Geschichten:Der Wald erwacht – Zwischen den Welten
Im Reichsforst in der Nähe von Alka, Anfang 1044 BF:
Edorian hatte die Alkenburg noch in der Nacht still und heimlich verlassen – nicht nur um eine rahjagefällige Zeit im Planwagen mit seiner neuen Bekanntschaft zu haben, sondern auch, weil er ein ungutes Gefühl hatte. Etwas stimmte nicht auf der Alkenburg, aber das war nicht sein Kampf.
So schloss sich der Wegevogt dem Handelszug gen Silz an. Die Planwagen waren voll von kunstvoll gefertigten Flechtkörben, schmackhaften Honig, heilenden Essenzen aus Obst und Kräutern und vor allem Bausch. Darunter waren schon fertige Bauschmäntel, die ob ihrer Kunstfertigkeit ihres gleichen suchten; aber hauptsächlich unverarbeiteter Bausch. In Silz wurde daraus der begehrte Silzer Tüll hergestellt.
So lag Edorian auf einem der Bauschballen und blickte zu seinem Gegenüber. Isfarion war besonders, das Beste aus beiden Welten – der elfischen und der menschlichen – empfand er.
„Du hast gute Kontakte zu den Elfensippen, sogar zu denen die abgeschieden im Forst leben?“
„Ja, auch die wollen unsere Handelswaren die wir ihnen zu Tausch anbieten.Und ja, sogar die Morgentau-Sippe vom Einhornsee handelt mit uns, obwohl die sonst Fremden eher ablehnend gegenüberstehen.“
„Es dürfte dir helfen, in beiden Welten zuhause zu sein.“
„Ist das so? Für die Elfen bin ich ein Mensch und für die Menschen ein Elf. Sag mir also, wo ich zuhause bin.“
Edorian schaute betreten zu Boden.
„Keine Sorge, Wegevogt, mir geht es gut und mein Leben ist voller Freude.“ Der Halbelf zwinkerte seinem Gegenüber zu.
„Da dann ist ja gut.“
Einen großen Teil der Wegstrecke nach Silz schlängelte sich der Wagenzug durch den noch nicht zugewucherten Abschnitt des Grafenstieges. Wann würde es diesen Teil treffen und Alka vollkommen einschlossen sein, fragt sich Edorian. Neugierig beäugte er das Blätterdach und die Bäume und Pflanzen, die den Weg säumten. Er fühlte sich im Forst wohl und dennoch hatte er das ständige Gefühl beobachtet zu werden.
Edorian spürte die Erleichterung der anderen Mitreisenden als der Forst den Handelszug ausspuckte und die lichten Augen des Gansbaches nicht nur die Gemüter erhellte. Am gegenüberliegenden Ufer ragten die hohen Mauern des Travia-Klosters Gansbach empor.
„Wir reisen weiter“, sagte Isfarion mit bestimmter Stimme, „bei den prüden Gänsen und Gantern sind wir nicht erwünscht.“
Es waren auch nur weniger als 10 Meilen bis sie Silz in der Ferne erblickten. Silz, das war eigentlich nicht eine Ortschaft, sondern fünf. Da gab es Alten-Silz - oder auch volkstümlich Grafenstadt genannt - östlich der Burg Silz, dann die Bauernsiedlung Wiesengrund südwestlich über die Brücke zur Silzer Ebene hin, die Gerbersiedlung Werdomarsgrund lag nordwestlich der Burg. Die Künsterkolonie Bunte Flur befand sich nordöstlich am Waldrand und die Elfensiedlung Val'sala'dir etwas abseits südlich am Oberlauf des Silzsbach.
Der Wagenzug passierte als erstes Werdomarsgrund, eine kleine Ansiedlung jener Gewerbe, welche aufgrund ihrer starken Geruchsbildung weder in Alten-Silz noch in der südlich gelegenen Auelfensiedlung willkommen waren. Insbesondere betraf dies Gerber und Kürschner aber auch Leinenweber. Ein kleiner Firun-Schrein fand sich am Eingang des Ortes. Isfarion rümpfte seine Nase und war sichtlich froh, als der Zug Werdomarsgrund hinter sich ließ.
Direkt am Fuße der Burg lag Alten-Silz, eine stark von Handwerk und Handel geprägte Ansiedlung. Gepflegte Fachwerkhäuser mit weitläufigen Gärten prägten das Bild und die Nähe zu den Elfen zeigte sich an den zahlreichen großen Bäumen, welche das Straßenbild auflockerten, den oft farbenfroh getünchten Hauswänden, den mit allerlei floralen Ornamenten verzierten Dachgiebeln und den vielen Blumenkästen vor den Fenstern, welche der Ansiedlung etwas Beschauliches verliehen. Viele der Bewohner hattwn elfisches Blut in ihren Adern und achteten daher penibel darauf, dass keine unangenehmen Gerüche das allgemeine Wohlbefinden störten. Das Zentrum von Alten-Silz bildete ein Brunnen, der einen Levschy zeigte, der ein Füllhorn hielt, aus dem das Wasser in in ein Becken plätscherte. Legenden besagten, der Brunnen wäre eine Relikt der hochelfischen Kultur und stünde mit dem sagenumwobenen Simyala in Zusammenhang. In Alten-Silz entlud der Handelszug den Großteil seiner Waren, vor allem die Bauschballen.
Nach der Abwicklung der Geschäfte mit den Bauschballen setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Wenige Meilen südlich von Alten-Silz, am Oberlauf des Silzbach gelegen befand sich schließlich die Auelfensiedlung Val'sala'dir, die sich bis in den Wald rein erstreckte. Hier siedelten seit geraumer Zeit die Sippen der Auentänzer und der Kronenhüter. Zwar pflegten beide Sippen noch einige Bräuche der Auelfen des Reichsforst, so hatten sich doch insbesondere die Mitglieder der Auentänzer-Sippe den Menschen der Region geöffnet. Val'sala'dir diente auch anderen Auelfensippen des Reichsforstes als Anlaufstelle für Handel mit Menschen. Neben den Mitgliedern der Sippen lebten hier auch einige sippenlose Elfen oder Elfen anderer Sippen sowie einige Halbelfen, die sich hier als Bogner, Kräuterkundige, Heiler und Jäger verdingten. Eine uralte, vom Blitz getroffene Eiche etwas abseits der Siedlung diente als Simia-Schrein, der vor allem von den Halbelfen aufgesucht wurde, die hier ihren mythischen König des Waldes verehrten.
Edorian war schon oft in Val'sala'dir und war immer wieder überwältigt von den Eindrücken, den hier verschmolzen zwei Welten. „Ich möchte dir jemanden vorstellen.“ Isfarion tat bewusst geheimnisvoll und zog Edorian am Ärmel. Der Weg führte die beiden tiefer in die Elfensiedlung.
◅ | Unterwegs mit dem Wegevogt |
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Val'sala'dir | ▻ |