Geschichten:Der Herr auf Ox - Spieglein, Spieglein an der Wand

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Burg Ox in der Baronie Viehwiesen, Travia 1033 BF

Dramatis Personae

Frühmorgens merkte sie ihre alten Knochen. Das Aufstehen war seit einigen Götterläufen beschwerlich geworden, alte Kriegswunden, die sie eigentlich schon vergessen hatte, zeigten ihre nachträgliche Wirkung. Aber ihr Geist war hellwach und die Sorge um das Weiterleben der Familie trieben sie an.

Giselda hatte sich gerade angezogen, schaute in den Spiegel, kämmte ihr Haar und ließ ihren Gedanken freien Lauf.

Viel Kopfzerbrechen hatten ihr die Gespräche mit Anaxios und Leobrecht im Vorfeld bereitet. Ihr war klar, dass beide mit der geschaffenen Situation nicht glücklich waren.

Der Gedanke an Leobrecht ließ ihr Gemüt aufhellen und zauberte ein Lächeln in ihr faltiges Gesicht. Er war noch so jung als Vater und Mutter starben, fast mehr wie ein Sohn, als ein Bruder ist er für sie. Sie war damals beim Tode ihres Vaters ebenfalls noch jung und unbedarft, so dass die Erziehung ihrer Brüder sie maßlos überfordert hatte. Das war auch der Grund weshalb sie nie den Traviabund schloss, sie hatte drei Kinder - Leomir, Wolfaran und Leobrecht - ihre Brüder. Alle verlangten ihre Aufmerksamkeit, Herzenswärme und Zuneigung. Giselda war sicherlich eine gestrenge "Mutter", das war aber mehr auf ihre Unsicherheit zurückzuführen, die sie zu überspielen sie versuchte. Sie war ja schließlich gerade erst erwachsen geworden, wie hätte sie sich neben den Dreien noch um eine eigene Familie kümmern sollen?

Bei Leobrecht hatte sie mit Sicherheit nicht alles richtig gemacht, aber sie hatte ihr Bestes gegeben. Vielleicht hätte sie bei der Geburt seines ersten Kindes mit Korhilda Tabur mehr zum Arrangement von dessen Hochzeit drängen sollen, vielleicht. Aber dafür war es nun zu spät. Hier führte kein Weg zurück. Sie würde ihm ja nicht verbieten sie weiterhin zu lieben, zu sehen und mit ihr eine Beziehung zu führen. Selbst wenn noch weitere Bastarde hinzukämen, sie würde sich für ihren Bruder freuen. Aber nachträglich Bastarde anzuerkennen, so liebreizend diese waren, dass würde sie niemals zulassen. Niemals wäre sie bereit nachzugeben. Dass die Familie das Gesicht verliert durfte nicht geschehen. Leobrecht muss doch bereit sein ein solches Opfer für die Familie aufzubringen! Sie hatte selbst auch stets Entbehrungen auf sich genommen und ihr Leben der Familie geopfert. Standesgemäß zu heiraten und ein, am Besten noch zwei Kinder zu zeugen, konnte doch nicht so schwer sein. Außerdem wird auch er irgendwann erkennen, wenn er es in Perricum zu etwas bringen will, braucht er den Wohlwillen der Nebachoten. Eine Braut aus dem Hause Brendiltal würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – Gute Familie – Herausragende Beziehungen in Perricum, was wollte er mehr?

Giselda war so stolz auf ihren kleinen Bruder, so viel Gutes hatte er in seinem Leben geleistet und weit hatte er es gebracht, weiter als keiner mehr seit der glorreichen Leonora. Er würde sie und die Familie mit Sicherheit nicht enttäuschen.

Ihre Gedanken schweiften weiter zu Anaxios, sie rümpfte leicht die Nase. Ein Magier als Baron, war ihr zu wider. Anaxios war ein aufgeweckter Junge, daran führte kein Weg vorbei. Jedoch hatte ihn keiner in der Familie auf eine solche Aufgabe vorbereitet. Er war gebildet und sicherlich klug, manchmal auch altklug, aber es gehörte mehr dazu ein Lehen zu verwalten als nur belesen zu sein. Sie konnte nicht mit ansehen wie die Baronie Viehwiesen, dass Stammlehen derer von Ochs, vom Verfall bedroht wurde. Praios sei Dank gab es noch Helmine, wohl keiner Person vertraute sie so sehr wie ihrer alten Knappin. Die Gute würde die Geschicke der Baronie im Sinne der Familie lenken. Seine Bald-Verlobte Ayana von Sturmfels war zugegebenermaßen nicht die beste Partie, aber es war schwierig gewesen, eine Braut für einen Magus zu finden, die dazu noch aus gutem Hause stammen sollte. Die beiden würden sich schon arrangieren, da war sie sich als das Oberhaupt des Hauses Ochs sicher.

