Geschichten:Der Neuanfang
Einige Wochen sind ins Land gezogen, seit Tsaiana von Waldfang-Angerwilde die Burg Ihrer Tante erreicht hatte. Das Wiedersehen mit Tsaburga war nicht grade herzlich, da diese sich noch immer nicht auf dem Weg der Besserung befand. Ihr Körper schien ein einziges Gebrechen und ihr Geisteszustand erinnerte sie nur zu schmerzlich an den ihres Vaters. Sie war sich nicht einmal sicher, dass ihre Tante sie erkannt haben mochte. Sie schien im Fieberwahn zu halluzinieren, verkrampfte sich und schrie ab und an auf. Es dauerte noch einige Tage bis das Fieber verging und Tsaiana ihre Tante in den Arm nehmen konnte. Sie hatte die letzte Nacht neben ihr gebetet und war dabei eingeschlafen. Die Zofe hatte sie nicht wecken wollen und eine Decke über sie gelegt. Sie öffnete am Morgen die Augen, irgendwas hatte sich bewegt. Es war ihre Tante, die nun aufrecht im Bett saß und sich verwirrt umschaute. „Tante!" Tsaiana kamen die Tränen. Sie fiel ihr um den Hals. „Ich habe mir schreckliche Sorgen um Euch gemacht!" Verwirrt schaute Tsaburga von Waldfang-Angerwilde auf die junge Frau herunter. „Wer seid ihr, dass ihr mich Tante nennt? Und wie komme ich hier her?" „Ich bin es, Tsaiana. Es ist lange her, aber ich bin es." „Tsaiana? Was ist denn geschehen?" „Das ist eine lange Geschichte." Doch bevor Tsaiana anfangen konnte, schienen die Augen Tsaburgas zu verschwimmen, sie sackte zurück in die Kissen und murmelte unverständliche Worte. Der Geweihte, der sie seit ihrem Auffinden gepflegt hat, hatte zwar in seinem Brief geschrieben, dass sie die Geschäfte vorerst nicht wahrnehmen konnte. Doch so bemitleidenswert hatte sie den gesundheitlichen Zustand ihrer Tante nicht eingeschätzt. Doch was half es, darüber zu trauern, bei Tsa, es war die Zeit eines neuen Anfangs. Und auch ihre Tante würde genesen, auch wenn es lange dauern sollte. Doch dies war ein hoffnungsvoller Anfang.
Der Vogt der Hornburg bemühte sich sichtlich, Tsaiana sämtliche Unterlagen der laufenden Geschäfte zusammenzustellen, um einen Überblick zu ermöglichen. Es war nicht einfach, ins kalte Wasser geschmissen zu werden und von einem Tag auf den nächsten eine Baronie zu verwalten. Entscheidungen mussten getroffen, Gelder verwaltet und Anweisungen gegeben werden. Allein die Bereitstellung evtl. weiterer Plätze, wo Flüchtlinge lagern konnten, war ein Problem. Wohin? Zu viele Fremde sollten sich nicht ballen. Das würde nur Misstrauen und Unmut der Alteingesessenen hervorrufen. Barulf, der alte Vogt, kannte sie noch aus Kindertagen. Er grübelte öfters, ob sie das wohl meistern würde, wirkte aber doch recht zuversichtlich. Es lag eben an ihm, diese junge Frau einzuweisen und ihr das Geschäftliche beizubringen. Sie bemühte sich auch sichtlich, aber es war doch alles trockene Theorie. Aber bei Problemen war Barulf sofort zur Stelle und manövrierte den Geist Tsaianas in die richtige Richtung. Sie speiste sooft es ging im Beisein ihrer Tante. Diese wurde von einer Zofe rund um die Uhr gepflegt und versorgt. Das war nicht grade leicht, denn Tsaburga war gewiss nicht die einfachste Person. Daran sah man dann doch ab und an, dass noch lichte Momente in ihr waren. Des Öfteren kam es zu Disputen zwischen Tsaburga und der Zofe Margott. Wenn es Essen gab und Tsaburga, mit würdevollem Gesicht darauf bestand, dass sie selber die Gabel zu führen vermochte, ihre Feinmotorik allerdings eher einen Stich in ihr Auge vollführen würde. Tsaiana war es, allen Zwölfen sei Dank, bisher immer gelungen ihre Tante zu besänftigen, mit der Aussicht, dass sie bald genesen sei und solange doch der armen Margott das Leben nicht so schwer machen sollte. Sie sollte es würdevoll ertragen. Immerhin sei sie eine Waldfang-Angerwilde. Das konnte ihre Tante nicht abstreiten und fügte sich, wenn auch widerwillig, der Führsorge Margotts.
