Geschichten:Der Stachel des Mantikors - Sorgen und Nöte
Rondriana stürmte den Weg zur Burg hinauf. Alrik und Haldan, ihre beiden Novizen, hatten den Korpriester gesehen, als er in die Burg eingelassen worden war. Und je länger sie darüber nachdachte, desto unheimlicher wurde ihr das Ganze. Schließlich hatte sie es nicht mehr ausgehalten und sich auf den Weg die wenigen Meter bis zur Burg gemacht. Dass sie dabei am Burgtor auch noch einem der Diener begegnet war, der nun einen Medicus herbeischaffen sollte, ließ sie übles ahnen. Mit großen Schritten eilte Sie die Freitreppe am Palas hinauf; das eilig gegürtete Schwert schlug ihr dabei gegen Bein und Hüfte. Dass Sie sich des Kettenhemdes schon nach der abendlichen Andacht entledigt hatte, kam ihr nun in der Eile zugute, würde sich bei einem eventuellen Kampf aber als hinderlich erweisen. Doch was sollte es, sie wollte Gewißheit haben.
An der Tür traf sie auf die vier Soldaten, die den bewußtlosen Korgeweihten auf einer behelfsmäßigen Bahre nach draußen zu schaffen.
“Was ist passiert?” fragte sie außer Atem.
“Er hat den Baron niedergeschlagen”, antwortete einer der Soldaten. “In der Halle”, ergänzte ein anderer.
Rondrina eilte weiter. Nervös riß sie die Tür zur Hohen Halle auf und stürmte hinein. Der Anblick des blutbesudelten Bodens ließ sie würgen, doch sie zwang das Gefühl herunter.
Sinya hockte noch immer neben ihrem Gemahl. Mit einigen stillen Gedanken dankte sie ihrem Gott, der sie im Augenblick der Not nicht verlassen hatte. Just als sie geendet hatte, trat Rondrina neben sie.
Erleichtert atmete die Schwertschwester auf, als sie erkannte, dass ihr Bruder noch am Leben war. Noch ehe sie etwas sagen konnte, erhob sich Sinya. “Laß ihn uns nach oben bringen”, sprach sie leise zu Rondrina. Die Schwertschwester nickte. Gemeinsam trugen sie Wulf hinauf in die barönlichen Gemächer und legten ihn auf das Bett.
“Danke für Deine Hilfe” sagte Sinya. “Alles weitere schaffe ich schon allein. Cern kann Dir alles weitere berichten; ich denke doch, Du willst wissen, was geschehen ist.”
Rondrina nickte und wandte sich ab. Sie hatte vollstes Vertrauen zu ihrer Schwägerin, die wie sie selbst eine Dienerin der Zwölfe war. Zudem verstand sie, das Sinya lieber allein sein wollte; dafür kannte sie sie lange und gut genug. Dennoch, ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen, wenngleich es letztlich nicht so schlimm gekommen war, wie sie gedacht hatte.
Nachdem Rondrina das Gemach verlassen hatte, atmete Sinya tief durch. Schon immer war sie der Meinung gewesen, dass die Empfindungen ihres Gatten für die Kirche des blutigen Rondrasohnes irgendwann Schwierigkeiten bedeuten würden, doch dass es so bald und auf diese Weise geschehen war, erschütterte sie zutiefst. Sie hoffte inständig, dass es Wulf ein Lehre sein würde. Sie liebte ihn, schon so viele Jahre nun, und um nichts auf Deren mochte sie ihn verlieren. Ihr fester Glaube hatte ihr in dieser Nacht – denn inzwischen hatte sich die Dunkelheit vollends über Stadt und Land gelegt – geholfen, wie schon manch anderes mal in ihrem Leben, während Wulfs Glaube ihn beinahe umgebracht hatte. Mochte er sich doch bloß wieder der Herrin Rondra zuwenden!
Genug gegrübelt, schalt sie sich selbst. Vorsichtig zog sie Wulf Hemd und Hose aus; dass ersteres dabei zerriß störte sie wenig, es war durch die Verletzung ohnehin ruiniert. Ein Glück, dass die Diener bereits kleinen Kohleofen angemacht hatten, so war der Raum angenehm warm, Wulf würde sich nicht unterkühlen. Auch der Krug Wasser, der auf dem Ofen stand, war dadurch bereits angenehm temperiert. Zusammen mit einer Schüssel und einem Tuch trug sie den Krug hinüber zum Bett und begann, die Wunden auszuwaschen.
