Geschichten:Der Ruf des Einhorns - Brief an die Geweihtenschaft des Nandus
Seit langer Zeit befinden sich die Menschen gefangen in Aberglauben und blindem Gehorsam gegenüber einer gesellschaftlichen Ordnung, deren Ziel von jeher die Knechtschaft des Volkes durch die Hand weniger ihrer Geburt wegen Privilegierter und die Geheimhaltung tiefer göttlicher und mythologischer Wahrheiten vor den Augen des Volkes im Missbrauch des Namens des Götterfürsten und des Zwölfer Pantheon, wie es durch Menschenwort festgelegt wurde im Edikt des Horas-Kaiser Silem achtundneunzig Jahre vor dem Fall des tausendtürmigen Bosparans.
Längst besteht unsere Aufgabe nicht mehr nur darin, in jedem Menschen unabhängig von Stand und Geburt den Wunsch zur Teilhabe an einer gerechten und für alle in gleicher Weise angenehmen Daseinsform zu erwecken, denn ohne den freien Zugang zu den Quellen des Wissens und der Erleuchtung verkümmert ein jedlicher freier Wille und gerät in die Gefahr durch mannigfaltige Einflüsterungen auf eine falsche Fährte gelockt zu werden, wo anstelle eines eigenen reflektierten Urteils ein fremdes unterdrückendes Dogma lauert.
Als unsere wichtigste Aufgabe gebietet uns der göttliche Nandus zu helfen die versperrten Wege zu den logischen Urgründen des Kosmos wieder zu öffnen und mit frohem Mut die allgegenwärtigen Hindernisse zu beseitigen, auch auf die Gefahr hin von den Hütern einer unterdrückenden Herrschaftsmoral als arglistige Störenfriede beschimpft und mit den äußersten Mitteln bekämpft zu werden.
Mut und Kraft aber schöpfen wir aus dem gesammelten Wissen und den bereits erlangten Erkenntnissen unserer Brüder und Schwestern der klugen Göttin Hesinde, die mit offenen Augen die Welt bereisen und allen Ortens nach Wissen und Erleuchtung streben, wenngleich sie sich damit begnügen die gewonnenen tiefen Erkenntnisse für sich in ihren Büchern zu verbergen und sich der gerechten Forderung des Sohnes Hesindens widersetzen, alles gewonnene Wissen zu teilen und jedem Menschen zu seinem eigenen Wohl zugänglich zu machen.
Sieben mal acht Jahre sind nun vergangen, seitdem der gelehrte und vielgereiste Diener der Schlange Hesindian Quandt auf seiner Suche nach den geheimen Trollpfaden verschollen ist und uns ein Erbe unschätzbaren Wertes und großer Weisheit hinterlassen hat, welches heute in geheimen Bibliotheken der Hesinde und des Praios vor den Augen des Volkes verborgen gehalten wird, um die Erweckung seines reinen Willens und den drängenden Wunsch nach einer wahrhaft gerechten Herrschaft zu unterdrücken.
Gerade aber in einer Zeit voller politischer Unsicherheiten und der noch weitaus größeren Gefahr eines durch die Verlockungen einer auf dämonischer Simplifizierung basierenden falschen Abkürzung der Erkenntnisprozesse dräuenden Untergangs der gesamten Menschheit, begründet in den falschen und unreflektierten Entscheidungen einiger weniger einzig durch die Gunst der Geburt und eben nicht durch die Stärke ihres Intellekts an die obersten Stelle der Verantwortung Gespülten, ist es von größter Notwendigkeit sich auf den Urgrund eines jeden Herrschaftsanspruchs zu besinnen.
Richtige und wahre Herrschaft kann niemals aus einer kontingenten Quelle, wie sie die Geburt oder der Stand sind, hervorwachsen, sondern nur aus Notwendigkeit der Einsicht in die tatsächlichen Formen der Wirklichkeit und des Daseins, so dass der wahrhaft zur Herrschaft Bestimmte sich nur durch den fairen Wettkampf aller durch den freien Zugang zu allen Wissensquellen und durch selbstlose und gerechte Lehrer geförderte Menschen ergeben kann, seinen individuellen geistigen Fähigkeit entsprechend und zum Wohle des gesamten Volkes.
Um aber einen solchen Wettbewerb zu gewährleisten bedarf es in einer Gesellschaft der allgegenwärtigen Verschränkungen und ganzheitlichen Unterdrückung ein klares Wort und öffentliches Bekenntnis, damit vor allem jene von der Wahrhaftigkeit unserer Absicht überzeugt werden, die bisher jede gerechte Herrschaft zu verhindern suchten und sich vielmehr durch das Licht der Erkenntnis über die wahren Sachverhalte erleuchtet unserer Sache anschließen.
Nicht zur Revolution gegen die bestehende Ordnung wollen wir aufrufen, sondern die Menschheit zu einer Reform der Gesellschaft motivieren, in welcher Amt und Würden nicht den zur Herrschaft Untauglichen vorbehalten werden, sondern die Regierung des Menschen durch eine vernünftige Auswahl der für diese Aufgaben geeignetsten und fähigsten Häupter gestellt wird.
Das Reinigungsfest steht uns in wenigen Tagen bevor und so rufe ich alle meine Brüder und Schwestern im Glauben an die Weisheit und die Erkenntnis auf, sich zum Prüfungsfest des nächsten Götterlaufes zu der in diesem Brief verborgenen Stadt zu pilgern und in großer Zahl zu versammeln, um der großen Offenbarung des Willens Nandus beizuwohnen und dem dort versammelten Volk die Geheimnisse ihres Daseins als Lehrer aufrechten Willens zu deuten und zu erklären, damit sie auf dem Pfad der Erkenntnis voranschreiten mögen einer frohen Zukunft entgegen.