Geschichten:Das Recht des Älteren - Der Sohn des Grafen
Dramatis Personae
- Nimmgalf von Hirschfurten, Baron zu Hirschfurten
- Drego von Luring, Grafenerbe zu Reichsforst
- Hoch- und Niederadel Reichsforsts
- Jagodar von Galothini, Dichter und Edler aus dem Gefolge Dregos
- Emmeran von Erlenfall, Junker zu Erlenfall im Gefolge Dregos
Burg Burg Luringen, Efferd 1035 BF
Mit einem festlichen Empfang hielt Drego von Luring, der Sohn des Grafen Danos Einzug auf Burg Luringen, seinem neuen Domizil. Zu diesem Anlass hatte er den Adel Reichsforsts geladen, der der Amtseinführung beiwohnen sollte.
Wie viele andere Barone und Junker war auch Nimmgalf Dregos Ruf nach Burg Luringen gefolgt, und erwartete nun im Thronsaal der Burg den feierlichen Einzug des neuen Regenten und Erben der Grafschaft. An seiner Seite saß seine Gemahlin Ederlinde, auf der anderen Seite sein Freund und Bundesbruder Erlan von Zankenblatt. Auch die Baronin zu Waldfang, die liebliche Tsaiana von Waldfang-Angerwilde, sowie Vögtin Melina von Ehrenstein ä.H., Baron Raulbrin von Rallerspfort und der junge Baron zu Schwarztannen waren in Begleitung ihrer Vasallen, Junker, Edler und Ritter angereist, um der festlichen Zeremonie zu besonderem Glanz zu verhelfen.
Als schließlich die Heroldin des Hauses Luring Selinde Rondira von Cronenfurt mit drei Schlägen mit dem Zeremonienstab die Ankunft des jungen Grafen verkündete, verstummte das Stimmengewirr und man erhob sich von den Plätzen. Drego wurde von seinen engsten Verwandten in den Saal geleitet: alle überragte der „lange Odo“, dabei waren auch Dregos Mutter Rumhilde und Vetter Horulf.
Groß war die Verwunderung, dass eine Traube von Männern in jungen Jahren ein paar gute Plätze in der ersten Reihe erhalten hatten – zwar am Ende des Saals, aber deutlich über Stand platziert. Nimmgalf verzog die Mundwinkel. Einige dieser „Höflinge“ schienen nicht einmal dem niederen geschweige denn dem hohen Adel zu entstammen, was anhand ihrer wenig würdevollen Haltung schnell deutlich wurde. Sollten dass etwa die falschen Freunde sein, von denen Graf Danos gesprochen hatte?
Feierlich schritt Drego zum Grafenthron und ließ sich von seiner Mutter die Grafenkrone des Vaters aufs Haupt setzen. Schnell wurde offenbar, dass die Krone zu tief rutschte – offensichtlich war sie ihm ein paar Nummern zu groß. Daher legte er sie rasch wieder auf dem Samtkissen ab. Dann wandte er sich an den versammelten Adel:
„Meine lieben Freunde, ich freue mich, dass Ihr heute so zahlreich erschienen seid. Wie ihr sicher wisst, hat mein Vater Danos mich zu seinem Nachfolger ernannt, und mir für die Zeit seiner Abwesenheit die Regentschaft über die Grafschaft übertragen. Ebenso wie er möchte ich ein guter und gerechter Regent für Reichsforst und Euch ein guter Lehnsherr sein.
Meine erste Amtshandlung ist deshalb die Verkündung einer großartigen Feier anlässlich meiner Amtseinführung, die Mitte Efferd auf dem Erlgardsfeld abgehalten werden soll. Jede Frau und jeder Mann Reichsforsts soll wissen, dass sich das Haus Luring nicht lumpen lässt!“
Nicht nur auf Nimmgalfs Miene war ob dieser Worte eine gewisse Skepsis zu sehen – stand es doch bekanntermaßen um die Ressourcen der Grafschaft nicht zum Allerbesten. Könnte man die Gelder nicht sinnvoller einsetzen?
Nachdem er geendet hatte, wurde die Versammlung aufgelöst, und die Feierlichkeiten begannen im großen Festsaal der Burg, der bereits prunkvoll geschmückt war.
