Geschichten:Das weiße Schaf
Der groß gewachsene und stattliche Mann stand auf den Turm an den Zinnen, von dem aus sich die alte Baronin von Erlenstamm zu Tode stürzte. Sein Blick galt jedoch nicht dem gepflasterten Hof sondern dem Land um ihn herum.
Ein gepflegter Vollbart zierte das Gesicht mit der leicht zu großen Nase, das dunkelblonde leicht wellige Haar fiel bis auf die Schultern. Wie immer trug er Kettenhemd und die Tunika in den Farben seiner Familie, jedoch mit dem Wappen von Erlenstamm auf der Brust. An dem schweren Waffengurt hing der alte Anderthalbhänder, der ihn bisher treu in die wenigen erlebten Schlachten begleitet hatte. Ein Seufzen entrann seiner Brust, in diesem Punkt beneidete er seinen Bruder, der oft im Reich unterwegs war und so vieles erlebte. Er hingegen hatte immer die Pflicht zu wachen und acht zu geben, auf seine Frau Alissa, und auf ihre Kinder und die Baronie. Denn der Feind im Inneren trachtete danach sie um ihr Amt zu bringen. Aber in diesem Punkt hatte sie die Rechnung ohne ihn gemacht, war er auch nicht der große Staatsmann und Intrigant wie Malepartus, so war er durch und durch ein Helburger. Zwar galt er in seiner Familie als das weiße Schaf, doch waren es diese ritterlichen Tugenden die ihn langsam den Respekt seiner Untertanen einbrachte. In Sachen Raffinesse und Unterricht in der Staatskunde stand er in regen Kontakt mit seiner Schwägerin, die einzige die ihn verstand, und deren politisches Wirken ihn beeindruckte. Denn es war nicht geprägt von Mord, Erpressung und Totschlag wie das von Magnata und Malepartus. Und doch merkte er, das mehr dazu gehörte als ritterliche Tugenden ein Lehen zu führen und sich gegen seine Feinde zu behaupten. In diesem Sinne hatte er die Landreform zu Höllenwall mit großem Interesse verfolgt, sein Bruder hatte gnadenlos aufgeräumt. Leider standen in Erlenstamm die Dinge nicht so einfach, die beiden Junkertümer und der gräflichen Dukat waren ziemlich Halsstarrig, echte Schlunder eben. Aber wie schrieb ihm Ondinai immer, man wächst mit seinen Aufgaben. Und er war gewachsen.
Und deswegen würde er ein wachsames Auge haben, und darangehen seine Frau Alissa darin zu unterstützen ihre Macht noch mehr zu festigen, und es freute ihn, dass sie nach der schweren Zeit mit jedem gemeinsamen Kind mehr an Stärke und Willen dazugewonnen hatte.
Dieser Tage gab es viel frischen Wind in der Familie, Morgana wurde Vögtin zu Waldwacht, die Beziehung zu den Nebachoten wurden gestärkt, und Haffax stand vor der Tür, und ausgerechnet Martus-Melcher sollte die Familie vertreten. Aber Mort hatten den Ruf schweren Herzen abgelehnt, den Alissa und die Lage in Erlenstamm ließ es nicht zu sich einem längeren Schlachtzug anzuschließen. Und das wohl seiner Familie ging ihm über alles.
Sein Blick fiel auf den Burghof, dort tobten ihre Kinder, vorneweg Leomar, mit seinen fünf Jahren ein echter Spitzbub, dem keine Mauer zu hoch war, kein Loch zu tief, und kein Tier zu wild. Eine Fruchtlosigkeit die man steuern musste, damit sie nicht in Arglosigkeit umschlug. Dann die vierjährige Tochter Imina, von ganz anderem Wesen, eher ruhig und besonnen, die gerne Geschichten lauschte und doch mit großer Neugier die Welt bestaunte und zuletzt Gerion, mit seinen gerade einmal zwei Jahren. Dessen Lachen seiner Mutter alle Sorgen vertrieb und dessen Geschrei der Horror jeder Amme war. Sie waren seine Augäpfel, und wehe dem der es je wagen würde sich daran zu vergreifen.