Geschichten:Der Zug der Verbannten – Aufbruch
Stadt Meilersgrund, Kaisermark Gareth, Firun 1045 BF:
Er hatte es bereits erwartet und entsprechende Vorkehrungen getroffen. Sein Gefährte ebenfalls, auch wenn er das Gefühl nicht loswurde, dass dieser lieber am Strick gebaumelt hätte, zumal seine Vorkehrungen auch dementsprechend dürftig und absurd waren. Ein seltsamer Freund und doch, auch diesen Weg würden sie gemeinsam gehen.
Trotz aller Vorahnungen war es doch ein Paukenschlag: Das Meilersgrunder Krongericht hatte Leomar von Zweifelfels und Selo von Pfiffenstock als Verräter an der Krone zu einer Verbannung von 12 Götterläufen verurteilt. Beide mussten nun für den besagten Zeitraum die großgaretischen Lande verlassen. Sicherlich gab es auch anderswo im Mittelreich, für Adlige ihres Formates, lebenswerte Orte um 'die Zeit rumzubekommen', doch wer Leomar und Selo kannte, wusste, dass ihr Weg ein anderer war.
Schon im Vorfeld des Prozesses hatten sich die beiden Korgond-Mystiker mit den Sagen und Legenden der Heiligen Kvorvina intensiv auseinandergesetzt und nahezu alles Habhafte zusammengesammelt und studiert. Nun würden sie viel Zeit haben, sich auf Spurensuche zu begeben. Baron Ucurian von Sturmfels hatte wohlweislich ein paar seiner Ritter nach Meilersgrund geschickt, um die beiden Verurteilten in die Feste Sturmfels zu eskortieren – und für ihre Sicherheit zu sorgen. Von dort aus würden Leomar und Selo dann in den Raschtulswall aufbrechen. Ihr Ziel war das geheimnisvolle, in alten Schrift genannte Keshal Lev'Tamin.
„Selo, mein narrenhaftiger Freund“, begann Leomar, „es ist Zeit dem politischen Parkett für einige Zeit Lebewohl zu sagen. Großgaretien muss nun ohne uns auskommen.“
„Sankt Leomario, mein allergroßzweifeligster Seelensäufer, mit keinem würde ich lieber in die Ewigkeit schreiten, als mit dir, zumindest mit keinem Sterblichen, obwohl ich langsam glaube, dass wir nicht zu töten sind. Doch mache ich mir Sorgen um unser geliebthasstes…gehassliebtes Pinselohr. Hat er doch die Hinrichtung des kleinen Füchslein-Prinzen so gar nicht gut weggesteckt. Da hingen doch glatt die just freigesprochenen Fransenöhrchen ganz schief und nicht mal die Kraft zum Herumschallen(bergen) hatte er mehr.“
„Der Aldenrieder ist nun auf sich allein gestellt, aber er ist frei von jeder Schuld. Wir können ihm jetzt nicht mehr helfen. Doch, er wird seinen Weg gehen, einen Weg, auf den wir ihn geführt haben.“
„Wege gehen auseinander und kreuzen sich doch (zu Schlaufen), welch eifriges Hütchen- und Narrenspiel, wie ein Moritatenäffchen.“
„Unser Weg wird uns auf die vergessenen Pfade der Heiligen Kvorvina führen. Dort, wo die Berge mit Feuer und Eis über ihr Land wachen. Es ist Zeit.“
„Ach, die Gute, die tolle Kvorvina, was war das doch nur für eine Entdeckung damals in Korgond, beinahe würd ich nostalgisch, aber lieber wanke ich in die Zukunft. Was es dort Oben alles für heiter-spottende Orte gibt oder geben mag, der Ordnung im Tale zum Hohn. Dies wird reine Vakation, ein Trubel, ein Fest des Drehens, Fallens und Auferstehens, ganz albern und doch wohl das höchste der Möglichkeiten. Ich bin bereit, so bereit wie man für solch ein Unterfangen eben sein kann“, sagte er, schwang sich sein obskures Päckchen um die Schulter und raffte seine Kleidung, die nun alte Symbole in gediegener, aber verzerrter Form zeigten, die für den Betrachter kaum einen Sinn ergeben mochten, dazu einen mannshohen Wanderstab, knorrig, irrwitzig verdreht und mit den selben, lästernden Symbolen und Fratzen verzerrt, darunter u.a. sein ehemaliger Gockel, der wirkte als wären seine Glieder gebrochen, außer eines, das stolzer und größer als je zuvor in die Luft ragte.
