Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Auf den Spuren des Heiligen Rakull
Markt Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF
Der Abend war bereits fortgeschritten als Salix von Hardenstatt durch die gepflasterten Gassen des adretten Marktfleckens Randersburg schlenderte. Er hatte seinen Dienstherrn Baron Zivko von Zackenberg an diesem Abend wieder mal begleiten dürfen, als dieser mit anderen Militaristen in der Schenke „Zum goldenen Stiefel des Kaisers“ ein paar Humpen heben wollte. Eine Ehre für den jungen Hardenstätter, freilich, doch waren die Gespräche des Perricumer Heermeisters eher einseitiger Natur. Nach einigen Stundengläsern löste sich die trinkfreudige Gesellschaft auf. Der Heermeister zog noch mit einem ehemaligen Schlachtenkumpanen weiter, während Salix den Weg zurück zu seiner Herberge antrat. Dabei fasste er sich immer an seine Stirn, ein stechender Kopfschmerz pochte unaufhörlich in seinem Schädel. Hatte er zu viel Bier getrunken oder waren es die Ereignisse der letzten Tage?
Der Weg des Hardenstätters führte ihn auf den Marktplatz. Dort thronte die prächtige Rakulls-Sakrale, als ob sie ein Tempel des Götterfürsten wäre. Die ansonsten in der Phex-Kirche übliche Heimlichkeit war hier nicht zu finden. Ihre heutige Form erhielt die Sakrale unter Kaiser Reto, der sie im Neu-Eslamidischen Stil umbauen ließ. In dem Tempel wurde vor allem dem namensgebenden Rakull von Nebachot gehuldigt. Dieser listenreiche Phex-Jünger tötete in den Rakulahöhen einen Riesenlindwurm und wurde seither als Schutzheiliger gegen übermächtige Feinde verehrt.
Stille lag über dem Marktplatz, der nur von wenigen Fackeln erleuchtet wurde, als Salix aus der Nähe der Sakrale Geräusche vernahm. Ein Poltern und ein Stimmengewirr ließen ihn aufhorchen.
„Den Jungs haben wir es aber gezeigt“, hörte Salix eine junge Frauenstimme sagen, „Die werden sich wundern!“, eine andere. „Der gekrönte Fuchs“ - „Ja welch Sinnbild“, glucksten freudig erregt zwei weitere Frauenstimmen - „Seid ruhig, da ist jemand“, zischte eine weitere – offenbar hatten die erheiterte Gesellschaft Salix entdeckt, als diese gerade den Marktplatz von der Sakrale aus kommend betrat. „Ist das der Nachtwächter, oder was?“ - „Psst, sei still!“
Betont ernsthaft, was durch Anflügen von prustenden Lachanfällen einiger der jungen Damen konterkariert wurde, liefen sie schnellen Schrittes an dem Perricumer Adligen vorbei – doch Salix erkannte wer ihm da gerade leicht berauscht entgegen stolperte: Es war die Braut Caya vom Greifener Land mit ihren drei Perricumer Freundinnen Pernula von Zolipantessa, Nedime Eorcaïdos von Aimar-Gor und Xanjida von Sanzerforst, sowie einer weiteren jungen Dame, bei der es sich um Yrsya von Luring-Gareth handeln musste. Salix kannte die Perricumer Amazonen genannten Knappinnen des Markgrafen noch aus seiner Zeit am Perricumer Markgrafenhof. Er erinnerte sich auch dunkel an einen Besuch der Luring-Gareth dort. Wie es schien, ließen die jungen Damen vor der bevorstehenden Hochzeit noch mal die Sau raus.
Als sich die trinkfreudige Damengesellschaft entfernt hatte und die Stille der Nacht den Marktplatz wieder gänzlich einzuvernehmen versuchte, erregten gedämpfte Schnaufgeräusche Salix Aufmerksamkeit. Er folgte diesen und spähte vorsichtig in den Park der Sakrale. Im Dämmerlicht konnte er zwei Gestalten ausmachen, eine kleinere zierliche und eine große, breite. Beide trugen weite Mäntel mit Kapuzen, die ihre Gesichter verbargen. Die beiden Unbekannten waren scheinbar gerade in einem Kampf verwickelt gewesen, denn die zierliche Person kniete am Boden und hielt sich schnaufend den linken Arm, während die andere Person ein paar Meter entfernt, befand um sich zu sammeln.
Weitere Gedanken zum Geschehen konnte sich Salix nicht mehr machen, denn er spürte nur noch, wie ein dumpfer Schlag seinen Hinterkopf traf und er das Bewusstsein verlor.
