Geschichten:Der Liebe wegen – Hilferuf
Peraine-Tempel zu Rallingen, 23. Ingerimm 1044 BF
„Hat dich Baron Drego wegen seiner Gattin zu mir geschickt?“, sie deutete auf einen Tisch mit einigen Stühlen im kühlen Schatten eines großen Apfelbaums.
„Nicht direkt zu Dir“, stellte ich klar und setzte mich, wobei sie mir gegenüber Platz nahm, „Aber ja, er hat mich gebeten mit Khorena von Erlenfall und Wilmunde von Edfelden zu sprechen.“
„Und?“, wollte sie wissen.
„Man hat mich nicht eingelassen, noch nicht einmal angehört, sondern nur darauf verwiesen, dass man Baron Drego bereits die Bedienungen der Freilassung seiner Gattin mitgeteilt habe“, ich zuckte etwas hilflos mit den Schultern, „Zwar habe ich wirklich versucht sie zu sprechen oder gar sehen zu können, immerhin bin ich eine Dienerin der Zwölfe, aber auch das wurde mir verwehrt.“ Ich seufzte. „Was geht da nur vor sich, Perainidane?“
„Ich... ich... ich weiß es nicht“, sie zuckte sichtlich hilflos mit den Schultern, „Ich habe versucht mit ihnen zu sprechen und ihnen zu erklären, dass ihre Forderungen unerfüllbar sind, dass Baron Drego darauf gar nicht eingehen kann, aber...“ Nun wirkte sie nur noch hilfloser als zuvor. „... vergeblich. Und seit dem Tod meiner Schwester ist sie noch unerbittlicher geworden. Seit dem Tod meines Vaters jedoch denkt sie nicht einmal mehr daran nachzugeben. Bei meiner Tante ist es ebenso.“ Sie schluckte. In ihren Augen begannen nahende Tränen zu glänzen. „Sie reden nicht einmal mehr mit mir.“ Eine Träne kullerte ihre Wangen hinab, eilig wischte sie sie jedoch mit ihrer Hand fort. „Manchmal frage ich mich, ob ihnen klar ist, dass ich genau dieselben Menschen verloren habe.“
„Klar ist es ihnen sicherlich“, erwiderte ich ihr mitfühlend, „Doch noch scheint ihre eigene Trauer und ihr eigener Schmerz alles um sie herum zu überschatten. Es wird nicht auf immer so bleiben. Irgendwann wird gerade deine Mutter begreifen, dass sie noch dich und deinen Bruder hat und das ihr sie braucht. Sie ist auch eure Mutter.“
„Wie kannst Du Dir da sicher sein?“, wollte sie da prompt wissen, „Du hast doch gar keine Mutter. Sie ist bei deiner Geburt gestorben. Was verstehst Du davon?“
Ich schluckte und nickte: „Du hast recht. Davon verstehe ich nichts. Doch ich stelle es mir so vor. Außerdem wünsche ich es mir für Dich.“
„Sie ist mir fremd, Lindegard. Viel fremder als früher. Das war sie auch schon bevor meine Familie alles daran zu setzten den Baronsreif an sich zu reißen. Jetzt ist es noch schlimmer. Und mein Bruder?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Auch ihn kenne ich nicht. Erst war er Page, dann Knappe. Ich kann nicht einmal mehr sagen, wann ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Nun kehrt er wohl als Ritter zurück. Auch er wird mir fremd sein.“ Einen Moment hielt sie inne. „Die einzige Vertraute, die ich habe, das bist Du, Lindegard.“
Ich nickte, brachte aber kein Wort heraus.
„Es ist schön, dass Du hier bist“, schloss die Erlenfallerin nickend und wurde dann plötzlich sehr ernst, „Ich... ich... ich brauche deinen Rat, Lindegard. Und Du bist die einzige, der ich vertrauen kann.“
Kaum hatte sie diese Wort ausgesprochen, legte sich eine schmerzhafte Gänsehaut über meinen gesamten Körper. Irgendetwas stimmte hier nicht. „Wobei?“
„Bei...“, wollte sie gerade anheben, da trat die Novizin zu uns. Sie brachte verdünnten, kühlen Wein und einen Platte mit Hart- und Weichkäse, dazu Brot und einige frische Beeren und Äpfel. Sie stand auch noch geraume Zeit bei uns, dann jedoch schickte Perainidane sie weg. Minna schien darüber nicht glücklich. Sie warf mir einen bösen, vielsagenden Blick zu.