Geschichten:Der Konvent zu Natzungen - Von den Entscheidungen des Adels
Auf ein Neues!
Am Nachmittag des gleichen Tages also trat die Versammlung wiederum zu Beratungen zusammen, und diesmal, so hoffte man zumindest, würde es keine Störungen geben. Da niemand ahnen konnte, wie viel Zeit für die zu diskutierenden Kernthemen beansprucht würde, gab es keine zeitlich Begrenzung der Versammlungsdauer. Gegen eine Ausdehnung der Gespräche auf den 15. Praios sprach allerdings die Tatsache, dass die tatkräftigen Vorbereitungen des Heerzuges mindestens zwei Tage in Anspruch nähmen und jede weitere Hinauszögerung des Heerzuges nach Waldfang sowohl unerträglich wäre als auch ein Risiko darstellen würde, was von den Vorfällen im Heerlager bereits deutlich bewiesen worden wäre Der Tag versprach also, lang zu werden.
Die Schwarzen Lande
Schwer war’s Für denjenigen, der über die Lage in Tobrien sprechen sollte, und das in zwiefacher Hinsicht – zum einen gab es kaum gesicherte oder zuverlässige Informationen, zum anderen, weil die Situation des reichsbehüterlichen Heerbanns mit fortschreitender Zeit immer aussichtsloser zu werden scheint. So war es dann am Gaugrafen Ugo von Mühlingen, aufgefordert vom Staatsrate, sich zu erheben und den bekannten Stand der Dinge mitzuteilen. Nichts Erfreuliches hatte es von der geschundenen Ostprovinz zu erzählen, außer dass das Heer des Königs und der Erwählten Rondras trotz beginnender Zermürbung und abgeschnittener Nachschubwege wohl immer noch schlagkräftig genug sei, um den offenen Kampf mit dem Erzverräter Haffax und seinen schwarzen Schergen zu suchen. Dieser laviere jedoch nur und lasse lediglich nächtliche Scharmützel zu, womit er wohl eine ganz bestimmte Taktik verfolge. Was allerdings das Endziel dieser Taktik sei und ob die Umtriebe des Grafen von Notmark irgendwie in Verbindung stünden, darüber würden sich die Strategen des Reiches noch den Kopf zerbrechen. Zur Zeit bewege sich das Heer Gerüchten zufolge in Richtung des freien Bornlandes, da sich ja inzwischen die Trollpforte in der Hand des schwarzen Marschalls befände und so eine Rückkehr ins Reich nur noch über den Sichelstieg und durchs Bornland möglich sei. Damit endete der Gaugraf, blickte in sorgenvolle, nachdenkliche und auch hasserfüllte Gesichter und nahm dann wieder Platz. Der Blick des Staatsrates aber war die ganze Zeit über in die Leere gerichtet. Er schien mit seinen Gedanken weit fort von dieser Versammlung zu sein, gerade so, als versuche er zu ergründen, was die Zukunft wohl alles bereithielte. Tatsächlich widmete er seine ganzen Gedanken einem einzigen, hell in seinem Geiste leuchtenden Wort: Beilunk.
Ein Staatsrat in Rage
Mit der Gedankenverlorenheit des Staatsrates war es mit einem Schlage vorbei, als der nächste Protokollpunkt angegangen wurde: die Kontrolle von Magiern innerhalb der Grenzen des Königreichs. Gerade hatte die Gastgeberin diesen Diskussionspunkt angekündigt, als sich der Junker auch schon energisch von seinem Sitz erhob und zu sprechen begann.
