Geschichten:Der Lauf der Zeit - Hin und wieder zurück
Hin und wieder zurück
Horasreich - Kuslik/ Greifenfurt - Baronie Kressenburg
- Ardo von Keilholtz ä.H., Baron zu Kressenburg
- Thargelion von den Nebelwassern, Magier
Kuslik, Ende Peraine 1034 BF
Ardo war sich der vielen pikierten Blicke der horasischen Edelleute auf dem Weg zum Kusliker Hesinde-Tempel nur zu bewusst. Seit seiner Abreise aus Kressenburg vor einigen Wochen prangten die verschmierten, angetrockneten Reste eines großen Taubenschisses auf der rechten Schulter seines Reisemantels. Leider war er bisher nicht dazu gekommen den Mantel reinigen zu lassen. Auf der Reise erschien es ihm widersinnig, weil sowieso immer wieder Schlammspritzer und anderes dazugekommen waren und seit der Ankunft in der horasischen Hafenstadt war er einfach zu beschäftigt gewesen um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Nun, wo er seine Reisekleidung wieder brauchte, war es zu spät.
Im Moment war der Kressenburger Baron auf der Suche nach Balrik, Giselbert und Anaxios, um sie darüber zu informieren, dass der Kaiserliche Tross in Kürze aufbrechen würde. Bis Punin wollten sie auf jeden Fall mit Prinzessin Yppolita reiten. Diese Ehre würden sie sich alle nicht nehmen lassen, hatten sie vier doch erheblichen Anteil daran, dass die Schwester der Kaiserin zukünftig der Grauen Gilde angehören und an der Akademie zu Punin ihre Adeptenprüfung ablegen würde. Ardo war zwar mit der Entscheidung nicht ganz so glücklich, war es aber doch zufrieden die Prinzessin vor den Fängen der Schwarzen Gilde bewahrt zu haben. Es war auch der Vorschlag aufgekommen, später noch in Punin auszuharren bis die Prüfungen Yppolitas beendet wären und die Prinzessin samt ihrem neuen Lehrmeister hernach bis Festum zu begleiten.
Leider war Ardo nicht völlig frei was die Dauer seiner Abwesenheit vom heimatlichen Greifenfurt anging. Er hatte vom Meister der Mark im letzten Götterlauf die verantwortungsvolle und zeitraubende Aufgabe der Landwehrausbildung wider Helme Haffax für die östlichen Greifenfurter Baronien übertragen bekommen. In wenigen Tagen würde die Frühjahrsaussaat in seiner Heimat beendet sein und die Freibauern würden sich erneut bei Eslamsroden versammeln um die unterbrochenen Spießwehrübungen wieder aufzunehmen. Diese Aufgabe wollte er seiner Adjutantin nicht länger als notwendig allein aufhalsen. Der Gedanke an Praiadne ließ sein Herz einen Moment lang höher schlagen, nur um ihn im nächsten Augenblick in tiefe Depression fallen zu lassen. Mit düsterem Gesicht und noch dunkleren Gedanken betrat Ardo die zentrale Halle des Tempels.
Überall standen und liefen Magier herum, Gäste des gerade beendeten Konvents, eilfertige Hesinde-Priester liefen von einem zum nächsten und ganz am Rand entdeckte er schließlich eine unscheinbare Dreiergruppe die angeregt diskutierend über ein Buch gebeugt dastand. Die drei älteren Herren die er suchte hatten bei ihren rechtskundlichen Studien mal wieder die Zeit vergessen. Diesmal die Abreisezeit. Für Pünktlichkeit brauchte es einfach einen Greifenfurter. Genau in diesem Augenblick hob Balrik von Keres den Kopf und sah zu ihm herüber. Ardo winkte ihm und machte sich daran die Halle auf dem kürzesten Weg zu durchqueren.
Noch immer mit seinen dunklen Gedanken beschäftigt, nahm er kaum Notiz von den umhereilenden Grüppchen, wich mehr instinktiv als bewusst zurück wenn einer der breitkrempigen Hüte ihm zu nahe kam, doch schließlich stieß er doch mit einem der vielen Kuttenträger zusammen. Mehr wütend über seine eigene Unachtsamkeit als über den Vorfall an sich, herrschte der Greifenfurter Baron seinen Gegenüber an.
