Geschichten:Der Waldsteiner Adel blickt nach Gareth – Corian von Streitzig
Burg Greifenklaue, Baronie Uslenried, Ende 1045 BF:
Konzentriert stapelte Tybalt eine Handvoll Briefe auf dem Schreibtisch von Baron Corian, seinem nur um wenige Götterläufe älteren Knappenvater – das erinnerte ihn daran, selbst einen Brief an einen Verwandten zu schreiben. Tybalt war erst Knappe bei Corians Vater Baron Wulf von Streitzig gewesen, doch starb dieser vor Vollendung der ritterlichen Ausbildung. Der junge Baron war anders als sein Vater – zwar hatte Corian das aufbrausende Gemüt seines Vaters, aber auch die Neugier seiner Mutter geerbt. Er war noch sehr unerfahren auf dem politischen Parkett und in seiner Heimat Waldstein noch nicht gut vernetzt, verbrachte er doch die meiste Zeit seines Lebens zur ritterlichen Ausbildung in den Nordmarken. Zumal hier am Hofe Corians Schwester Ailyn dessen größte Konkurrentin war, die weit bessere Verbindungen zum Waldsteiner Adel führte und auch vom Gesinde auf der Burg als eigentliche Herrin angesehen wurde. Auch war diese bereits verheiratet und hatte ihrem Haus trotz ihrer jungen Jähre schon fünf Kinder geboren - und solange Corian noch unvermählt und kinderlos blieb, galten Ailyn und ihre Kinder als Corians Erben. Zwar wurde dem Baron eine Affäre mit der jungen Rowena von Bergensteen nachgesagt, noch Anstalten sie zu heiraten, waren nicht zu erkennen - zumal die Besagte weit unter Stand und auch noch unehelich geboren war.
Ja, Corian suchte noch nach seinem Platz im Gefüge des Hochadels – in Waldstein wie auch in Garetien. Doch war er, so glaubte Tybalt, auch ein Getriebener der Ereignisse der großen Fehde.
Das erschütterndste Ereignis der Fehde für Uslenried, war sicherlich Hardts Hammer, der vollkommen unerwartet auf die Uslenrieder Lande einschlug. Gar wüst wütete der Pfalzgraf Udilbert von Hardt, als er im Namen Kaiserin Rohajas mit seinen kaiserlichen Gardisten in die Stammlande des jüngeren Hauses Streitzig einfiel. Die Güter in der Wiesengrunder Heide standen in Flammen und der wild gewordene Hardt und seine blutdurstigen Söldner konnten von Baron Corian und seinen Rittern erst auf dem Streitzensfeld gestellte werden. Da verwunderte es kaum, dass der junge Baron gewisse Sympathien für den selbsternannten Großfürsten Sigman entwickelte. Und nun, nach dem Meilersgrunder Prozess und der Hinrichtung des jungen Fuchses, sollte tatsächlich im Praios ein Großfürst gekrönt werden. Wie würde sich Corian dazu verhalten?
Sichtlich ungehalten nahm Baron Corian von Streitzig an seinem Schreibtisch Platz. Um ihn herum wuselten seine Hausritter Brin von Streitzig, Assik von Streitzig-Breitenbach und Alrik Zerber von Eslamsgrund umher – allesamt ähnlich jung und ungestüm, wie der Baron und alle stammten aus altem Hause.
„Also ich verstehe das nicht“, der eher einfach gestrickte Brin - ein entfernter Verwandter des Barons – kratzte sich fragend an der Stirn. „Die Kaiserin hat doch gegen das Fuchsrudel im Tal der Kaiser gesiegt und dann hat sie Sigman hinrichten lassen, obwohl der Adel ihn eigentlich nur verbannen wollte. Sie hat sich also gegen alle durchgesetzt und gemacht, was sie wollte. Aber warum ernennt sie dann trotzdem einen neuen Großfürsten? Sie hat doch gewonnen?“
„Sie will uns, dem garetischen Adel zeigen, wer die Macht hat – und zwar sie!“, antworte Assik blitzschnell und mit spottendem Unterton, den Brin freilich nicht verstand.
„Sie wollte keinen Großfürsten von Gnaden des garetischen Adels, sie wollte einen von ihren eigenen Gnaden!“, ergänzte Alrik Zerber.
„Vor allem wollte sie den alten Häusern zeigen, wo unser Platz ist“, knurrte Corian missmutig, „das hat nicht zuletzt dieser ehrlose Hardt gezeigt.“
„Bei der Besetzung der Kronämter für den neuen Großfürstenhof ist es uns nicht besser ergangen.“ Assik hatte sich angewöhnt, wenn er über das Haus Streitzig sprach, sich miteinzubeziehen. Dabei gehörte er offiziell gar nicht dem Haus an, sondern war Teil der Familie Breitenbach. Sein Vater war ein Streitzig gewesen, was auch seinen Namenszusatz erklärte. Er sah sich jedoch mehr als ein Streitzig, als ein Breitenbach.
„Wir konnten Growin nicht als Heermeister durchsetzen, da sind uns die Perricumer mit der Zolipantessa zuvorgekommen.“ Corians Laune stiegt im Laufe des Gesprächs nicht gerade. „Obwohl Giselbert alles versuchte hatte, es war vergebens.“
„Haben wir dann überhaupt Verbündete am neuen Hof?“, wollte Brin wissen.
„Den Ochsen, der wird Jagd- und Forstmeister“, antwortete Alrik.
„Das ist ja mal ein Amt mit viel Einfluss.“ Der ironische Unterton von Assik war sogar für Brin kaum überhörbar.
„Und den Hirsch aus Brachental, der wird als erster Scriptor gehandelt.“ Alrik hatte sie bereits eingehend mit dem Großfürstenhof und den möglichen Amtsträgern beschäftigt.
„Es wird ja immer besser!“ Corian verdrehte seine Augen. Das Verhältnis zu dem Haus Hirschfurten war zuletzt eher angespannt, da der Leihenbutter Baron mit irritierenden Ansprüchen auf die zu Uslenried gehörende Wiesengrunder Heide für Verwirrung sorgte.
„Hardts Tochter soll im übrigen Mundschenkin werden, die wäre doch die perfekte Ansprechpartnerin für dich, Corian … am besten du heiratest sie gleich, so als Zeichen der Versöhnung.“ Assiks Worte waren voller Hohn.
„Niemals, sie ist ein unansehnliches Ding, wie ich hörte.“ Corian schlug mit der Faust auf den Tisch. „Die Besetzung des neuen Großfürstenhofs ist eine Katastrophe für uns. Giselbert setzt alles daran, zumindest noch einen Fuß in der Tür zu haben. Während dessen wir uns dem nächsten vakanten Thron zuwenden sollten.“
„Welcher Thron ist den vakant?“ Brin stand wie immer auf dem Schlauch.
„Ja, der Kaisermark!“
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