Geschichten:Der Waldkauz – Verratene Verräter
Baronie Leihenbutt, Ende Tsa 1038 BF
Die Lichtung lag etwa eine halbe Stunde außerhalb der Stadt Leihenbutt und war durch einen überwucherten Waldweg zumindest einigermaßen erreichbar. Im Waldesdunkel hatte sich der Schnee länger behauptet, knirschte als Firn unter den Stiefeln des Leihenbutter Barons, der sich im Lichte einer abgedeckten Sturmlaterne seinen Weg zur Lichtung gebahnt hatte. Ein nahezu kreisrunder See bildete das Zentrum der baumfreien Fläche, dessen dunkle Wasser vom Eis nur unzureichend verborgen wurden. Die Elfen hatten einen Namen für die Lichtung und eine traurige Geschichte über Verrat, Verlust und den Tränen einer Mutter, doch für die meisten Menschen war es nur ein weiterer unheimlicher Ort im Reichsforst, wie es so viele gab. Auf den kahlen Ästen einer Elbenkastanie saß ein alter Waldkauz und beobachtete das nächtliche Treiben mit einiger Missbilligung.
Junkobald von Hirschfurten stolperte aus dem Unterholz. Am Ufer konnte er die einen Kapuzenumhang gehüllte Gestalt der Roten Samthand erkennen. Mit pochendem Herzen aber festen Schrittes näherte er sich. „Mein Freund! Ich bin so schnell gekommen, wie ich es vermochte, doch die Waldwege im Winter… “
Die Gestalt drehte sich um, doch es war nicht die Samthand. „Waldkauz!“, entfuhr es Junkobald entsetzt. Zu spät sah er den Stahl aufblitzen. Der Angesprochene rammte ihm den Dolch mit aller Kraft in den Bauch. Das kalte Metall durchschnitt die dicke Kleidung mühelos und drang tief in die Bauchhöhle ein, durchtrennte Muskeln, Adern und Gewebe. Junkobald stieß in brüllend weg, schmatzend glitt der Dolch aus seinen Eingeweiden. „VERRÄTER!!!“ Mit der einen Hand presste er sich die blutende Wunde, mit der anderen zog er sein Jagdmesser. Der Angreifer rappelte sich aus dem Schnee auf, überrascht von der heftigen Abwehrreaktion. Der blutige Dolch lag irgendwo im Schnee. „Verräter? Welch wahre Worte! Doch könnte ich euch ebenso bezeichnen, nicht wahr?“ Vorsichtig umkreiste er ihn.
Ohne zu zögern stürzte Junkobald sich auf ihn, sein Hieb traf Waldkauz am schützend hochgerissen linkem Unterarm. Doch bevor er zu einem zweiten Hieb ansetzen konnte schlug ihm Waldkauz in die Magengrube. Schmerz explodierte in seiner Leibesmitte und raubte Junkobald für einen Moment die Sicht. Er spürte den festen Griff an seinem Waffenarm und das Knacken, mit dem ein Schlag seinen Ellebogengelenk zertrümmerte. Brüllend versuchte er sich loszureißen, traf seinen Angreifer im Gesicht und beide fielen in den Schnee. Sein Arm pochte vor Pein, doch noch schlimmer war das Brennen von Säure, die seinen Leib von innen her zerfraß. Er kroch durch den Schnee, tastete nach einer Waffe, spuckte bittere Galle aus, schrie: „HILFE! CORDOVAN! IRGENDWER! HILFE!“. Doch der Wald antwortete nur mit Schweigen. Stattdessen hörte er Waldkauz hinter sich keuchen: „Er wird nicht kommen. Niemand wird. Nur ich.“ Er hatte Junkobald eingeholt, drückte ihn zu Boden, schloss die Hände um seine Kehle. Der Baron röchelte, griff den Stein und bäumte sich auf und schlug nach hinten. Der Brocken traf Waldkauz seitlich am Kopf. Blut sprenkelte den Schnee. Der Baron drehte sich auf den Rücken, setzte zu einem zweiten Schlag an, doch die Waffe glitt ihm aus den feuchten Händen und verschwand in der Nacht. Da war Waldkauz wieder über ihm, drückte ihn in den Schnee. „Bitte, bei allen Göttern, Erbarmen, ich habe eine Frau, Kinder!“, krächzte der Baron. Seine Kräfte waren gänzlich verbraucht, immer mehr Blut sickerte aus der Bauchwunde, der Schmerz ließ ihn beinahe die Besinnung verlieren, aber nur beinahe. „Bitte, lasst mich gehen… meine Kinder… Ihr versteht das nicht…. Ihr habt doch nichts, keine Familie, keine Frau, keine Kinder…“
Wieder legte Waldkauz die Hände um seine Kehle, drückte zu. „Ich habe eine Vision, Junkobald, und Visionen sterben nicht so leicht.“ Er verstärkte seinen Griff, der Baron schnappte erfolglos nach Luft, seine Angriffsversuche waren zwecklos und verebbten. Nur sein Blick blieb starr auf seinen Mörder gerichtet, voller Angst und ohnmächtiger Wut. Waldkauz straffte sich und seine Stimme durchschnitt die Nacht:
„Baron Junkobald von Hirschfurten! Ihr seid angeklagt des Hochverrates und der Kollaboration mit dem Feinde! Ihr seid hiermit verurteilt zum Würgen am Halse, bis dass der Tod eintritt!“
Das Zucken des Barons erstarb, seine Augen brachen. Stille legte sich wieder über den Wald. Der große Waldkauz, der von seinem Baum aus das ganze Treiben mäßig interessiert beobachtet hatte, schuhute noch einmal missbilligend ob der nächtlichen Störungen und flog dann davon, sich einen ruhigeren Schlafplatz suchend.
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