Geschichten:Der Pfalzgraf erntet den Sturm - Teil 1

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Grafschaft Hartsteen, Reichsgau


„Warum hast du mich entführt?“

Die Stimme des Mädchens war voller Neugier, aber auch beladen mit Trotz und Wut. Bernhelm von Wetterfels setzte ein ernstes Gesicht auf und blickte die Kleine durchdringend an.

Ariescha stocherte mit ihrem Messer in den Resten des Lammbratens herum und legte das Besteck schließlich zur Seite. „Na, jetzt sag schon.“

Der Graf lächelte. „Ganz einfach, Kleine. Dein Vater und seine Freunde, die Pulethenaer, haben mich einer Tat bezichtigt, die ich nicht begangen habe. Du weißt doch, wer die Pulethaner sind, oder?“

Die junge Nebachotin nickte selbstgefällig. „Natürlich.“

„Sie behaupten ich hätte ein Attentat auf sie verüben lassen in Breitendorf..., oder Breitenhof, oder wie auch immer dieser von allen Göttern verlassene Flecken in Greifenfurt heißen mag. Und daher rührt dieser ganze....“

Ariescha unterbrach ihn frech: „Und du warst es natürlich nicht.“ Sie legte den Kopf schräg und blinzelte so herablassend wie eine Neunjährige es nur konnte.

Doch Bernhelm ließ sich nicht beeindrucken. „Du hast ein erstaunlich loses Mundwerk, junge Edeldame.“ Er lachte kurz und hielt sich den dicken Bauch.

„Ich hatte gar keinen Grund Deinem Vater etwas zu tun. Und seine Kumpane kannte ich bis dato kaum. Es ist richtig, dass sie mich mit ihrer arroganten Art verärgert haben, aber deswegen versuche ich doch nicht sie ermorden zu lassen! Du warst doch bei dem Kampf auf der Strasse dabei.“

Sie sprang empört auf. „Ja, da hast du einfach Yiran umgebracht!“

Bernhelm runzelte die Stirn. „Setz dich wieder hin, so lange ich mir dir rede! Hat man dir den gar keine Manieren beigebracht in Nebachot?“ polterte er erzürnt.

Mit einem breiten Schmollmund nahm Ariescha zögerlich wieder Platz.

„Na also,“ seufzte Bernhelm. „Ich habe diesen Bastardsohn nicht ermordet. Ich bat ihm an sich zu ergeben, damit ihm kein Leid geschehen sollte, doch er lehnte ab. Habe ich die anderen umgebracht, nachdem sie die Waffen gestreckt hatten?“

Ariescha schwieg, denn Bernhelm hatte in der Tat Milde walten lassen und niemandem ein Haar gekrümmt, der sich ergeben hatte und sie wusste nicht, ob ihr Vater ebenso gehandelt hätte.

„Dieser Nebachote kämpfte mutig und tapfer – es hat der Herrin Rondra sicher wohl gefallen. Aber sie schenkte mir den Sieg im ehrenhaften Zweikampf.“

Ariescha wollte sofort etwas erwidern, doch sie stockte. Yiran war schwer verwundet in den Zweikampf gegangen. Von einem ehrenhaften Zweikampf konnte kaum die Rede sein, aber selbst ihr war klar gewesen, wie töricht Yiran sich dabei aufgeführt hatte. Doch sie verdrängte diese Tatsache sofort wieder. „Du hattest kein Recht uns zu überfallen!“ schrie sie, vor Wut bereits rot angelaufen. Bernhelm lachte erneut. „Und welches Recht hatten die Pulethaner mit einer kleinen Streitmacht vor meiner Burg zu erscheinen und mich zu bedrohen? Nur aufgrund von Gerüchten und Lügen? Nein, meine holde Dame, ich bin im Recht. Der Herr Praios steh’ mir bei! Die Pulethaner haben diesen Konflikt vom Zaun gebrochen! Aber ich lasse mich von diesen Halunken nicht so ohne weiteres in die Knie zwingen.“

