Geschichten:Der Herr von Moorsch - Raulwin
Markt Moorsch, 6. Ingerimm 1032
Die Tempelglocke schlug gerade zur Vesper, als es an der Tür zur Amtsstube klopfte und Firuna von Wulfensteyr die fast leere Amtsstube betrat. Raulwin stand auf und begrüßte sie: „Grüße Firuna, meine Liebe. Schön, dass du es endlich hierher geschafft hast.“
„Grüße Raulwin“, sie kam näher und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Hast du Barnhelm auf deinem Weg hierher gesehen?“, erkundigte er sich, während er ihr einen Stuhl anbot.
„Nein. Sollte ich das?“
„Typisch. Der kommt immer zu spät“, knurrte Raulwin von Katterquell und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.
„Bis auf vorgestern...“
Er winkte ab: „Papperlapapp! Einmal ist keinmal, Cousinchen. Und knapp war es trotzdem.“
Sie zuckte mit den Schultern: „Wie ich gehört habe, hat er dir immerhin einen ernsthaften Kampf erspart. Gar zu gern hätte ich die Gesichter von Berndrich und Rapidora gesehen, als sie spitz kriegten, dass sie gelinkt worden sind. Apropos, was hast du Barnhelm dafür versprochen?“
„Versprochen?“ Raulwin schüttelte belustigt den Kopf, „Er ist von selbst zu mir gekommen und hat angeboten, meinem Bruder eine Lektion zu erteilen. Sonst wäre wahrscheinlich ich derjenige gewesen, der sich vor dem gemeinen Pack zum Narren gemacht hätte.“
„Ich frage mich trotzdem, was er davon hat, dir zu Moorsch zu verhelfen“, sie stützte ihr Kinn in die Hand und blickte ihn neugierig an.
„Nun, er konnte es wahrscheinlich nicht länger mit ansehen, dass ich immer noch Borstefred in den Arsch kriechen muss, um über die Runden zu kommen. Die fünfzig Dukaten, die in dem Beutel dort auf ihn warten, sind dagegen kaum der Rede wert.“ Er deutete auf ein Ledersäckchen auf dem Tisch.
„Du bist ein Spaßvogel, Raulwin! Sind das die fünfzig Dukaten, die Borstefred für Rapidora...“
Du wirst staunen Firuna: Die wollte sie gar nicht haben, ganz gegen ihre sonstige gierige Art“, feixte er und auch Firuna konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, „Dennoch ist es gut zu wissen, dass sie sich tatsächlich aus der Fassung bringen lässt.“
„Weiß Borstefred eigentlich, dass du das Gold hast?“
„Ich bin nun der Junker von Moorsch und darum gehören alle Abgaben aus Moorsch mir“, meinte er ausweichend und sie gab sich damit zufrieden.
„Was hast du nun vor, Raulwin?“ Sie ergriff seine Hand und blickte ihm in die Augen.
„Ich werde demnächst unseren Nachbarn jenseits des Dergel einen Besuch abstatten und dabei die Finanzen des Junkertums aufbessern.“ Er bemerkte die spöttisch fragend hochgezogene Braue: „Du verstehst sehr gut, was ich meine. Die Gneppeldotzer waren schon viel zu lange ungestört auf ihrem Jagdgebiet.“
Sie nickte: „Gib Nachricht, wenn du dabei Unterstützung bedarfst. Meine Leute können zusätzliche Beuteanteile immer gut gebrauchen.“
„Selbstverständlich. Aber vielleicht könnte ich auch Unterstützung anderer Art gebrauchen“, er griff sie um die Taille und zog sie zu sich, „Immerhin bin ich Junker und das muss gebührend gefeiert werden.“
„In der Tat“, sie funkelte ihn wissend an und schlang ihre Arme um seinen Hals „ich hätte vielleicht sogar ein passendes Geschenk zum Amtsantritt...“ Es klopfte an der Tür. Schnell ließen die beiden voneinander ab.
„Das wird wohl Barnhelm sein“, murmelte Raulwin verdrossen.
Sie seufzte: „Du hast wohl doch recht: immer zu spät und dann zum falschen Zeitpunkt.“