„Ach, eines noch, den kleinen Obarin, der sich ganz schön gemacht hat, vielleicht auch einfach aus Abscheu zu mir, nehmen wir auch noch mit, ich denke, bei dem ollen Gigantenhocker ist er ganz gut aufgehoben. Meine Gattin wird ihn eh nicht haben wollen.“
„Doch bevor wir Großgaretien den Rücken kehren, gilt es noch eine Sache zu tun!“
Leomar hielt inne, als er Felan gewahr wurde. Einen Moment trafen sich ihre Blicke, die mehr zu sagen vermochten als tausend Worte. Bedächtig schritt der Zweifelfelser an den Baron von Aldenried heran. Der Hartsteener Baron sah schlecht aus. Fahl, fast grau schien seine Haut, genauso wie sich graues Haar in seinem Haupthaar zeigte, als wäre er über Nacht um eine Dekade gealtert. Die Wangen wirkten eingefallen und die Augen traurig, fast verzweifelt. Man merkte ihm an, dass er viel getrauert hatte in letzter Zeit.
„Mein Freund, Freud und Leid mögen innerlich miteinander ringen. Das Krongericht hat Euch von allen Anschuldigungen freigesprochenen, so wie Ihr es verdient habt. Und dennoch habt Ihr den jungen Prinzen nicht retten können. Doch mit Eurer ehrenhaften Tat, ihn vor dem Richtschwert noch zum Ritter zu schlagen, habt Ihr bewiesen, dass Ihr das wahre Gewissen der Großfürstenbewegung wart. Der Junge konnte so als ehrenhafter Ritter abtreten. Hätte der junge Prinz doch mehr Berater von Eurem Holz gehabt.“ Echtes Bedauern lag in der Stimme Leomars, als er auf Felan zuschritt und ihn fest umarmte. „Unsere Wege werden sich nun trennen. Ich werde auf den Pfaden der Heiligen Kvorvina wandeln und wer weiß, vielleicht führt uns das Schicksal in 12 Götterläufen wieder zusammen. Auch wenn unser Dreibund nun endet, haltet das Bündnis zwischen unserer beider Familien in Ehren, denn vergesst nicht, in Waldstein habt ihr Freunde!“
„Ich verspreche es, bei PRAios Licht, ich verspreche es!“, antwortete Felan mit heiserer, leiser Stimme, während er die Umarmung erwiderte. Als er sich von Leomar löste und ihn einen Augenblick stumm ansah. Dann versuchte er ein halbherziges Lächeln. „Es tut mir so leid, dass ich euch mit Selo allein lasse, möge Hesinde euren Geist vor Wahnsinn schützen, Leomar. Und ich werde auf euch warten. Auf euch beide. Möge unser Wiedersehen ein freudiges sein.“ Es war ihm anzumerken, dass sein Herz noch vieles hätte sagen wollen, doch diesmal blieb der sonst so redselige Felan stumm, ehe er sich mit sichtlicher Mühe losriss, um den Abschied nicht unnötig in die Länge zu ziehen und es einfacher zu machen. Er drehte sich herum, um zu gehen. Mit hängenden Schultern, gebrochen im Herzen.
„Ave mit euch, wie die Avesjünger pfeifen, mein Pinseligster, es war mir eine … es war ganz witzig. Auf Bälde oder so.“, Selo war schon in anderen Gedanken und Höhen, er streifte die Vergangenheit ab, als wäre sie nicht der Ballast, die sie wirklich war.
Dann trennten sich die Wege des Bundes vom Zeltboden. Einer ging zurück in die Heimat, zwei schauten gen Osten und traten zu den Rittern vom Sturmfels, Knappe Obarin an der Seite seines missliebigen Herren, der dies bald nicht mehr sein würde. Und dies war vermutlich auch der Grund, weshalb er noch mit ihm reiste, ein letztes Mal.
Nur etwa fünfhundert Schritt hinter dem Stadttor, das gen Osten wies, vernahm die Gruppe urplötzlich eine heisere und keuchende Stimme.
„So… Wartet… Bitte!“, presste Ardur von Zackenberg hervor, als er ihnen über die Straße hinterher ritt. Der ansonsten wie gestriegelt aussehende Ritter war gezeichnet von der anstrengenden Vergangenheit. Seine Haare wirkten stumpf und dünn, die Geheimratsecken schienen größer geworden zu sein. Seine Kleidung war schmutzig und löchrig und sein Gesicht fahl sowie die Wangen eingefallen. An der Seite hing ein schmuckloses Schwert, das mitsamt dem Pferd eher einen schlichten (wenn nicht zusammengewürfelten) Eindruck abgab. Fast so, als ob der Besitzer in Hast sich die nächstbeste Klinge und das nächstbeste Ross geschnappt hätte.
„Brüder! Ich bitte darum, mich Euch anschließen zu dürfen! Die Fuchsritter sind vielleicht aufgelöst, doch unsere Ideale leben weiter“, der Zackenberger wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und blickte seltsam leer seinen einstigen Weggefährten entgegen. Doch bei genauerem Hinsehen konnte man den letzten Rest des Funkelns in seinen Augen sehen. Eben jenes Funkeln, dass in ihnen zusehen war, wann immer er sich in der Gemeinschaft der Fuchsritter aufhielt.