Geschichten:Das neue Haselhain - Das Kolleg
Herrschaft Altmark, Dorf Sichlingen, Hesinde-Kolleg zu Sichlingen, Peraine 1041 BF
Es lag ein Knistern in der Luft, eine stille Unruhe, trotz der allgemein frohsinnigen und gelassen-andächtigen Stimmung. Denn hier trafen nichts desto trotz alte Rivalen aufeinander. Zwar war der Baron selbst nicht anwesend, was allerdings irgendwie kaum bemerkt wurde, aber natürlich präsentierte sich die Familie Pfiffenstock hier, in zur Schau gestellter Eintracht und als bescheidene Gönner. Allen voran die Baronin Fatime von Pfiffenstock, geborene Rabenstock, die nun zwischen den Mitgliedern der Baronsfamilie und denen der Altmarks stand, als Zeichen der Versöhnung und des Neubeginns. Doch der Schein trügte, noch wenige Stundengläser zuvor war es zwischen den Familien noch einmal hoch her gegangen, auf Südperricumer Art und Weise hatte man noch einmal um den Kontrakt gestritten, der nun tatsächlich hatte unterzeichnet werden müssen und dessen Grundlagen vor knapp zehn Monden gelegt worden waren und ihnen dabei mehrere gescheiterte Verhandlungen, Ereignisse und Eskalationen voran gegangen waren. Doch Fatimes erarbeitete gute Beziehung zu Ailah von Altmark hatte die Situation vor einer erneuten Eskalation bewahrt, doch auch auf eine harte Zerreißprobe gestellt.
Die Baronin sah herüber zur Amme, die die beiden Kinder bei sich hatte, besonders Kashgar hatte sehr unter den letzten 1,5 Jahren leiden müssen. Sein Geheimnis kannte noch niemand, nur die Altmarks. Allen voran der Dürsten-Darrenfurter Voltan, als Gesandter Dürsten-Darrenfurts, der stets überraschend gut informiert war, hatte Fatime bei den Streitereien vor wenigen Stunden dies immer wieder spüren lassen, Ailah hatte dies geschehen lassen. Fatime war hart geblieben, sie hatte es gemusst, vor den Augen der Familie ihres Gatten, vor denen er und sie es ohnehin nicht ganz einfach hatten. Doch sie war es leid, Korkball zwischen all jenen zu sein, dafür bewirkte sie hier schon zu viel. Sie wollte andere inspirieren, sie wollte "die Baronin" sein.
So wurde hier, auf dem kleinen Podium vor dem neu errichteten Kollegs-Gebäude, mit seinen schmalen Säulenbögen, und den zwei charakteristischen Turmaufbauten mit einem flachen Spitz- und einem flachen Kuppeldach, böse Mine zu gutem Spiel gemacht. Doch Fatime spürte quasi den Ärger in ihrem Rücken. Doch sie bewahrte Ruhe, zumindest äußerlich, was sollte sie auch anderes tun, vor den Augen all dieser Menschen.