Giselda konnte ein herzhaftes, freundliches Lachen nicht unterdrücken, als sie an Wolfaran dachte. Ein wirklich wackerer junger Mann, wenn auch noch mit vielen Flausen im Kopf - deshalb hatte sie des Nachts seine Beschimpfungen auch überhört, in ihrem Alter konnte man sich ab und an auch mal schwerhörig stellen. Er würde es noch weit bringen, das war so sicher, wie der Graf von Schlund ein Zwerg war. Giselda sinnierte über die Möglichkeiten einer guten Unterbringung mit möglichst vielen Aufstiegschancen... Sie könnte ihn Bunsenhold in der Armee anempfehlen, dort könnte er Kampferfahrung sammeln und Kontakte knüpfen. Sollte Bunsehold in Zukunft Oberst werden, wäre Leobrechts Sohn ein perfekter Protégé. Oder ein lukrativer Posten in einer Staatskanzlei... Bei ihrem nächsten Besuch in Gareth, würde sie ihre Beziehungen spielen lassen und sich ein wenig umhören. Eventuell ließ sich ja ein freier Posten in der Reichskanzlei finden oder ein Neuer schaffen. Wolfaran war nach Erhalt seines Ritterschlages ihrer Auffassung nach nun bereit für neue, höhere Aufgaben. Und was bei Leobrecht geklappt hatte, sollte auch bei Wolfaran klappen - zumal er das organisatorische Talent seiner Mutter geerbt zu haben scheint.

Von Wolfaran führten ihre Gedanken weiter zu seinen Geschwistern. Die liebe Leonora hatte sie bei der Burggräfin zur Alriksmark als Pagin untergebracht. Die Ausbildung dort würde noch ein paar Götterläufe dauern. Für die Knappenzeit hatte Giselda bisher noch keinen passenden Hof gefunden, aber sie hatte schon auf die richtigen Felsen geklopft - wie der Graf sagen würde.

Die kleine Alecha war noch zu jung, um konkretere Planungen umzusetzen. Wenn Leobrecht in Perricum seine Wurzeln schlagen wird, wäre sie als Pagin beim Markgrafen gut positioniert, aber mit dem Hause Paligan verbindet das Haus Ochs seit der Absetzung Leobrechts auf dem Arvepass eine unausgesprochene Feindschaft. Vielleicht wird das Haus Hartsteen wieder Herrscher seiner alten Grafschaft, dachte Giselda. Das wäre dann eine eventuelle Alternative. Aber die Kleine war noch so blutjung, das konnte alles noch warten.

Giselda schüttelte leicht den Kopf. Sie hätte Leobrecht damals mit Korhilda verheiraten sollen. Ihr Erstgeborener wäre prädestiniert gewesen als kommendes Oberhaupt des Hauses Ochs. Wolfaran war in Giseldas Augen ein geborener Anführer, ein Leitwolf und dazu noch ein kluger und rechtschaffener Recke. Manche Fehler jedoch lassen sich nicht mehr rückgängig machen oder korrigieren, vielleicht war dies ihr größtes Vergehen. Aber sie würde den Jungen und seine Geschwister so gut fördern, wie es deren Bastardstatus zuließ. Einen Rohdiamanten, wie Wolfaran es war, sollte man niemals ungeschliffen lassen, denn erst geschliffen zeigt er seine wahre Pracht. Und vielleicht ließ er sich eines Tages mit einem gutem Namen verheiraten - sollte er sich bis dahin nicht seinen eigenen gemacht haben.

Der Moment war gekommen, zurück nach Mardershöh zu reisen und die Wogen sich glätten zu lassen. Wenn alle ein wenig Abstand gewonnen hätten, würde der Lauf der Dinge den Rest regeln. Sie waren Ochsen - sie schnaubten manchmal laut, aber ihnen war niemals ein Joch zu groß oder zu schwer.


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30. Ron 1033 BF
Spieglein, Spieglein an der Wand
Stur wie ein Ochse


Kapitel 7

Giseldas Geheimnis