Geschichten:Der Ruf des Einhorns - Nieder mit den Zwölfen!
Reichsstadt Eslamsgrund, 30. Efferd 1036 BF, am Mittag
„Und wie geht es Vater?“
„Unerträglich wie immer, liebe Nichte. Aber das wird dich ja nicht überraschen.“
„Vielleicht solltest du ihm ein Geschenk von mir mitbringen. Diese Tuniken sehen doch nicht schlecht aus.“ Kormilla von Rond blieb an einem Kleidungsstand stehen und begutachtete die Stoffe.
Angrist von Rond war seit gestern in der Grafenstadt um einige Dinge zu regeln, und hatte sich für diesen Mittag Zeit für seine Nichte genommen, um gemeinsam den belebten Markt zu begehen.
Sein Knappe Kunibald Praioslob von Eychgras begleitete den Ritter vom Falkenhof und schaute sich dabei staunend den großen Markt und seine Attraktionen an. Schmunzelnd stellte Angrist die Faszination seines jungen Knappen fest.
„Ganz schön was los hier, nicht wahr?“
Kunibald brauchte einige Augenblicke, bis er sich von einem Stand für exotische Süßwaren aus dem Süden losreißen konnte, um die Aufmerksamkeit seinem Herren zuzuwenden. „Ohja, es ist alles so laut und bunt. Viel größer als der Markt in Falkenstein.“
„Na los, sieh dich um. In einer Stunde treffen wir uns am Rand des Marktplatzes wieder.“ Während der Gong des Praios eine volle Stunde ankündigte, gab Angrist dem Knappen grinsend einen Wink zu verschwinden.
Freudig nickend dankte Kunibald seinem Schwertvater und verschwand sogleich in der Menge.
Da wurde Angrist auf die Stimme des Geweihten aufmerksam und blickte zum Balkon hinauf.
Die Rede war hochgestochen und nur durch genaues Zuhören zu verstehen. Wie Angrist diese Gelehrtensprache missachtete. Langwieriges um den heißen Brei herum reden, um die Zuhörer so sehr zu verwirren, dass sie ganz vergessen haben, worum es eigentlich ging. Während er versuchte der Rede zu folgen, wurde Angrist an seinen Lehnsherren Haduwulf von Falkenstein erinnert. Nicht wegen des aufrührerischen Inhalts, sondern weil sich Angrist neben ihm genauso ungebildet vorkam, wie ein Praiostagsschüler seinem Lehrer gegenüber.
Mit jedem Wort verfinsterte sich Angrist Miene immer mehr. Fassungslos schüttelte er den Kopf über diesen ideologischen Wahnsinn. Jeden Moment erwartete Angrist, dass die Grafengarde diesem Irrsinn ein Ende bereitete, doch es war niemand zu erkennen, der dagegen etwas unternehmen wollte.
Als dann auch noch Hochrufe in der Menge ertönten, versuchte der Ritter die Gesichter der einzelnen Beifallsstürmer zu erkennen, was sich bald als schwierig erwies, denn immer mehr Rufe ertönten um ihn herum und fachten die Menge weiter an. Bald schon erklang der Name Yesatans, ein Name der nur eine dumpfe Erinnerung aus dem Geschichtsunterricht in Angrist regte. „Yesatanische Wahrheiten“ bezeichnet sein Lehnsherr jene Aussagen, welche vermeintlich große Erkenntnisse beherbergen, aber in Wirklichkeit nur auf einem wackeligen Gerüst aus Schein und Trug gebaut sind. Aber was hatte es mit Yesatan auf sich?
Angrist versuchte sich zu erinnern, während er die gereckten Fäuste, die umhergehenden Schmähschriften und die aufgebrachten und mitgerissenen Gesichter in der Menge betrachtete. Plötzlich fiel es ihm siedend heiß wieder ein. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er erkannte, dass die Menge gerade dabei war, die göttergewollte Ordnung aus den Fugen zu reißen.
Angespannt blickte der Ritter sich langsam um. Er fühlte sich, wie einst seine Vorfahren, umzingelt von Feinden.
Als er plötzlich am Arm gepackt wurde, wirbelte er herum und holte mit der Faust aus. Doch er hielt inne, als er Kormilla erkannte, die ihn fassungslos anblickte. „Was sollen tun wir, Onkel?“
„Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen.“ Erklärte er knapp und sah sich suchend um. Bald schon hatte er seinen Knappen erblickt, der ebenso gebannt wie jeder andere die Rede mitverfolgt hatte und nun in die gleiche prekäre Situation geriet, wie Angrist und Kormilla selbst. Ruppig bahnte er sich seinen Weg durch die Menge und packte den Knappen am Arm, als er ihn erreicht hatte. Erschrocken wie ein Reh bei der Hatz, schaute Kunibald seinen Schwertvater an.
„Verschwinde von hier! Lauf zum Grafenschloss, und berichte ihnen was hier vorgefallen ist.“ Erklärte er dem Jungen, welcher immer noch versuchte seine Fassung wieder zu sammeln.
Die Schreie um sie herum wurden geeinter, zielgerichteter…aggressiver.