Es waren Gäste aus ganz Haselhain, ja teilweise gar weit darüber hinaus, angereist. Natürlich die Vasallen und Nachbarn Haselhains, einige Freunde der Pfiffenstocks und der Altmarks, einige neugewonnene Freundinnen Fatimes, Vertreter Rashia'Hals, alte Bekannte aus der Reichsstadt, sogar Gesandte aus Sebarin und vom Hofe Maia von Perricums. Auch ihre Eltern waren natürlich zu gegen, ihr Vater strahlte wieder wie früher, seine Pläne nahmen Gestalt an und er war stolz auf seine Tochter, das hatte er hier bis zum Äußersten jedem auf die Nase gebunden und in den vorangangenen Streitigkeiten durch vehementes Verteidigen seiner Tochter mehr als bewiesen. Zu guter Letzt und zum Stolz der Altmarks, war eine kleine Gesandtschaft aus der Kaisermark in Zentralgaretien angereist, vom Kloster St. Ancilla, zu dem die Altmarks gute, auch familiäre, Kontakte pflegten, diese sollten das Kolleg offiziell einweihen. Und waren ein starkes Druckmittel bei den bei den Kontraktsstreitigkeiten gewesen. Auch wenn Yurika von Aimar-Gor selber dabei versuchte zu vermitteln. Ebenso Verhandlungsmasse waren die alten Fundstücke die man hier gefunden hatte, deren Bedeutung allerdings noch nicht ganz klar waren und die Fatime immer noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Fatime atmete durch und trat ein Stück vor, die illustre Zuhörerschar wurde aufmerksam, sie war Haimamuda, sie konnte das, sie liebte es Geschichten zu erzählen und ihr Publikum sollte eine bekommen. Sie begann mit den Formalien, sie begrüßte die Anwesenden, die edlen zuerst, zu beinahe jedem wusste sie eine schmeichelnde Anekdote zu erzählen, sie lobte blumig die Bau- und Handwerkskunst des neuen Gebäudes und fantasierte denkwürdig über die zukünftige Leitung, Lehrstühle und Fachgebiete, sowie die wissen- und kunstträchtigen Ergebnisse die das Kolleg hervorbringen würde. Dazu streichelte ihre angenehm-rauhe, erzählgewohnte Stimme einige kurze Weisen zu den zukunftigen Schwerpunktgebieten unter, welche von alten und neuen Tagen kündeten. Auch hob sie die beispielhafte Arbeit von Ailah von Altmark hervor, die eine Brücke war über alte Zwistigkeiten hinweg, aber diese Brücke sollte auch auf starken Pfeilern ruhen, jeder Welle, die mit dramaturgischer Sicherheit kommen würden, erhaben trotzend. Diese Pfeiler sollten die alten und traditionsreichen Lande derer von Altmark sein, deren Erbe lange vom Blut getrennt war, aber nun wieder zusammen finden sollten, in Form eines Junkertum Altmark. Die Zuhörer lauschten ihr gebannt, Yarasha von Weißbarûn ließ sich sogar dazu hinreissen die geschmeidigen Worte Fatimes durch nicht minder anmutige, langsame und ausdrucksstarke Tanzschritte zu unterstreichen.
Als dann Fatime eine kurze, dramatische Pause machte und schon alle erwarteten sie würde an Ailah von Altmark und Yurika Eorcaïdos von Aimar-Gor, die ihr besonders an den Lippen gehangen hatte, abgeben, hob sie noch einmal an - in beinahe reinstem Garethi: "Die Haimamudiim sagen: Eine jede Geschichte braucht ein gutes Ende, eines welches Geist und Herz der Lauschenden in Zufriedenheit zurück lassen, aber auch genug Aufruhr dort pflanzen, um das innige Verlangen nach einer weiteren Geschichte zu schüren. Dieses Ende sollte schon zu Beginn fein eingewoben sein, Ende und Anfang sind eins in der Erzählung, eine immerwährende Geschichte, erzählt, gehört, weitererzählt, weitergehört. Ein Netz von Weisen, Sagen und Erzählungen, so stark wie unsere Geschichte und das Leben selbst, denn sie sind unser Leben. So filigran und doch so stark wie die feingliedrigen Rüsthemden stolzester Krieger...und Kriegerinnen, jedem Streich erhaben. Sie sollen uns Leiter sein für das was wir Zukunft nennen, sie sollen uns Selbstbestimmung lehren, auf der Grundfeste unser Ahnen. Denn - wie die Haimamudiin uns lehren - jedes Ende ist auch ein Anfang.", ein kurzer Blick fiel auf ihren gerührten Vater, nicht nur ihm wollte sie es beweisen, sie sollten alle ihr Selbstbewusstsein sehen, sie wollte nicht mehr der Korkball sein. "Deshalb wird auch mein geliebter Sohn, mein schöner Al‘(w)aby’adhattah, einer der ersten Schüler dieses Horts der Künste und des Wissens sein, er soll eine umfassende Ausbildung in den Lehren unserer Vorväter und -mütter werden und in der Magie..."
Selbst die Hochgeweihte und erfahrene Tänzerin von Rashia'Hal stockte kurz in ihren Bewegungen, alle anderen Anwesenden wurden ruckartig aus dem Beinahe-Trancezustand durch die gehörten Worte gerissen. Der Anfang war gemacht, kein Korkball mehr...ob wohl das Spiel jetzt ruppig werden würde.