Geschichten:Der Handschlag an den Wulfshöhen - Das hätte nicht passieren dürfen

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Feste Wogentrutz, Ende Boron 1043 BF

"Hochgeboren, ein Brief aus Bärenau", Alderan betrat das Arbeitszimmer, dass durch die großen Fensterbögen einen phänomenalen Blick auf den Nadelturm vor dem heute so friedlichen Meer ermöglichte. Leobrecht stand bereits am Fenster und schien den Blick in die Ferne ebenso zu genießen.

"Lies vor, lieber Alderan, Du weißt meine Augen lassen immer mehr nach, und diese Kritzeleinen Deines Namensvetters sind so verdammt klein."

Alderan verbarg sein Grinsen. Der Alte war eigentlich nur zu stolz, seine teuren Augengläser zu tragen: "Grußformel etc. p.p., geschrieben am 7. Boron, ..."

"Nur zwei Wochen von Bärenau bis auf die Efferdstränen, der Bote war schnell!"

Alderan überflog schnell den nächsten Absatz und gab eine Zusammenfassung, er wusste dass sich Leobrecht für Details und Floskeln nicht interessierte: "Er schreibt weiter, dass es nach den Scharmützeln um die Stadt Bärenau - siehe letzter Brief - zu ein Treffen beider Parteien an den Wulfshöhen gekommen ist."

Der Reichsvogt drehte sich und zeigte so etwas wie Interesse: "Mit beiden Parteien meint er die Ritter aus Reichsforst..."

"...und Hartsteen, genau. Es gab wohl nach zwei Tagen einen Handschlag zwischen Hirschfurten..."

"Nimmgalf?"

"Wer sonst? ...und Schwingenfels, das heißt Oderin Dankhardt in diesem Fall. Man einigte sich auf eine Waffenruhe zwischen den beiden 'ritterlichen Grafschaften', wie sie sich nun nennen."

"Die haben sich geeinigt? Das hätte nicht passieren dürfen!", Leobrecht ließ sich in den Sessel fallen, der so gar nicht zu seiner Statur passte - aber warum sollte er auch, denn dieses Arbeitszimmer nutzte der Reichsvogt nur zu so seltenen Gelegenheiten wie heute, wennn er mal auf den Tränen war. Normalerweise führte von hier Alinde von Zweifelfels die Baronie und musste diesen Flügel nur selten für ihren Herrn räumen.

"Ach? Ich dachte Hochgeboren würden eine diplomatische Lösung einer kämpferischen immer vorziehen?", Alderan wusst sehr genau, wie er an eine Einschätzung des alten Diplomaten bekam. Er war nicht wegen des Wetters oder der Karrieremöglichkeiten auf die Tränen gewechselt, er wollte etwas lernen.

"Natürlich spricht da mein Schlunder Herz! Die jungen Hitzköpfe aus der Grafschaft haben sich Hals-über-Kopf in einen ausgewachsenen Krieg gegen die Hartsteener manövriert, der immer von der Prämisse ausgegangen ist, dass Hartsteen an allen anderen Fronten genug zu tun hat."

Leobrecht stand wieder auf und zog eine Karte aus dem Stapel auf dem Tisch, in die er mit einem Bleigriffel seine Informationen über die Frontverläufe eingetragen hatte. Er zeigt auf die Hartsteener Grenzen, um seine Worte zu verdeutlichen.

"Ich ziehe meinen Hut vor dem jungen Grafen Hartsteen, er scheint um einiges vernünftiger als sein verstorbener Vater an die Sache heranzugehen, er kommt mehr nach der seeligen Alwene, die mich dereinst viel gelehrt hat", er lächelte Alderan an, "damals habe ich ihr solche Fragen gestellt!"

"Natürlich ist er - wie jeder Graf - immer auch ein Opfer seiner Berater am Hofe, aber er scheint einen guten Einfluss zu haben, sowohl auf seine Vasallen mit dem Schwerte, als auch auf jene mit der Feder. Und da kommt direkt 'unser' Problemkind ins Spiel: Für Ingramms zwergische Wahrnehmung ist die Fehde viel zu hektisch. Bis er auf diese massive Änderung der Windrichtung reagiert, stehen die Hartsteener schon in Erlenstamm."

Leobrecht wandte sich wieder dem Fenster und dem Meer zu: "Ich setze, ehrlich gesagt, nicht viel auf die meisten aufstrebenden Familien, die sich gerade am Schlunder Hof breitmachen: Hinn und die Amselhager sind die neuen Sterne in der Gunst des Grafen, aber Hinn ist eben auch ein gefährlicher Anhänger dieses Korgond-Quatsches. Ich schätze Elea, aber die Ruchins wollen hier endlich die Chance, von einer Familie zu einem Haus zu erwachsen, das planen sie schon seit Jahren. Die Hartwaldens - insbesondere Helmine - kenne ich schon zu lange, um nicht zu wissen, dass sie mit ihrer Rolle in der zweiten Reihe unzufrieden ist. Unter den Junkersfamilien gefallen mir lediglich die Hartweils, das sind aufrechte Turnierreiter, auf die kann man sich verlassen."

"Aber, um Deine Frage zu beantworten: Natürlich muss es zu einem Friedensschluss kommen, aber eben nicht bilateral, das stärkt oder schwächt nur einzelne Lager. Wir haben doch letztens noch darüber gesprochen: Willst Du zwei oder mehr Parteien zu einer Einigung bringen, musst Du sie zuerst erkennen lassen, dass sie gleich stark sind. Aber hier entsteht nun ein seltsame Unwucht mit absteigender Macht zwischen den Blöcken Kaisermark-Schlund, Reichsforst-Hartsteen sowie Eslamsgrund und schließlich Waldstein. Am Schluss kommen wir immer wieder zu der Frage: ..."

"...Warum greift die Königin nicht ein?", wiederholte Alderan das Mantra aller ihrer Gespräche zu der Fehde im Herz des Reiches in den letzten Wochen.

"Ich weiß, ich wiederhole mich, aber hier liegt der Kern des Problem - oder das politische Kalkül des Hauses Gareth. Jemanden wie Rondridgn, aber auch Alarich traue ich zu", Leobrecht senkte seine Stimme zu einem Flüstern und ging ganz nah an Alderan heran, "tausende einfache Garetier, aber insbesonder auch hunderte gute Rittersleute zu opfern, nur um die eigene Macht zu festigen. Reiben sich die Vasallen aneinander auf, haben sie keine Kraft mehr gegen ihren Hegemonen - Divide et Impera."

Leobrecht räusperte sich und sprach wieder lauter, denn selbst auf den Tränen hatten die Wände Ohren, "Gibt es noch mehr in dem Brief?"

"Nur ein paar kleinere beigefügte Schreiben und Zeichnungen von Euren dort verbliebenen Enkeln, soll ich...", setzte Alderan an.

"Nein, nein, die lese ich selbst. Wo sind meine Augengläser?"