Geschichten:Der Bart ist ab
Der Bart ist ab
Burg Greifenklaue zu Uslenried, Anfang Travia 1033 BF
Nachdenklich stand Wulf von Streitzig jüngeren Hauses zur Greifenklaue in seinem Schlafgemach und zupfte sich am Kinn. Wieder einmal hob er den kleinen Spiegel und betrachtete sich darin. Während das Haupthaar immer noch voll und von gewohnter Farbe war, zogen sich durch den Bart mehr und mehr graue Strähnen. Wenn er das Kinn hob, so schien es ihm, blickte er auf den Bart eines alten Mannes, denn mitlerweile überwog das grau.
Seufzend legte er den Spigel zurück in die Kommode und kratzte sich gedankenverloren am Kopf. Die Zeit der Jugend war nun wohl definitiv vorbei, dachte er voll Selbstmitleid und musste sich wiede einmal eingestehen, dass er die Vierzig bereits überschritten hatte. Das Alter kam, Schritt für Schritt, jeden Tag ein bisschen näher; er konnte es nicht ändern. Er zuckte mit den Schultern, drehte sich um und verließ das Zimmer.
In der Hohen Halle stand das Mittagsmahl schon bereit, als er den Palas betrat. Schweigend ließ er sich an der Tafel nieder, an der schon Sinya und die Kinder Platz genommen hatten. Zweie seiner Kinder, wie er sich in Gedanken korrigierte, den Corian weilte fernab in den Nordmarken, um seine Pagenzeit abzuleisten, und der Verlust Anyaras vor fast drei Jahren machte ihm noch immer zu schaffen, auch wenn er es nicht zugeben wollte.
»Was hast Du?« fragte Sinya Phexiane ihn, als er nach kurzer Zeit noch immer nichts aus den Schüsseln genommen hatte. »Du denkst nach, das sehe ich Dir an.«
»Ach, es ist nichts«, winkte Wulf ab und griff nach dem Weinkrug, um sich den Becher zu füllen.
»Zier Dich nicht so. Was bedrückt Dich?« Seine Gemahlin ließ nicht locker.
»Schau mich doch an. Alt bin ich geworden. Die Jugend ist dahin, die Haare werden grau, und in ein paar Jahren gehe ich als alter Tattergreis am Stock.«
»Will auch einen Stock!« kreischte Firjan, sein jüngster, dazwischen, und erntete Gelächter; auch Wulfs niedergeschlagene Miene verschwand von seinem Gesicht.
»Du kannst erst einmal noch etwas größer werden und Stockfechten lernen, mein Sohn«, erwiderte Wulf auf den Einwand des Zweijährigen, der sogleich ein neunmalkluges »So, wann denn Papa?« hintendran hängte.
Derart aus den trüben Gedanken gerissen speisten sie weiter.
Nach dem Mal nahm Sinya ihren Gemahl beiseite; Thyria, ihre Zofe, kümmerte sich um die Kinder und führte sie aus dem Saal heraus.
»Laß mal sehen«, sagte sie, streckte die Hand aus und hob sein Kinnleicht an. »Ganz schön grau bist Du geworden, mein lieber Mann. Das ist es doch, was Dich bedrückt, habe ich recht?«
»Was soll ich denn dazu noch sagen«, entgegnete er leise. »Wo Du recht hast, hast Du recht.« Er schwieg einen Moment. »Immer wenn ich in den Spiegel sehe, glaube ich, noch schneller zu altern als es mir ohnehin schon vorkommt.«
»Dagegen gibt es ein ganz einfaches Rezept« antwortete Sinya lächend. »Nimm ihn ab!«
Wulf sah sie verständnislos an.
»Den Bart, meine ich. Rasiere Dich, und Du wirst um Jahre jünger aussehen. Ganz bestimmt.«
»Wie soll ich denn dann aussehen?« fragte er, mehr zu sich selbst gewandt. »Ich habe immer einen Bart getragen!«
»Das stimmt ja wohl nicht ganz. Als ich Dich kennengelernt habe – damals, als wir beide noch jung waren – trugst Du auch keinen Bart und warst ganz im gegenteil immer glatt rasiert.« »Aber das war zu unserer Jugendzeit!«
»Na und? Außerdem musst Du ihn ja nicht ganz abrasieren. Lass doch einen Teil stehen, so wie Nimmgalf und der Halhof es tun. Hauptsache ist, Du rennst nicht irgendwann mit einen Zickenbärtchen wie Hilbert durch die Gegend.«
Beide mussten lachen.
»Na gut, ich denke darüber nach«, antwortete Wulf schließlich.
Am nächsten Morgen verabschiedete sich der Baron von Uslenried von seinem Vollbart, den er nahezu zwanzig Jahr getragen und immer nur hatte stutzen lassen.
»Du siehst wirklich gleich an paar Jahre jünger aus«, kommentierte Sinya Phexiane denn schließlich auch seine neue, ungewohnte Erscheinung. Seiner Gemahlin gefiel der Anblick offenbar besser als ihm selbst, nachdem er sich im Spiegel betrachtet hatte. Doch es sollten nur wenige Tage vergehen, bis Wulf sich daran gewöhnt hatte – und im Herzen froh darüber war, das grau nun los zu sein…
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