„Hast du mich verstanden?!“ mit deutlichen Nachdruck schüttelte, der Ritter seinen Knappen zur Besinnung.
„Äh…ja… ähm, zum Grafenschloss…und was macht ihr?“ hakte der Junge unsicher nach.
„Unsere Pflicht!“ sagte Angrist und gab dem Jungen einen Schubs. „Na los, weg hier!“
Langsam stolperte Kunibald los und warf noch mehrmals einen Blick zurück. Bald aber war er für Angrist in der Menge nicht mehr zu sehen.
In Gedanken betete er zu den Zwölfen, dass dem Jungen nichts passieren würde und gab dann seiner Nichte einem Wink ihm zu folgen. „Macht dich bereit uns den Weg frei zu kämpfen, wenn es sein muss.“ Instruierte er Kormilla unterwegs zu einer übersichtlichen Stelle am Marktplatz.
Sein Vorhaben war riskant, denn die Menge heizte sich von Minute zu Minute immer weiter auf. Doch so waren die Ronds nun mal. Standhaft wie Türme in einer Flut von Feinden.
Insgeheim war Angrist aber froh, dass sein Bruder nicht anwesend war, denn dieser würde den Nandusgeweihten vermutlich mit einem Speerwurf vom Balkon holen und damit die Lage weiter aufwiegeln.
Nein, nun war es vielmehr an der Zeit für Angrists Talent für die so ronduntypische Diplomatie. So hoffte er zumindest.
Ein robustes Fass neben dem Stand eines Bierbrauers, schien ihm geeignet für seine Zwecke. Schnell stieg er drauf und drehte sich zu der Menge, die ihm noch keine Beachtung schenkte. Er brauchte etwas, um die Aufmerksamkeit zu gewinnen.
„Nieder mit den Zwölfen!“ brüllte er mehrmals der Menge zu.
Für manche jedoch schien es nur ein neuer Sprechchor zu sein, und so bedarf es einiger Momente bis die am nächsten stehenden Leute verstanden, was dort hinter ihnen gebrüllt wurde. Nach und nach drehten sich weitere Menschen dem Ritter zu, der die gar götterlästerlichen Parolen schrie.
„Wendet euch von den Göttern ab! Verhöhnt die Zwölfe! Sie haben keine Macht über uns!“
Angrist blickte in fassungslose Gesichter. Für einen Moment verließ ihn der Mut. Er bekam Zweifel, dass dies der richtige Weg sei, die Menge umzulenken. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Er sah zu seiner Nichte, welche angespannt mit dem Rücken zu ihm stand, die Hand lag bereits auf dem Schwertgriff, bereit jeden Angreifer auf sie oder Angrist zurück zu schlagen. Der Anblick schenkte ihm wieder etwas Mut.
„Nieder mit den Zwölfen! Das ist es was ich euch hier rufen höre. Ein Hohn gegen die Götter, nichts anderes. Ihr seid alles Ketzer im Angesichte Praios! Ihr wollt die göttergegebene Ordnung umwerfen, weil ihr unzufrieden seid? Ihr wollt lieber im Chaos versinken, weil euch die Götter zu hart geprüft haben?“
Sein Blick schweifte die Menge, unabhängig davon wie die Menge reagierte, war er soweit ganz zufrieden mit sich selber. Langsam wuchs er in seine eigene Ansprache hinein.
„Dann sei es so! Wendet euch ab! Denn wenn ihr euch Eslamsgrunder oder Garetier nennt, dann will ich keiner mehr sein. Einen Garetier zeichnet nämlich aus, dass egal wie hart sein Schicksal ist, er dennoch die Zähne zusammen beißt und sein Schicksal erträgt, wie es Praios vorgesehen hat.
Die Schwachen sind es, die sich von ihm abwenden und in die Niederhöllen fahren. Ist es das, was ihr wollt?!“
Er blickte sich kurz um, und ließ die Leute einen Moment zum Überlegen.
„Ich kann verstehen, dass ihr die letzten Jahrzehnte zahlreiche Entbehrungen hattet. Wer hatte das nicht? Doch ihr dürft nicht zulassen, dass sich die Verzweiflung in eure Herzen schleicht!
Auf jeden noch so schweren Sturm, folgt Sonnenschein. Das weiß jedes Kind. Und desto länger die Finsternis anhält, desto ersehnter begrüßen wir den Tag.
Doch in diesen schweren Zeiten können wir nur gemeinsam bestehen. So wie das Schwert nur unter der Führung eines Kämpfers zum tödlichen Instrument wird, nur so können wir unsere Feinde geeint unter der göttergewollten Führung besiegen.“
Ein kurzer Blick zu Kormilla. „Mach dich bereit.“ Raunte er ihr leise zu. Kormilla nickte gefasst.
„Darum tut Buße für eure lästerlichen Rufe! Tut Buße und streift diese götterlosen Gedanken ab, auf dass die Zwölfe mit euch erbarmen haben.
Diese Aufwiegler aber…“ seine Hand ruckt gen Balkon „…haben sich gegen die Götter und das Reich versündigt. Darum fordere ich jeden göttergefälligen Bürger auf, diese Leute zu ergreifen und der Gerichtsbarkeit zu übergeben!“
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