Als sie beinahe fertig war, klopfte es an der Tür, und Taria, ihre Zofe, steckte den Kopf hindurch. “Herrin, der Medicus ist da”, verkündete sie. “Euer Bruder, der Hauptmann, ließ nach ihm schicken. Soll er eintreten?”
Sinya nickte. “Jaja, nur herein mit ihm, er kommt gerade recht. Und sei so gut, mir noch einen Krug warmes Wasser und ein paar saubere Tücher zu bringen!”
“Wie Ihr wünscht, Herrin!” Taria winkte den Medicus herein, schloß die Tür und eilte hinab in die Wirtschaftsräume.
“Seid gegrüßt, Meister Farnhold, in der Göttern Namen!” Sinya winkte den Medicus heran. Darion Farnhold trat mit einem “Peraine zum Gruße” näher und besah sich die Verletzungen. “Nun, dass sieht wahrscheinlich schlimmer aus, als es ist, Euer Wohlgeboren. Das werden wir schon hinbekommen”. Damit entnahm er seiner Tasche einige Tiegel und strich verschiedene Pasten und Salben auf die Wunden, die er anschließend mit einigen Binden umwickelte. Sinya ging ihm dabei so gut sie konnte zur Hand. Von der schweren Verletzung an Wulfs Brust war kaum noch etwas zu sehen, nur die Haut schimmerte an dieser Stelle ein wenig frischer und rosiger; der Medicus bemerkte es nicht einmal. Taria war zwischenzeitlich mit Wasser und Tüchern zurückgekehrt, und so reinigten sie Wulf vom übrigen Blut.
Schließlich war das Handwerk verrichtet.
“Taria, geleite Meister Farnhold in die Kanzlei zu Datierlich. Er soll ihm seinen Lohn auszahlen. Danach sei si gut und bring mir eine Kanne heißen Kräutertee, und zwei Becher heißen Wein.”
Die Angesproche nickte dienstbeflissen. “Jawohl, Herrin, wie Ihr wünscht.” Geschwind eilte sie hinaus, Darion folgte ihr. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um und sagte: “Ich werde übermorgen noch einmal nach Eurem Gemahl sehen, wenn es Euch recht ist.”
Sinya nickte. “Sehr sogar. Ich erwarte Euch.”
Die Türe schloß sich. Sinya ging hinüber zum Bett. Noch immer schien Wulf zu schlafen; es würde wohl eine Weile dauern, bis er sich vollständig erholt hatte. Vorsichtig deckte sie ihn zu. Dann beugte sie sich zu ihm herunter und küßte ihn auf die Stirn. “Du machst Sachen...”
Liebevoll strich sie ihm über die linke Wange. Schließlich schlenderte sie hinüber zu dem gepolsterten Lehnstuhl, der nahe des Ofens stand, und ließ sich seufzend darin niedersinken.
Eine Weile später kam Taria schließlich zurück. So leise, wie es eben ging öffnete sie die Türe, ein Tablett in beiden Händen haltend. Vorsichtig stelle sie es auf einem Schemel ab. “Der Wein war recht sauer, Herrin, da habe ich ihn mit einem Löffel Honig versetzt. Ich hoffe, es ist Euch recht so?”
Sinya lächelte. ”Gewiß ist es das. Du weißt doch, dass mir süßer Wein der liebste ist.” Sie beugte sich vor und griff nach einem Becher, während Taria die Teekanne auf den Ofen stellte, damit sie heiß blieb. Schon wollte sie sich umdrehen und gehen, als Sinya sie zurückhielt.
“Setz Dich noch einen Moment. Der zweite Becher war für Dich bestimmt. Nach der Aufregung des heutigen Abends haben wir uns das verdient, meinst Du nicht auch?”
Dankbar ließ Taria sich in den zweiten Stuhl sinken und griff nach dem zweiten Becher. “Auf seine Hochgeboren, Euren Gemahl. Möge er bald wieder genesen sein.”
Schweigend tranken die beiden Frauen, nur in kleinen Schlucken, die Wohlige Wärme des Getränks genießend. Als Taria ihren Becher gelehrt hatte, erhob sie sich. “Wenn ihr erlaubt, werde ich nun zu Bett gehen; es ist schon spät.” Sinya nickte. “Möge der Herr Boron über Euren Schlaf wachen.”
“Und auch über Deinen.”
Leise ging Taria von dannen. Gedankenverloren sah Sinya ihr hinterher und wandte ihren Blick schließlich Wulf zu. Das Schlimmste war überstanden, dachte sie noch, und wenige Augenblicke später war sie eingeschlafen.