Was dann folgte, war ein mitreißend vorgetragener, detaillierter historischer Abriss aller Katastrophen und widrigen Zustände, die direkt oder indirekt durch Magie und deren Anwender verursacht, Zerstörung und Not über die Menschen gebracht haben und noch immer bringen. Beginnend bei Fran-Horas, dem Blutigen, steigerte sich der Staatsrat zu dessen geistiger Erbin Hela-Horas, verwies zwischendurch auf die Magokratie und die daraus resultierende Zerstörungskraft der Skorpionkriege, verschwieg natürlich im Gegensatz dazu gänzlich das wenig zimperliche Wirken der praiospriesterlichen Theokratie, sprach vom »Modellcharakter« des nun leider gelockerten Magieverbotes in Havena, erreichte zum ersten Mal die jeder Beurteilung spottenden Taten des Borbarad, umschiffte rhetorisch äußerst kunstfertig die Verdienste Rohals und gelangte schließlich nach beeindruckendem Monolog und zwölf (oh Zufall!) Runden um die Tafel sowohl zum neuerlichen Wirken des Dämonenmeisters, als auch zurück zu seinem Platz. Dort verwies er des weiteren auf die Zustände in Waldfang, sowie deren Auswirkungen bis hierher nach Natzungen und bekräftigte daraufhin mit entschlossen-zornerfüllter Stimme und misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen seine Absicht, alsbald einen Erlass zu siegeln, der es den Bütteln jeder Stadt erlaube, reisige Magier aufzugreifen und zum Zwecke der Befragung einem Diener des Praios vorzuführen. Würde sich der betreffende ›Kandidat‹ dann als verdächtig erweisen, dann sei es an der heiligen Inquisition, ihn zu läutern und zum Wohle und Schutz der Bevölkerung abzuurteilen! Punktum!
Als Praiodan von Luring sich wieder gesetzt hatte, waren auch die letzten Anwesenden davon überzeugt, dem Staatsrat besser nicht zu widersprechen ...
Von Landsknechten und Flüchtlingen
Was die Landwehrbanner Garetiens betrifft, war man sich schnell einig. Es stehe zwar nicht schlecht um deren Ausrüstung und Ausbildung, aber es könnte auch besser sein, zumal die Moral der Einheiten durch Schauermärchen und Gerüchte über das Heer des Gegners arg gebeutelt sei. Gerade deshalb aber müsse es das besondere Anliegen jedes Lehnsträgers sein, sich um seine Pflichten zu sorgen, denn schon bald könnte es für ihn soweit sein, Gefolgschaft im Regiment seines Grafen leisten zu müssen.
Darob forderte der Staatsrat alle Anwesenden auf, der Landwehr gerade in dieser Zeit ein besonderes Augenmerk zu widmen und ihre Schlagkraft durch gezielte Ausbildung zu erhöhen. Unverbindlich zwar, doch immerhin, vereinbarte man schließlich, nicht unerhebliche Geldmittel zur Verbesserung und Vereinheitlichung der Ausrüstung zur Verfügung zu stellen und regelmäßige Ertüchtigungs- und Kampfübungen abzuhalten. Die Landwehr Garetiens solle sich ja schließlich sehen lassen können auf den Schlachtfeldern der Zukunft ...
Auch bei der Behandlung der Flüchtlinge aus Tobrien zog die Versammlung an einem Strang. Es sei die Pflicht eines jeden aufrechten Menschen, Flüchtlinge aufzunehmen, soweit es seine eigene Lage erlaube und ihn selbst nicht zugrunde richte. Schon seit geraumer Zeit müssten vor allem solche Landstriche, die an einer der Reichs- oder Hauptstraßen gelegen sind, die Ankunft und Durchreise von mehreren hundert Flüchtigen pro Woche bewältigen, und, weiß Praios, nicht nur harmloses Landvolk ist’s, das da ankommt, sondern auch Strauchdiebe, Fahnenflüchtige und sonstiges Kroppzeug, welches sich unerkannt unter die bedürftige Menge mischt. Darob sei es nötig, einen jeden, der aufgenommen oder dem die weitere Durchreise gewährt werden soll, zu überprüfen und ihm und seiner Familie dann erst das Recht auszusprechen, auf unbestimmte Zeit zu bleiben oder sich gar vollends anzusiedeln. Die so vom Getreide getrennte Spreu aber müsse festgesetzt oder zurückgeschickt werden! Die Kosten hierfür habe der jeweilige Lehnsträger selbst zu tragen, da das Reich derzeit seine Reserven für den Krieg und zur Rettung der bestehenden Ordnung aufwenden muss.