„Passt doch auf wo Ihr hin lauf!“
Erst jetzt hob er den Blick um den Magier anzuschauen den er gerammt hatte. Das Gesicht kam ihm wage bekannt vor, wie das so vieler Konventteilnehmer. Er meinte in ihm einen Magier aus dem Herzogtum Weiden zu erkennen, über den diverse unschöne Gerüchte im Umlauf waren. Seinen Ausruf hatten wegen des allgemeinen Stimmengewirrs nur zwei oder drei der Nächststehenden mitbekommen, doch auch die verloren sofort das Interesse an dem Vorfall. Gerade als Ardo sich noch überlegte ob nicht vielleicht eine Entschuldigung angebracht wäre, hob der Zauberer mit hochrotem Kopf seine Hand zu einer Zaubergeste und zischte ihn wütend an.
„Achtet Ihr doch lieber darauf wann Ihr seid!“
Ardo hatte das Gefühl zu fallen. Einen Augenblick lang, der ihm vorkam wie ein ganzer Mond. Dann wurde ihm schwarz vor Augen…
Die Kressenburg, Anfang Phex 1034 BF
Als der Baron wieder zu sich kam, nahm er um sich herum die niedrigen Mauern eines alten Gemäuers wahr. Durch ein Erkerfenster fiel der schwache Schein des vom Nebel gedämpften Praioslichtes herein. Ardo brauchte ein paar Sekunden um den Raum um sich herum wiederzuerkennen. Auf dem massiven Holztisch neben ihm lag säuberlich zugeschlagen der schwere abgegriffene Foliant mit dem eingearbeiteten Wappen Kressenburgs, in dem sein Vogt stets sämtliche Einnahmen und Ausgaben festhielt. Er befand sich offensichtlich auf seiner eigenen Burg in Greifenfurt. Der Baron entsann sich, dass er noch am Morgen seiner Abreise mit Phexian von Kieselholm in diesem Turmzimmer gesessen hatte um über die zu erwartenden Fronleistungen seiner Bauern bei der bevorstehende Frühjahrsaussaat zu reden.
Aber wie kam er hierher? Gerade war er noch in Kuslik gewesen, dessen war er sich ganz sicher. Seit seiner Abreise gen Süden waren mehrere Wochen vergangen. Oder etwa doch nicht? Hatte er das alles nur geträumt? Ardo war sich sicher, sich richtig zu erinnern. Kuslik, Prinz Storko, Prinzessin Yppolita, das war alles kein Traum gewesen. Die Bilder der Reise mit dem kaiserlichen Tross waren klar und deutlich in seinem Kopf. Alles stimmte, bis zu dem Moment wo er mit diesem Magier zusammengestoßen war.
„Der Magier!“ Hastig schlug der Baron das Praios-Zeichen. Das musste es sein! Ardo war gleich klar gewesen, dass er nicht ohne Begleitung eines Greifenfurter Praios-Geweihten zu diesem Magierkonvent hätte aufbrechen sollen, selbst wenn die Kaiserin persönlich geladen hatte. Er machte auf den Absätzen kehrt, warf die schwere Eichentür förmlich auf und stürmte durch die wohlbekannten Gänge in Richtung Burghof. Am Absatz einer Wendeltreppe hätte er fast den verdatterten Burgvogt Ugrimm umgerannt, doch der stämmige Hügelzwerg schaffte es mit einem erschrockenen Schrei auszuweichen. Am Stall rief ein verschreckter Pferdeknecht den Götterfürsten an und auch die Wachen am Burgtor machten verdattert den Weg frei, als der Baron, den sie am Vortag gen Kuslik verabschiedet hatten, plötzlich hinter ihnen über den Hof gerannt kam. Ardo indes kümmerte sich herzlich wenig um dies alles und stoppte seinen eiligen Lauf nicht eher, als bis er das Portal des Praios-Klosters im Zentrum der Stadt erreicht hatte.