Ariescha schwieg erneut. Ihr Vater hatte ihr wenig über diese Dinge erzählt, denn schließlich war sie ein kleines Mädchen und er hatte reichlich Söhne, die er mit dem Kriegshandwerk betraute. Langsam kämpften sich jedoch die Tränen ihren Lauf. „Und wieso hast Du Al’Baran’e getötet?“

Bernhelm seufzte. „Das war niemals meine Absicht gewesen. Ihr Mörder hat seine gerechte Strafe schon erhalten, aber das wird sie nicht wieder lebendig machen, das weiß ich wohl.“

Das Mädchen unterdrückte die Tränen und blickte kurz zur Seite. „Doch zurück zu deiner Frage, edle Ariescha. Dich habe ich in meine Obhut genommen, um deinem Vater eine Lehre zu erteilen. Ich hoffe, dass er nun etwas besonnener wird, jetzt, da du dich in meiner Gewalt befindest.“

„Und wenn mein Vater nicht tut, was du willst...“ sie stockte kurz, „dann bringst du mich bestimmt um, oder machst sonst was für schlimme Sachen mit mir.“

Sie schluckte schwer und wurde etwas kleinlauter, als ihr zum ersten Mal wirklich bewusst wurde, in welcher Lage sie sich befand.

Bernhelm erhob sich ein Stück weit und lehnte sich bedrohlich über den Tisch. „Genau! Wenn dein alter Herr sich nicht zu benehmen weiß, hängen wir dich in einem stählernen Käfig über die Burgmauer und warten bis die Raben und Krähen dich gefressen haben!“

Eingeschüchtert sank Ariescha noch tiefer in ihren Stuhl. Die dunklen Augen des Pfalzgrafen funkelten bösartig und gnadenlos.

Doch dann hellten sie sich auf und der breite Mund Bernhelms verzog sich zu einem Grinsen. Er ließ sich schwerfällig auf seinen Stuhl plumpsen und sein lautes, kräftiges Lachen hallte durch den Saal. Die Diener zuckten unwillkürlich zusammen und entspannten sich kurz darauf wieder.

„Du hältst mich wirklich für ein Ungeheuer, nicht?“ prustete er. „Natürlich werde ich dir nichts tun, Dummerchen. Ich ermorde keine wehrlosen Kinder. Sonst würde man mich ja Kinderfresser und nicht Ogerfresser nennen, oder?“

Er hob seinen Pokal und brüllte: „Mehr Wein!“

Einer der Diener eilte herbei und schenkte aus einem irdenen Krug tief roten Rebensaft nach.

„Noch einen Schluck Wein, junge Dame?“ fragte der Graf nun wieder höflich. Ariescha schüttelte immer noch verschüchtert den Kopf.

„Kann ich ausreiten?“ fragte sie zögerlich.

Der Graf seufzte. Es war dumm ihr so viele Freiheiten zu gewähren, aber er konnte das kleine Balg besser leiden, als ihm lieb war. Sie war störrisch wie ein Maulesel, vorlaut, frech und unziemlich aufbrausend. Genau nach seinem Geschmack. Schwermütig dachte er an seine lange schon zu Boron gegangene Gemahlin und die Tochter, die sie auch einst hatten.

Die kleine Firunja mit dem dunklen Lockenschopf hatte ihn und die Mutter auch stets auf Trab gehalten. Mit vier Götterläufen war sie eines Nachts an Fieber erkrankt und dann nur zwei Tage später zu Boron gegangen.

Bei der Geburt des Sohnes war dann Bernhelms Frau verstorben und auch das Kind war nicht stark genug gewesen. So blieben ihm nur noch ein Bruder in Königlich Serrinmoor und ein Vetter.

„Gut, du kannst eine Stunde ausreiten. Ich werde den Junker von Firunshöh anweisen dich zu begleiten.“

Auf diese Weise würde auch der Eindruck verstärkt, dass die Kleine tatsächlich sein Gast und nicht sein Faustpfand war. Mit einem artigen Knicks zog sich das Mädchen von einem Diener eskortiert zurück und Bernhelm saß noch einige Zeit allein an der langen Tafel und grübelte über längst vergangene Zeiten.