Im Verlaufe des Abends nahm Nimmgalf die Gelegenheit wahr, um seinen Schwager persönlich anzusprechen. Leider gelang es ihm nicht, ihm unter vier Augen zu begegnen. So musste er eben in Kauf nehmen, dass sein Gespräch von zweien der Begleiter Dregos, einem gewissen Jagodar von Galothini und einem Emmeran von Erlenfall, mitgehört wurde, die ihm nicht von der Seite wichen.
„Aaah, Schwager Nimmgalf!“ begrüßte ihn Drego übertreiben freundlich und hieß ihn im Kreise seiner Getreuen willkommen, indem er ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter legte und ihn heranzog als er in Reichweite kam. „Ich hoffe meine kleine Feier gefällt Euch? Was meint Ihr, sollen wir für die hier anwesenden Ritter morgen ein kleines Turnier ansetzen? Wäre das nicht prächtig?“
Nimmgalf blickte ernst: „Seid mir gegrüßt, Drego.“ Den beiden anderen Männern nickte er nur kurz entgegen, was diese ebenso knapp erwiderten. „Nur allzu gerne würde ich an Eurem Turnier teilnehmen. Doch leider werde ich morgen schon in der Frühe wieder gen Hirschfurten aufbrechen. Dringende Geschäfte erwarten mich.“
„Oh wirklich? Ihr enttäuscht mich, Vetter. Wo wir doch hier den Beginn meiner Regentschaft feiern wollen. Könnt Ihr diese Geschäftchen nicht Euren Lakaien überlassen, und euch wie die anderen auch an den Feierlichkeiten erfreuen? Ich seid doch sonst kein Kostverächter.“ Dabei blickte er grinsend kurz an ihm herab, was seine beiden Begleiter mit einem hämischen Kichern begleiteten.
Nimmgalf zog die Augenbrauen zusammen. „Wie gesagt, ich bin leider verhindert. Drego, ich muss ein paar Worte aussprechen, die nur für Euch bestimmt sind.“ Dabei wies er kurz mit Blicken auf die beiden Freunde Dregos, die interessiert zuhörten. „Nur zu, sprecht frei heraus. Vor meinen Freunden … aber gut: Geht, holt euch frisches Bier!“
„Euer Vater bat mich ebenso wie Eure Schwester, Euch bei der Regentschaft zu stützen. Und ich …“
„Ja, ja, ja!“, schnitt ihm Drego das Wort ab. „So was Ähnliches sagte er mir auch. Aber macht Euch darüber nur keine Gedanken. Wen außer Euch sollte ich denn fragen, wenn ich den Ratschlag eines wackeren Vasallen brauche? Ich komme gerne auf Euch zurück.“ Dregos joviales Lächeln war verdammt überzeugend, auch wenn Nimmgalf dem Braten nicht recht trauen mochte. Dann setzte Drego spitz nach: „Bis dahin könnt Ihr Euch ja um Eure dringenden Geschäfte kümmern, für die Ihr sogar ein Turnier sausen lasst.“
Nimmgalf fühlte sich ein wenig vor den Kopf gestoßen. Eine solch dreiste Replik hätte er nicht erwartet. Er atmete tief ein: „Ich kann Euch nur raten, Drego von Luring, gebt acht, wem Ihr Euer Vertrauen schenkt. Zu leicht kann es missbraucht werden, gerade in Eurer Position.“
„Na, na, Schwager! Kommt, seid nicht so verdrießlich. Heute ist ein schöner Tag. Und morgen kommt ein weiterer schöner! Die Welt geht noch lange nicht unter!“ Damit hakte sich Drego bei Nimmgalf unter, der sich etwas unwillig von seinem Schwager zum Bierfass beim Türsturz führen ließ, wo Galothini und Erlenfall bereits die Humpen leerten. Drego nahm zwei frische Krüge aus den Händen eines Knechtes und gab einen Nimmgalf. „Auf lauter gute Tage, Nimmgalf!“ Drego stieß fröhlich an, leerte den Humpen wie ein Feldzeugmeister auf einen Zug und rülpste danach vernehmlich. Er kicherte mit seinen Kumpanen, als wäre der Rülpser ein formidabler Scherz gewesen. Nimmgalf hatte ebenfalls einen Schluck genommen: „Auf lauter gute Tage, Schwager, Euer Wort in der Götter Ohr! Ihr entschuldigt mich?“ Damit wandte sich Nimmgalf um, und begab sich zu Odo von Luring-Mersingen, der sich gerade in einer Konversation mit Horulf von Luring befand.