Geschichten:Der uralte Bund (Vorspiel) - Salix von Hardenstatt II
Markt Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF
In seiner Herberge angekommen, bat Salix bei der Wirtin um einen heißen Becher mit Wasser. Darin streute er etwas von dem übelriechenden Kräutersud. Mit seinem Schlummertrunk und einer brennenden Kerze bewaffnet, stieg der Perricumer die bekannte Stiege zu seiner Kammer empor. Vorsichtig öffnete er die knarzende Tür und leuchtete mit seiner Kerze in die Kammer. Nichts! Alles war so wie er sie verlassen hatte. Auch von einer weiteren Nachricht keine Spur. So entkleidete sich Salix, trank brav seinen Kräutersud und legte sich ins Bett. Ein Lächeln huschte ihm über die Lippen, als ihm beim Einschlafen an die Zeit mit Orlana dachte.
Sie war es auch, die ihn in seinen Träumen besuchte. Gemeinsam liefen sie in langen weißen Gewändern gekleidet und mit Blumenkränzen im Haar, über eine sommerliche Blumenwiese. Die Vögel zwitscherten die schönsten Melodien, Kaninchen hoppelten gemächlich an ihnen vorbei und Rehe kreuzten vertraut ihren Weg. Doch der Himmel verfinsterte sich und verfärbte sich purpur. Ein Markerschütterndes Grollen erfasste das Idyll und verschreckte die Tiere. Salix und Orlana suchten Schutz unter einer mächtigen Blutulme. Gesichtslose Gestalten näherten sich dem uralten Baum. Sie waren gekommen um Salix und Orlana zu holen. Doch die Blutulme regte sich. Wurzeln schossen aus dem Boden und umschlungen die gesichtslosen Gestalten, belebte Äste griffen nach ihnen, doch es kamen immer mehr dieser Kreaturen. Orlana drehte sich zu Salix um, ihre Augen waren Weiß und ihre Stimme leicht verzehrt. Flieh und folge deinem Schicksal, dann wird sich auch das unsere erfüllen! Salix könnte nichts sagen, er spürte wie die Macht der Blutulme ihn in einen Buntfalken verwandelte. Instinkt gesteuert hob er in die Lüfte und ließ seinen scharfen Blick über das Land kreisen. Er überflog den Marktflecken Randersburg und kreiste dann um den Bergfried der Pfalz, bis er schließlich zum Sturzflug ansetzte. In einem Waldstückchen unweit der Pfalz tauchte er ein in das grüne Dickicht und landete auf einen alten, Efeu umrankten Brunnen. Auf der Brunnenmauer prangerte das Zeichen der gekrönten Blutulme.
Schweißgebadet und keuchend wachte Salix auf. Es musste noch mitten in der Nacht gewesen sein, denn es war noch stockfinster. Er entzündete eine Kerze um etwas zu trinken. Auf seinem Nachttisch lag ein zusammengerollter Zettel. Er entrollte ihn vorsichtig und las.
„Folge dem Zeichen der gekrönten Blutulme. Allein! Die Mächte des Landes verlangen nach dir! Verliere keine Zeit!“
Auch dieses Mal ging der Zettel nach wenigen Augenblicken in Feuer auf und zerfiel zu Asche.
Salix war augenblicklich wacht und schaute sich im Zimmer um. Waren der oder die Eindringlinge noch in seinem Zimmer? Nein, er sah kein Anzeichen dafür, dass außer ihm noch jemand in diesem Raum wäre. Auch waren weder Tür noch Fenster offen, soweit Salix das von seinem Platz aus beurteilen konnte. