Geschichten:Das Leben geht weiter - Verdachtsmomente
Friedheim, Mitte Phex 1044
„Er sieht seinem Vater wirklich unfassbar ähnlich“, stellte Praiadne Leuinherz Keilholtz fest als sie den kleinen Oisín betrachtete. Der blonde Knabe saß auf dem Schoß seiner Mutter und grinste die drei Damen mit seinem lieblichen Kinderlächeln an. Zwei Zähne hatte er auch schon. Und die zeigte er ihnen auch. Dabei brabbelte er und stecke sich immer wieder die Finger in den Mund, wobei er immerzu feststellen musste, dass die Faust einfach nicht ganz hinein passte, obgleich er es versuchte. Wieder und wieder.
„Ein wirklich hübscher Knabe“, stimmte auch Rahjamunde von Schroffenstein-Grünfels nickend zu.
„Kann seine Herkunft einfach nicht verleugnen“, kommentierte Firre Hadamar von Biberwald, „Es ist als blickte einen Unswin an. Wobei...“ Meara hielt kurz den Atem an. „... die Nase, die ist eindeutig deine. Ganz ohne Zweifel.“ Energisch nickte sie und war beruhigt.
„Wie war denn seine Geburt?“, wollte nun Praiadne wissen, „Ich weiß nur, dass Ardo im Namen der Familie eine Spende an das Peraine-Kloster gerichtet hat...“
Nun nickte Meara: „Ich denke, das liegt daran, dass Schwester Fürchtelind bei mir war. Sie war mir eine große Hilfe, hat nicht nur viel Erfahrung, sondern auch eine unfassbar ruhige Art. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, hat sie mir den ganzen Morgen über gesagt, es sei bald geschafft...“
Rahjamunde seufzte schwer: „Das hat man mir bei meinen Zwillingen auch gesagt. Irgendwann wollte ich einfach nur noch sterben. Es war... entsetzlich.“
„Das tut mir sehr leid“, erklärte Meara und fühlte sich sogleich für ihre folgenden Worte seltsam schuldig: „Bei mir war es nicht schön, aber... es war schon in Ordnung. Es war... irgendwie erträglich. Und irgendwann war es dann auch vorbei.“
„Du Glückliche“, kommentierte die Gattin Wulfharts.
„Es war aber auch nur eines“, versuchte die frisch Vermählte die Situation gerade noch zu retten, „Eines ist gewiss leichter als gleich zwei...“ Da wurde Meara plötzlich entsetzlich elend. „Können wir... wir nach draußen gehen?“ Ihre Stimme war leise, aber eindringlich. „Irgendwie ist es plötzlich so... so stickig hier... drinnen.“ Fröhlich plaudernd bugsierten die drei Damen die Braut nahezu unbemerkt in die kühle Nacht hinaus und setzten sie auf die Bank unter der alten Eiche, während sie sich über die Geburten ihrer Kinder unterhielten. Praiadne hatte Oisín im Arm. Der Knabe gluckste fröhlich vor sich hin.
Nach einer Weile, wollte die Baronsgattin schließlich wissen: „Ist es schon besser?“
„Ja“, bestätige Meara noch mit seltsam kehliger Stimme, „Es ist nur... Es war plötzlich so stickig und... und dann war mir plötzlich entsetzlich elend zumute und...“
„Du warst auch richtig bleich“, merkte Firre an und Rahjamunde nickte zustimmend, „Jetzt hast du schon wieder ein bisschen mehr Farbe im Gesicht...“
„Mir geht es auch schon besser“, bestätigte sie kleinlaut und nickte dabei.
„Vielleicht sollten wir dir etwas zu essen bringen lassen?“, schlug Praiadne vor, während sie den Knaben an seine Mutter übergab. Oisín gluckste als er seine Mutter erkannte. „Du hast bisher kaum etwas gegessen, da kann einem schon mal schlecht werden...“
„Nein, nein“, entgegnete Meara da eilig, „Das ist nicht nötig. Wirklich nicht. Bitte! Ich... ich bekomme heute einfach nichts runter. Das ist...“ Sie seufzte. „Die Aufregung. Ja, die Aufregung.“ Sie nickte, um ihre Aussage zu bekräftigen.
„Ging mir damals auch so“, gestand die schüchterne Rahjamunde und Meara sah sich schon errettet aus diesem ganzen Schlamassel, doch dann setzte sie noch hinzu: „Nach der Zeremonie ging es mir aber schlagartig besser. So elend habe ich mich erst wieder gefühlt, als ich von Tsa gesegnet worden war...“
„Die ersten Monde sind aber auch wirklich entsetzlich!“, erinnerte sich Praiadne, „Ständig diese Übelkeit, nichts kann man bei sich behalten, manchmal wird einem von einem auf den anderen Augenblick schwarz vor Augen...”
Firre nickte: „Wie war das bei dir Meara?“
„Ähm“, räusperte sich die Angesprochene verlegen, „Auch so. Lasst uns doch... lasst und doch wieder reingehen, es ist inzwischen schon recht k...“
Da sprang plötzlich etwas aus dem Baum. Erschrocken zuckten die Frauen zusammen. Meara war die erste, die erkannte, mit wem sie es hier zu tun hatte. „Rondrasil!“, schimpfte sie empört, „Was fällt dir ein uns so zu erschrecken? Hast du etwa... hast du etwa gelauscht?“
Erst blickt der Knabe etwas verdutzt in die Runde, dann fixierte er seine Ziehmutter: „Ist dir wieder schlecht, Meara? Soll ich deine Haare halten?“
„Ähm“, würgte die Angesprochene hervor. Plötzlich glühten ihre Wangen. „Nein, nein, das wird nicht nötig sein.“ Genau das hatte sie vermeiden wollen. „Geh... geh doch wieder mit deinem Bruder spielen, ja?“
Da schaute er noch irritierter drein: „Aber Bolzer ist doch hier bei dir!“
„Mit deinem anderen Bruder, Greifwart“, korrigierte Meara, „Jetzt geh wieder, ja?“
Kaum war der Knabe verschwunden, entfuhr es Firre verzückt: „Oh du bist schwanger, Meara! Ach, wie schön! Ich auch. Aber bitte“, sie wandte sich nun an alle, „Kein Wort zu Travhelm, der weiß noch nichts davon...“