verkatert, das Zusammentreffen mit dem Seneschall durch den Kopf gehen. So sehr er dieses auch genossen hatte, war ihm doch nicht verborgen geblieben, worum es dem Kerl wirklich gegangen war. Eigentlich verspürte der Offizier wenig Neigung, sich von der Schlange vor den Karren spannen zu lassen. Andererseits musste er zugegeben, dass dessen Idee ausnehmend gut war. Warum für das Vorauskommando nicht auf Leute zurückgreifen, die er kannte und deren Kompetenz außer Frage stand? Und sich weiters noch den Seneschall zum Feind machen? Zudem bestand bei ihnen ebenfalls wie bei der Gerben keine Gefahr, dass sie ihm im Erfolgsfall beim Heermeister den Ruhm streitig machen könnten. Und im Falle eines Scheiterns gaben seine einstigen Mitstreiter ebenso gute Sündenböcke ab wie die Marineoffizierin. Zuvor galt es jedoch, bei Astaran von Pfiffenstock, Salix von Hardenstatt und dem Knappen Arion von Sandern erst einmal anzufragen, ob sie überhaupt bereit wären, ihn in den Schlund zu begleiten, denn befehlen konnte er es ihnen leider nicht. Und im Falle ihrer Ablehnung wären alle diesbezüglichen Überlegungen mit einem Schlag hinfällig.
Siegerain rief seine Ordonnanz zu sich und trug ihr auf, die drei für die zweite Traviastunde am morgigen Tage in sein Arbeitszimmer einzuladen.