Geschichten:Der Name des Namenlosen - Aufkommende Finsternis
Dramatis Personae:
- Comtessa Simiona di Silastide-Marvinko, Herrscherin über Leihenbutt und Geweihte des Namenlosen im 3. Weihegrad
- Claudio di Conserrano, Geweihter des Namenlosen, und Liebhaber der Comtessa
»Dreizehn Ketten aus schierem Eternium, dem überschweren Gold der Götter, fesseln den Namenlosen Gott in die Große Bresche im Sternenwall, die er einst selber hineinriss. Tausend Meilen misst jede Kette und jedes Glied ist so groß wie ein Kriegsschiff und so schwer wie ein Berg. Sie singen, gespannt von der Kraft des Stärksten aller Götter, im Widerspruch von himmlischen Sphärenklängen und schrillem Zorn.«
–Aus der heiligen Originalfassung der Annalen des Götteralters, ca. 1400 v. BF
Burg Leihenbutt, am Abend des 30. Rahja 1031 BF
Die heiligen Tage waren in greifbare Nähe gerückt. Simiona spürte, dass dies die Zeit war, um Großes zu vollbringen. Den ganzen Tag hatte sie die Zeremonie vorbereitet, mit der sie die Namenlosen Tage würdig empfangen wollte. Dieses mal hatten sich sogar Geweihte und Diener des Dunklen Gottes von außerhalb angekündigt: ja, ihr Einfluss im Kult war enorm gestiegen. Bei dem was Kommen würde könnte sie jede Hilfe gebrauchen.
Ihre Späher hatten Ihr inzwischen zugetragen, dass Nimmgalf schon seit ein paar Wochen Bestrebungen hegte, um einen großen Heerbann zusammenzustellen, der weit mehr als nur die Truppen der Reichsforster Liga umfassen sollte. Dass Leihenbutt sein Ziel wäre, war völlig klar. Es galt nun geeignete Vorbereitungen zu treffen. Jedoch kreisten ihre Gedanken immer wieder um eine andere Sache. Seit mehreren Monden schon waren Jandor und Bartholomäus dabei, im Bergfried ein gewaltiges Sphärenportal zu bauen. Ein Tor, das ihr ermöglichen würde, in den äußeren Limbus vorzustoßen, und Kerbhold den Ketzer zu finden, der in seinem Äonengefängnis durch Zeit und Raum trieb. Simiona war sich gewiss, dass es viel mehr war als nur ein Mythos, oder eine Legende. Sie hatte in ihren Träumen schon seit längerem Visionen empfangen, die ihr den Ketzer angeschmiedet auf seinem Güldenen Thron zeigten. Schon seit langem hatte sie den festen Entschluss gefasst, ihn aufzusuchen, koste es was es wolle.
Gerade war sie wieder in Begleitung dreier Diener nach Burg Leihenbutt zurückgeritten, als sie von Claudios Rückkehr hörte. Die Nachricht freute sie sehr, hatte sie doch nicht mehr geglaubt, dass er ihren Auftrag noch rechtzeitig ausführen könnte. Sie übergab einem Stallburschen die Zügel ihrer weißen Stute und machte sich sogleich auf in ihr Palais, wo sie Claudio bereits erwartete.
Als sie eintrat, verflog ihre Vorfreude schnell, denn Claudio machte einen recht niedergeschlagenen Eindruck. Dementsprechend knapp fiel ihre Begrüßung aus: „Isch `örte, Du seiest zurückgeke’rt, Claudio. Rasch berischte mir: was ist gesche’en? Warst Du erfolgreisch? Konntest du die Trollklinge erlangen?“
Claudio blickte sie enttäuscht an und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, Simiona, aber dein Auftrag war in der kurzen Zeit nicht zu schaffen. Die von mir angeheuerten Leute konnten deinen Gatten zwar überwältigen und ihm die Klinge abjagen, jedoch haben sie das Kunststück fertig gebracht, sich von seinen Begleitern vom Zornesorden verfolgen zu lassen, und die Beute im anschließenden Kampf wieder einzubüßen.“ Er seufzte. „Heutzutage ist es wahrlich nicht leicht, einigermaßen brauchbares Personal zu bekommen.“
„Spar dir deinen Sarkasmus, Claudio!“, funkelte Simiona ihn wütend an. Ihr Blick traf ihn dermaßen ins Mark, dass er sich dabei unwohl fühlte. Schließlich war Simiona nicht gerade für ihren Langmut bei gescheiterten Aufträgen bekannt.
„Bart’olomäus `at mir immer wieder versischert, wie wischtig diese verdammte Klinge doch ist. Und nun ste’en wir mit bloßen `änden da. Isch bin sehr enttäuscht, Claudio!“ Sie ging ein paar Schritte bedrohlich auf Claudio zu, der sich aufrichtete und langsam in Richtung des Kamines zurückwich. Seine Sinne waren aufs Äußerste gespannt, als er ein leises Klacken hörte: Simiona bereitete etwas hinter ihrem Rücken vor, und er konnte sich nur allzu gut denken was.
„Isch dulde kein Versagen!“, knurrte sie und zog ruckartig ihre Balestrina hervor, die sie ihm an den Schädel hielt. Claudio kniff die Augen zusammen. „Warte! Nicht ... ich ... ich kann es dir doch immer noch auf andere Art ...“
„Au revoir, mon ami!“ Sie drückte den Abzugshebel durch.
Es klackte laut, doch nichts weiter geschah. Die Waffe war nicht geladen. Für ein paar Herzschläge war nur Claudios Schnaufen zu hören. Simiona drehte sich um. „Wenn Du das nächste mal versagst, ist sie geladen, verstanden?“ Sie schritt aus dem Kaminzimmer. „Si..., Simiona, was hast Du jetzt vor?“, rief Claudio ihr nach.
Sie verharrte für einen Moment. „Komm mit, isch werde dir zeigen, was isch vor’abe.“ Claudio folgte ihr aus dem Burgpalais. Seine Gedanken rasten.