Geschichten:Der Götter Werk und Yolandes Beitrag – Schwarzes Licht
Gareth, Stadtteil Eschenrod, Tempel des schwarzen Lichts, Peraine 1042
Bereits von weitem schob sich der eingeschossiger Tempel aus Basalt in Yolandes Sichtfeld und setzte sich gegen die heruntergekommenen und baufälligen Gebäude darum herum ab. Immer wieder schaute sie zu ihrer linken, versicherte sich, dass Nurinai noch an ihrer Seite war, auch wenn sie Hand in Hand gingen. Der Blick der Geweihten war starr auf den Tempel gerichtet, auf einen Tempel den Yolande selbst für einen Tempel des Herrn von Schlaf und Tod überaus kalt und düster fand und so angefüllt mit Vergänglichkeit und Tod, dass ihr das Herz jeden Moment zu zerspringen drohte.
Da blieb Nurinai abrupt stehen. Yolande tat es ihr gleich und betrachtete für einige Augenblicke aufmerksam ihre Liebste: Jede Faser ihres Körpers war angespannt, was sich auch in ihrer Mimik niederschlug. Noch immer hatte sie ihre blauen Augen starr auf den Tempel vor sich gerichtet. Dass in ihr etwas vorging, das wusste Yolande auch ohne dass sie es ihr gesagt hatte. Nurinai hatte sie gebeten mit nach Eschenrod in den Boron-Tempel zu kommen und dass sie sie fragte und nicht alleine gegangen war, war nicht nur ein Zeichen ihrer Liebe, sondern vor allem ein Zeichen ihrer Angst.
„Narzisschen?“, fragte Yolande leise und drückte die Hand Nurinais fest, „Wir... Du... Du musst nicht...“
Da blickte die Geweihte sie mit ihren tiefen blauen Augen an, Augen voller Angst und Zweifel. Sie rang sich ein mildes Lächeln ab, seufzte schwer und drückte Yolandes Hand so fest sie konnte.
„Komm“, wisperte Nurinai dann und ging die dunklen Stufen hinab. Ihre Hände lösten sich voneinander.
Yolande zögerte. Betrachtete die Inschrift: ‚Das Leben währt nur einen Augenblick – der Tod aber ist ewig.‘
Sie schuckte, dann eilte sie Nurinai hinterher. Folgte ihr die dunklen Stufen in den Gebetssaal hinab.
Im Gebetssaal war es totenstill, nur Yolandes Schritte waren zu hören, nicht jedoch die Nurinais, die einige Schritte vor ihr ging, sich jedoch äußerst sicher und leise bewegte. Nun, da sie sich im Inneren des Tempels befand, schien zumindest ein Teil von Nurinais Anspannung abgefallen zu sein und dennoch...
Yolande hielt Distanz und als sich Nurinai setzte, setzte sie sich in Sichtweite, ließ ihrer Liebsten zwar Raum, aber ließ sie keinen Moment aus den Augen. Ob sie je für einen anderen Menschen so empfunden hatte?
Nach einiger Zeit trat eine Geweihte zu Nurinai. Sie trug eine feine Robe aus schwarzem Tuch, darauf zwei silberne einander zugewandte Raben. Eine Etilianerin, die ihrer Liebsten irgendwie ähnlich sah.
„Weiße Nelke“, entfuhr es Nurinai ni Rían leise, aber voller Erstaunen, als sich plötzlich ihre Base und Mentorin neben sie setzte. Die Prätorin des Tempels unserer gütigen Etilia zu Kammhütten trug ein vielsagendes Lächeln auf den Lippen: „Der Rabe erhält was des Rabens ist, blühende Narzisse. Und er entschied, dass ich an Deiner Seite sein soll.“
„Dann...“, Nurinai schluckte schwer, „... muss es wirklich schlimm sein.“
„Schlimm, blühende Narzisse, ist für uns nicht einmal der Tod. Unser Herr ist immer an unserer Seite, er lässt uns niemals allein, auch wenn wir das manchmal vielleicht glauben mögen.“
„Er hat mir Dich zur Seite gestellt...“
Nun nickte Líadáin.
„Ich bin gekommen, weil...“
„Ich weiß, weswegen Du gekommen bist. Ich weiß auch, mit wem du gekommen bist“, die ältere Geweihte blickte nickend in Yolandes Richtung, „Er hat es mir gezeigt. Er hat mir alles gezeigt.“
Nun nickte Nurinai schwer.
„Komm“, sagte Líadáin und führte ihre Base in das Heiligtum des Tempels hinab. Nurinai warf noch einen Blick zurück und sah Yolande, die ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte, bevor sie im schwarzen Licht verschwand und die Tiefe sie verschlang.