Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 11
Zwischenspiel – Der gesprungene Rubin
Im Reichsforst, während der Namenlosen Tage 1027 BF
„Es reicht.“ Yelwyn saß missmutig auf dem Boden seiner Hütte und starrte in die Glut. „Der Alte ist schlicht und einfach größenwahnsinnig. Seit Jahren sitzen wir uns hier den Hintern platt, alle paar Monate macht der Adel wieder Jagd auf uns, und bewegen können wir eh nichts. Dazu wird dieser dämliche Wald immer verhexter!“
Yasia schmiegte sich an ihn. „Beruhige Dich, Bruderherz. Dann sollten wir unseren Plan endlich in die Tat umsetzen. Was hält uns denn schon noch hier?“
„Nichts. Alles, was wir für uns erreichen wollten haben wir erreicht, soweit wir es konnten. Du weißt, dass ich mir mehr erwartet hatte.“
„Natürlich, mein Schatz. Aber Dingen ändert sich nun einmal, und sie haben sie geändert. Also müssen wir uns mit ihnen ändern. Das haben wir immer schon so gemacht, und wir werden es auch dieses Mal wieder schaffen.“
Auf seinen Reisen durch das Land hatte Yelwyn vor Jahren von den Rubinbrüdern gehört und sich schließlich auf die Suche nach den als Kultisten gemacht; alles in der Hoffnung, dort jene Dinge hinzulernen zu können, die man an den Akademien des Reiches nicht lehrte. Dass er sie schließlich gefunden hatte war mehr ein Zufall gewesen, und nur seine magische Begabung hatte Zachan ibn Ruhal davon überzeugt, ihn in die Reihen der Brüder aufzunehmen. Nur eine Handvoll Anhänger Zachans war magisch begabt gewesen, und dies bis auf den Druiden Orrik auch nicht besonders stark, so dass sich die zauberischen Fähigkeiten der Bruderschaft in erster Linie auf die Formeln des Dämonenmeisters stützte. Doch auch Borbarad selbst hatte sein Können nichts genutzt, schließlich war er in seinem Größenwahn und gierigen Streben nach Macht letztlich doch geschlagen worden.
Seine Schwester Yasia, die ihm in mehr als geschwisterliche Liebe verbunden war, hatte ihn immer um seine Zauberkünste beneidet und war ihm schließlich zu den Kultisten gefolgt, wo man sie die Formeln des Dämonenmeisters gelehrt hatte. Beide waren das Versteckspiel in den Wäldern seit langer Zeit leid, und ähnlich wie ihnen erging es auch anderen Rubinbrüdern, welche die wiederkehrenden Wutausbrüche des obersten Bruders Zachan ibn Ruhal fürchteten. Nicht erst einmal hatte der zurückgekehrte* Schwarzmagier Angehörige der Bruderschaft, die ihm wertlos oder unfähig erschienen, im wahrsten Sinn des Wortes den Dämonen zum Fraß vorgeworfen. Über die Zeit hatte sich insgeheim eine verschwiegene Gruppe gebildet, die nun rund ein Dutzend Köpfe umfasste und dem Irrsinn der Bruderschaft lieber heute als morgen den Rücken gekehrt hätte.
So starrte Yelwyn gedankenversunken ins Feuer; Yasia war an seine Schulter gelehnt bereits eingeschlafen. Plötzlich erscholl ein jäher Schmerzensschrei und riss ihn aus seiner Trance, derweil Yasia hochschreckte und verwirrt um sich blickte. Im gleichen Augenblick stürmte Orrik herein.
»Der Alte hat Marbert bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen. Er wittert eine Verschwörung und ist fast geplatzt, als Marbert ihm schwor, von nichts zu wissen. Und nun ist er tot.«
Yasias Augen waren noch schreckgeweitet, und so zog Yelwyn seine Schwester an sich und nahm sie beruhigend in den Arm. »Da können wir nur froh sein, dass Marbert nicht zu unserem Kreis gehörte«, entgegnete er, und Orrik nickte.
»Meinst Du nicht, wir sollten von hier verschwinden?« fragte Yasia ängstlich.
»Ja, es ist an der Zeit. Nun ist er eine Spur zu weit gegangen. Was ist mit Dir, bist Du dabei?« wandte er sich an den Druiden. Dabei faste er seinen Zauberstab fester, bereit, einem möglichen Verrat umgehend zu begegnen.
»Selbstredend«, entgegnete Orrik. »Ich denke, wir sollten uns sofort aus dem Staub machen.«
»Damit hast Du wohl recht.« Yelwyn dachte einen Augenblick nach. »Packt Eure Sachen zusammen. Orrik, Du sagst den anderen Bescheid. Jeder geht für sich allein, damit wir kein Aufsehen erregen. Wir treffen uns unter der alten Eiche im Norden, an der wir uns zuweilen versammelt haben. Wer bis zum Morgengrauen nicht da ist, der wird zurückgelassen.«
Wenig später entschwanden Stück für Stück zwölf Schatten in die Dunkelheit des nächtlichen Reichsforstes und ließen das, was sich großspurig die Bruderschaft vom Almadinenen Auge zu Waldfang nannte, hinter sich zurück. Ihr Wissen um die schwarze Zauberkunst des Dämonenmeisters hingegen nahmen sie mit in eine ungewisse Zukunft.
* Zachan ibn Ruhal, Anführer der Rubinbrüder, wurde ursprünglich bei der Befreiung Waldfangs von Baronin Maline von Natzungen getötet, kehrte aber als Wiedergänger ins Unleben zurück
◅ | Erinnerungen VIII – Heimkehr |
|
Erinnerungen IX – Neue Anfänge und Ungewissheiten | ▻ |