So wurden denn einige der Adligen vom Staatsrate scharf gerügt, da sie Steuererleichterungen forderten oder dreisterweise ankündigten, überschüssiges Getreide um ein Viertel des Preises billiger abzugeben! Doch waren die meisten Herren und Herrinnen, der Mutter Travia sei’s gedankt, so vernünftig, vielen Flüchtlingen vorübergehend eine neue Heimstatt zu bieten und sie so vor Not und Rastlosigkeit zu bewahren, zumal auf diese Weise auch das Hauptziel der Flüchtlinge, Gareth, entlastet würde. Andere wiederum, unter ihnen auch die Burggräfin Ginaya zu Kaiserlich Alriksmark, kündigten an, weitere Lager errichten zu lassen, um auch weiterhin diesen vertriebenen Seelen jeden Tag zwei Mahlzeiten und einen Platz zum Schlafen bieten zu können. Nicht nur Travia wird es denjenigen vergelten, die in diesen Zeiten solch Beispiel an Selbstlosigkeit darstellen!
War da nicht noch etwas?
Zwei der angekündigten Protokollpunkte waren bereits im Vorfeld der Beratung aus der Planung genommen worden: die Aushebung der Miliztruppe und der Zwist um Dengelquell Zu einer möglichen Aushebung einer baronieübergreifend operierenden Truppe in Schwadronstärke hatten sich zwar einige der Anwesenden nach eingehender Diskussion durchaus zustimmend geäußert, namentlich die Herren von Eychgras, Leihenbutt, Dornensee, Zagbar, Falkenstein, Zankenblatt, Sturmfels und Gallstein, doch gab es auch scharfe Kritiker einer solchen Institution. Sowohl der Baron von Uslenried als auch der Bärenauer und die Rabensbruckerin sprachen sich deutlich gegen dieses Vorhaben aus, da zum einen die geplanten umfassenden Befugnisse ein zu hohes Risiko bergen würden und die Truppe daher andauernder Kontrolle unterworfen sein müsste, was wiederum deren Handlungsmöglichkeit eminent einschränken würde, zum anderen hielten sie eine solche Streitmacht für überflüssig und höchst uneffektiv.
Die entscheidenden Worte sprach dann der Staatsrat, als er einerseits durchblicken ließ, dass dies niemals seine Zustimmung finden könnte, und als er andererseits feststellte, dass es eine solche Institution ja gebe, nämlich bekannt und gefürchtet unter dem Namen ›Heilige Inquisition‹. So war dieser unliebsame Punkt schneller vom Tisch, als ein Darpatier bis drei zählen kann!
Was die Streitereien der Herren Wulf von Streitzig zu Greifenklaue und Grotjan von Ebelried-Streitzig um die Baronie Dergelquell im Heldentrutz’schen anging, so stellte sich schnell heraus, dass der größte Teil der Adligen überhaupt nicht wusste, worum es dabei eigentlich ginge, so dass eine möglicherweise langwierige Einarbeitung bevorgestanden hätte. Um dies zu vermeiden, versuchte man nun in kleiner Runde, zumindest die Fronten der beiden Kontrahenten, die beide wohl aufgrund eines Formfehlers bei der Neubelehnung Anspruch auf den Landstrich erheben, ein wenig aufzuweichen und damit eine Basis zu einem freundschaftlicheren Umgang zu schaffen. Dies geschah durch die Vermittlung des Bärenauers im Beisein der Natzungerin und führte dazu, dass die beiden Herren von ihren gegenseitigen Vorwürfen und Anschuldigungen abließen und sich mit einem vernünftigen Umgang bis zur endgültigen Klärung der Dinge einverstanden erklärten. Zu vorgerückter Stunde war des Ebelrieder nach kurzer Bedenkzeit sogar tatsächlich willens, dem Uslenrieder die Baronie gänzlich zu überlassen, damit dieser unselige Zwist endlich ein Ende fände und man sich auf wichtigere Dinge konzentrieren könne, doch wurde ihm diese Idee von der Natzungerin in einem vertraulichen Gespräch schnell wieder ausgeredet – offensichtlich sehr zum Missfallen des Uslenrieders ...
Mehr war denn auch gar nicht zu erreichen gewesen, denn, wie sich der Staatsrat schon eindeutig zu diesem Thema geäußert hatte: »Da gibt es ein gar nichts zu diskutieren, ob es den Herren nun gefällt oder nicht! Herr Grotjan ist und bleibt der rechtmäßige Baron von Dergelquell, genau wie es das gesiegelte Kron-Kalendarium vorsieht. Und dies ist solange der Fall, bis das Reichsgericht oder die Kanzlei für Reichsangelegenheiten anders entscheidet!«
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