An einem Morgen entschloss sich Tsaiana auch spontan, zusammen mit dem Vogt Barulf durch die Baronie zu reiten, zumindest die nähere Umgebung wollte sie erkunden. Sie wollte alte Erinnerungen auffrischen und sich einen Überblick über Land, Leute und das allgemeine befinden dieser verschaffen. Vielleicht würde sie gar ein paar bekannte Gesichter aus Kindertagen wiedersehen? Und sich bei dieser Gelegenheit auch gleich vorstellen. Silberschweif war auch sehr erfreut, mal wieder auszureiten, er war recht ungestüm, ließ sich aber nach einigen Ausbruchsversuchen maßregeln.
In Waldfang direkt beschaute sie eingehend die noch defekte Stadtmauer und überlege, wie diese am effektivsten wieder in Stand zu setzen war. Die momentanen Finanzen ließen, nach erster Prüfung, zwar Geld übrig damit anzufangen, aber waren andere Dinge schlicht wichtiger. Allein die Landflucht Vertriebener die seit einiger Zeit hinter der südlichen Stadtmauer ihr Lager aufgestellt hatten, begutachtete sie eindringlich. Es waren zumeist einfache Bauern und Handwerker. Sie war sich unsicher, was sie in dieser Hinsicht machen sollte, aber dafür war morgen auch noch Zeit. Heute wollte sie nur einen Eindruck darüber gewinnen, was getan werden musste. Sie nutzte den Besuch auch gleich, dem kleinen Tempel der ewig jungen Göttin zu besuchen und Elvira Tsatreu ihre Aufwartung zu machen, war sie doch familienbedingt sehr tsaverbunden. Es war gegen Mittag, als sie den Tempel betrat. Beim betreten stachen ihr sofort die schönen Wandgemälde mit ihren bunten Farben in die Augen. Das Licht, welches durch einige Fenster fiel, beleuchtete einige Prismen, die im Raum verteilt waren. Bunte Regenbögen tanzten an den Wänden. Ein Schrein zu Ehren der jungen Göttin war farbenfroh geschmückt. Eine kleine Opferschale war neben dem Eingang aufgestellt. Tsaiana spendete ein Silberstück und trat zum Schrein vor, um zu beten.
„Ein neues Gesicht? Hier in dem Tempel der ewig jungen Göttin? Es ist mir eine Freunde, Euch hier begrüßen zu dürfen." Tsaiana erhob sich und schaute in das lächelnde Gesicht der Geweihten Elvira Tsatreu. Barulf hatte sie bereits beschrieben, die langen, rotblonden Locken waren tatsächlich ziemlich wuschig. Es war lange her, seid sie das letzte Mal hier war. Tsaiana deutete eine Verbeugung an. „Tsa zum Gruße, Euer Gnaden. Mein Name ist Tsaiana von Waldfang-Angerwilde, die Nichte der Baronin Tsaburga von Waldfang-Angerwilde. Ich bin hierher gereist, um mich vorerst um die geschäftlichen Dinge der Baronie zu kümmern. Da meine Familie der jungen Göttin schon seit langem sehr nahe steht, wollte ich mich persönlich vorstellen." Die Geweihte musterte die fremde Frau kurz und lächelte dann noch freundlicher:" Es ist auch mir eine Wohltat zu sehen, dass in unserer kleinen Baronie nun ein neues Kapitel anfängt, nämlich das Eure. Frischer Wind ist uns immer willkommen. Es ist einige Götterläufe her, seit ich Euch das letzte Mal sah. Damals wart ihr noch recht jung, 12 Sommer meine ich mich zu erinnern." „Habt dank für diese stärkenden Worte, ich werde mein möglichstes versuchen. Und ja, eure Erinnerung stimmt genau. Möge die Göttin uns beistehen. Doch nun muss ich weiter. Gewiss werde ich wiederkommen. Gehabt Euch wohl." Mit diesen Worten verließ Tsaiana den Tempel. Die Geweihte schaute ihr nachdenklich nach, lächelte spitzbübisch und widmete sich kurze Zeit später einer neuen Aufgabe.
Draußen wartete Barulf mit den Pferden. „Auf, Barulf, wir haben noch einiges vor heute. Gehen wir es an." Mit neuem Tatendrang ritt sie voran. Irgendwie würde das alles schon klappen, dass hoffte sie zumindest. Ansonsten stattete sie an diesem Tag noch dem Traviatempel einen Besuch ab, ebenso dem Peraineschrein etwas außerhalb. Den recht neuen Rondraschrein in der Burgkappelle besuchte sie ohnehin sooft es ging.