Als Salix wieder zu sich kam, war niemand mehr da nur die Stille der Nacht. Nach dem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte er den mutmaßlichen Gegenstand, der ihn ins Reich der Träume geschickt hatte: Es war eine ungefähr ein Spann große Fuchsstatue aus Speckstein. Welche bitterböse Ironie, dachte sich der Perricumer Adlige. Ausgerechnet mit einer Fuchsstatue wurde er vor einem Phex-Tempel niedergeschlagen. Bei genaueren Betrachten konnte er erkennen, dass die Statue etwas beschädigt war, so fehlte die rechte Vorderbein des Fuchs. Möglicherweise war sie bei dem Schlag gegen seinen Dickschädel abgebrochen? Er wusste es nicht.
Noch etwas benebelt blickte er sich um, das fehlende Bein konnte er jedoch nicht finden. Auch die beiden Kapuzengestalten, die er zuvor gesehen hatte, waren nun verschwunden. Lediglich ihre Spuren im Schnee waren geblieben. Kleinere Füße gingen Richtung Marktplatz, wo sie dann im Gewusel der anderen Spuren verschwanden. Die Fußspuren des Größeren gingen Richtung Phex-Tempel und waren recht gut erkennbar. Salix entschied sich diesen in die Sakrale zu folgen und dort sein Glück zu versuchen. Aus einem, ihm nicht erklärbaren, Grund hatte ihn mal wieder seine Neugier gepackt. Gemeinsam mit der Fuchsstatue schritt er in das Gebäude.
Außer ihm war niemand in der großen Halle. Salix blieb kurz stehen blickte nach oben, ein wahrhaft atemberaubender Anblick, der sich ihm da offenbarte. Das Licht der Sterne brach sich im großen Rakullsstein tausendfach und tauchte die Halle in ein Meer aus Licht und Schatten. Es fiel dem Perricumer schwer sich von diesem Spektakel zu lösen, doch die nassen Fußabdrücke der unbekannten Person führen ihn zu einer großen Fuchsstatue hinter dem Altar.
Bevor er jedoch den Spuren weiter folgte bemerkte er eine Veränderung, die so heute Mittag noch nicht vorhanden war. Auf dem Kopf der großen Statue krönte ein silbernes Diadem in Form eines Greifens. Dunkel erinnerte sich Salix an die Worte seines Herren, dass der Bräutigam der Braut zur Vermählung ein solches Greifendiadem zu schenken gedachte. Ob es sich hierbei um dasselbe handelte?
Fragend blickte er zu der Fuchsstatue in seinem Arm, als ob dieser in Form gehauene Stein ihm Antwort geben könnte.
Also machte er sich weiter auf die Suche nach dem großen unbekannten Mann. Es war nicht schwer den Spuren zu folgen und so fand er sich bald vor einer heruntergekommenen Spelunke wieder, dem schiefen Schild über der Tür ließ vermuten, dass er hier vor dem „Haderlumb“ stand. Ein kurzer Blick durch eines der kleinen Fenster zeigte lediglich Gestalten, deren Dolche sicherlich sehr locker saßen. Den Gesuchten fand er nicht, zumindest erkannte er niemanden, wusste er doch auch nicht wie die Person ausgesehen hatte. Mit einem Blick in den Himmel beschloss er zurück in seine Herberge zu gehen und sich dort seine ihm zustehende Portion Schlaf abzuholen.
Zurück in seiner Herberge stieg Salix die hölzerne Stiege hoch und stieß dabei fast an einen der Balken. Seine Gedanken kreisten um die Eindrücke dieser Nacht: die angetrunkenen Amazonen, die Ereignisse vor der Rakull-Sakrale mit diesen beiden Gestalten, der gekrönte Fuchs… alles war sehr verwirrend für ihn. Auch wenn das Madamal schon hoch am Firmament in voller Pracht leuchtete, war der Perricumer Adlige noch hell wach – auch dank seines beinahe Zusammenstoßes mit dem Balken - und wie es schien, war dies auch von Nöten, denn auf seinem Nachttischchen lag wieder einmal ein zusammengerolltes Pergament, daneben ein zusammengefalteter Zettel.
„Die Zeit des Blutes ist gekommen. Bringe der gekrönten Blutulme noch in dieser Nacht das Herz der Verräterin als Opfer dar!“
Salix Blick verharrte auf dem Emblem der gekrönten Blutulme. Nun war es also soweit. Er musste nun beweisen dass er würdig war. Auch dieses Mal ging das Pergament in Flammen auf und verbrannte in wenigen Augenblicken zu Asche. Was blieb, war der zusammengefaltete Zettel. Er enthielt einen Lageplan und präzise Angaben zur Örtlichkeit.
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