Geschichten:Der Wald erwacht – Den Blick abgewendet
Burg Leihenbutt, Anfang 1044 BF:
Das Stimmengewirr dröhnte schmerzend in seinen Ohren. Die Höflinge stritten und versuchten lauthals keifend sich Gehör zu verschaffen und den anderen zu überdröhnen. Ob nun der spitzzüngige Rechtsgelehrte Sibelian Mallorn, der feiste Kämmerer Zoltan Bodiak, der undurchsichtige Burgvogt Menzel von Zierental, der bullige Hauptmann Trautmann von Wegfeld, oder die resolute Hofgeweihte Yalinda von Lichtenhayn-Zweifelfels – keiner wollte einen Span breit weichen. Die Arena der Höflinge war eröffnet. Grund der Unstimmigkeiten war der wuchernde Forst, der sich vor allem im Norden und Westen von Leihenbutt ausgebreitet hatte.
„Das Unheil kommt aus Silz, warum sonst wuchert der Forst von dort aus?“, keifte der Burgvogt los. „Das passiert, wenn Elfen auf Menschenthronen sitzen!“
„Mäßigt Eure Zunge, Zierental! Was genau soll das mit unserer Gräfin zu tun haben?“, konterte die Hofgeweihte Yalinda, „Sie ist die einzige, die den Wald versteht!“
„Zierental, Eure Meinung ist hier nicht gefragt, Ihr seid Hartsteener!“, dröhnte die tiefe Stimme des Hauptmanns. „Aber in einem gebe ich Euch recht, warum tut die Gräfin nichts dagegen?“
„Die Sachlage dürfte etwas komplizierter sein“, zischte der fettleibige Kämmerer, „es könnte sich um ein Aufbegehren des Landes im korgondischen Sinne handeln. Ich schlage vor die Tempel der Allweisen in Tannwirk und Silz zu konsultieren.
„Wir brauchen ein Geschwätz sondern handfeste Taten“, brüllte der Burgvogt los.
„Mit Feuer und Schwer müssen wir dem wuchernden Forst begegnen!“, stimmte der Hauptmann mit ein.
„So wie in Tannwirk?“ Die Hofgeweihte legte ihren Kopf schief. „Dort ziehen auf Geheiß des Weißensteiners die Bannstrahler durchs Land und bringen Terror und Leid. Ist es das was Ihr wollt? Dem Seneschall dürfte es freuen wenn wir auf seinen Schoß kriechen würden.“
Hauptmann Wegfeld wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Stimme des Barons losdonnerte und für Ruhe sorgte.
„Schluss jetzt, alle!“ Baron Hernulf-Answin fasste sich an seine schmerzende Stirn. „Ich will nichts mehr von irgendwelchen wuchernden Wäldern hören. Linschenaue?“
Der Angesprochene zuckte überrascht zusammen, hatte er nicht damit gerechnet von seine Baron adressiert zu werden. „Jawohl mein Herr!“
„Ihr kümmert Euch um den Wald, schließlich seid Ihr mein Jagd- und Forstmeister! Ich habe wichtigere Dinge um die ich mich kümmern muss. Der Rabenmund ist tot und der Thron der Goldenen Au verwaist. Ich werde zu meinem Verwandten nach Goldenstein reisen!“
Mit wehenden Umhang verließ der Baron die keifenden Höflinge und hinterließ einen fragend dreinschauenden Jagd- und Forstmeister zurück, denn bisher war es nur seine Aufgabe gewesen, Jagdgesellschaften für die Baronsmutter zu organisieren. Wie sollte er sich dem wuchernden Forst stellen?
Vor dem Thronsaal warteten Kammerherrin Alissa von Schallenberg-Zoltheim und Hofherold Falk von Wegfeld.
„Wo ist meine Gemahlin?“, wollte der Baron von der Kammerherrin wissen.
„Die verweilt mit den Kindern in der Stadtresidenz in Leihenbutt. Der Schlaf, sie findet hier keine Ruhe!“
„Ah, ja. Ist wohl auch besser so, dann muss sich sich nicht mit diesen Wölfen von Höflingen rumschlagen.“
„Herr, der gräfliche Wegevogt bittet um eine Audienz bei Euch, es geht ...“, doch der Hofherold kam nicht mehr dazu den Satz zu Ende zu führen.
„Haltet mir den vom Leib, bei allen Göttern! Um den soll sich der Linschenaue kümmern!“
„Sehr wohl, Herr. Der Landvogt von Tannwirk bat in einem Brief ebenfalls um ein Treffen.“
„Wegfeld, ich reise noch heute ab, ich bin für niemanden zu sprechen!“
Der Hofherold nickte ergeben.