Geschichten:Der König im Dunkeln - Hauer und Spitzohr
Orgosch war mulmig zumute. Trotz der Axt.
Furchtsam blickte er auf seine drei Begleiter, die sich mit ihm hinter dem gewaltigen, moosüberwucherten Baumstamm zusammengekauert hatten, dann spähte er wieder auf den Wanderer, der sich tief in das Dickicht des Feidewaldes verirrt zu haben schien.
“Wir besser bleiben versteckt“, flüsterte er.
Der kleine Mann mit den Augengläsern und der abgewetzten Lederrüstung neben ihm raunzte ihn zischend an: „Feigling! Wir sind zu viert und der Elf ist alleine. Und außerdem haben wir ja das hier.“ Dabei deutete er auf seinen schartigen Säbel und Orgoschs Axt.
Dieser aber legte seine Stirn in Falten und schob seinen hauerbewährten Unterkiefer trotzig vor.
“Aber Spitzohren zaubermächtig“, grunzte er leise.
“Was soll er schon ausrichten gegen uns?“ fragte die blonde Frau mit dem verfilzten Haar, die rechts neben ihrem kleinen Anführer kauerte.
Orgosch wagte es ein weiteres Mal, einen kurzen Blick über den Baumstamm zu riskieren.
Der elfische Wanderer bewegte sich sorglos durch das Geäst. Er hatte lediglich einen Bogen über die Schulter geworfen und ein kleines Kurzschwert am Gürtel. Sein grüner Umhang würde ihn weitestgehend unauffällig machen im Gewirr der Blätter, Bäume und Büsche, ebenso sein erdbraunes Hemd, wenn nicht auf beiden ein silberner Igel eingestickt gewesen wäre, der hin und wieder in den Strahlen des Paraiosrundes, die durch das Blätterdickicht brachen, deutlich sichtbar aufblitzte.
Wie dumm von ihm.
Wie dumm für ihn.
Der grobschlächtige Kerl, der ganz am anderen Ende des Baumes lag, schnalzte unverwandt mit der Zunge, und alle vier sprangen flink auf, setzten über den Stamm und fächerten sich auf, um den Wanderer einzukreisen. Dabei gaben sie kein Wort von sich, sondern hielten ihre Waffen bereit. Das sollte ihrem Gegner doch wohl gehörigen Respekt einflößen.
Doch dieser blieb ganz ruhig stehen, wischte sich mit einer fast verlegen anmutenden Geste sein schwarzes Haar aus dem Gesicht und lächelte die heranstürmenden Banditen an.
Wären die vier nun wirklich professionelle Wegelagerer gewesen, ja, da hätten sie sich vielleicht erst einmal einen öfter begangenen Weg als diesen kleinen Waldpfad hier gesucht (wobei zu ihrer Verteidigung gesagt werden muss, dass sie in der Tat nur zufällig und ganz alleine wegen des blinkenden Wamses auf den Reisenden gestoßen waren).
Um aber den Gedanken richtig fortzuspinnen: Wären sie nun also professionelle Wegelagerer und nicht ausgehungerte Gelegenheitsdiebe gewesen, die sich mehr schlecht als recht in der Gegend um den Feidewald verdingten und mit ihrer Vogelfreiheit nicht mehr anzufangen wussten, als hier zu sein, so wären sie nun unbeeindruckt weitergestürmt und hätten den Elfen kurzerhand massakriert.
So aber bleiben sie verdutzt stehen, da sich der Wanderer gänzlich unbeeindruckt zeigte und ihnen freundlich zunickte.
“Was kann ich für die Herrschaften denn tun?“ fragte er mit frohgemuter und klarer Stimme.
Orgosch und seine Begleiter guckten sich gegenseitig fragend an. Der grobschlächtige Kerl kratzte sich am Kopf und die blonde Frau ließ ihren mit Nägeln beschlagenen Knüppel unachtsam sinken.
Einzig ihr Anführer gewann rasch seine Fassung wieder. Er zwinkerte verschmitzt durch seine Augengläser und herrschte den Elfen an: „Wie wäre es, wenn ihr uns Eure Wertsachen aushändigen würdet.“ Dabei hob er drohend seinen Säbel.
Der Angesprochene zuckte daraufhin mit den Schultern. Sein Blick verriet eine leichte Trauer. „Bedauerlicherweise, meine Herrschaften Wegelagerer, fürchte ich, sieht es nicht so aus, als hätte ich irgend etwas, was ihnen von Nutzen sein könnte, geschweige denn, irgend etwas, was für sie einen Wert, in was für einer Weise auch immer haben könnte.“
“Was sagt er?“ grunzte Orgosch und sah seinen Anführer hilfesuchend an.
“Still , Narr“, blaffte dieser zurück und wandte sich dann wieder an den Elfen: „So so. Aber immerhin einen hübschen Umhang habt ihr da. Und auch Euer Schwert und Euer Bogen wissen mir zu gefallen.“
Noch tiefer wurde da die Trauer auf der Miene des Wanderers.
“Ich fürchte Euer Verlangen nach jenen Dingen ist vollkommen indiskutabel, werter Herr. Zudem bin ich im Auftrag eines mächtigen Herren unterwegs, den es gewiss erfreuen würde, ließet ihr mich ziehen.“
Orgosch wunderte sich noch, was denn wohl ein Indiskutabel sei, als sein Anführer hervorstieß: „Dann ist’s geritzt. So wird Euer mächtiger Herr gewiss auch ein mächtiges Lösegeld für Euch zahlen.“ Und kaum dass er den Satz beendet, sprang er die Waffe gezogen nach vorne auf den Elfen zu und seine Begleiter taten es ihm gleich ...
Ähnlich wie der menschlich Verstand blendet auch der orkische zuweilen Ereignisse aus, die so grauenhaft sind, um wirklich begriffen zu werden.
Und so war das nächste, was Orgosch wahrnahm, der stechende Schmerz in seiner Schulter, als er auf dem Waldboden kniete und den elfischen Wanderer flehentlich anstarrte.
Der ehemalige Anführer seines kleinen Trüppchens hing aufgespießt an einer Astgabel, die blonde Frau lag zusammengekrümmt und blutüberströmt an einem Baum, und der grobschlächtige Kerl hatte ebenfalls sein Ende gefunden. Aus unzähligen Stichwunden blutend erlosch sein Lebenslicht keine zwei Schritt vom knienden Orgosch entfernt.
Dieser blickte, wie bereits gesagt, den Elfen furchterfüllt an und schleuderte gleichzeitig seine Axt mit der letzten Kraft seines ausgekugelten Armes in das Dickicht des Waldes.
“Mächtiger Meister Euer Herr ist“, brachte er stammelnd hervor. „Ich ... will ihm ... anschließen mich.“
“Dann erhebt Euch, mein Freund“, gab der Elf unverwandt mit sanfter Stimme und keineswegs außer Atem zurück.
“Ich darf? Oh, Herr ...“
“Nennt mich nicht so. Mein Name ist Valveija, und wie lautet der Eure?“
“Orgosch, Herr, aehm, ... Valveija, ich meint.“
“Steht also auf, Freund Orgosch. Und kommt mit mir. Der Herr freut sich über jeden, der falsche Wege verlässt und richtige Wege einschlägt. Und holt Eure Axt wieder. Vielleicht könnt ihr sie noch gebrauchen.“
Mit eisigem Grauen versuchte Orgosch sich an die letzten Minuten zu erinnern, doch es gelang ihm nicht. Einzig und allein die Leichen seiner ehemaligen Kameraden bedeuteten ihm, dass er in der Tat im Gegensatz zu ihnen den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
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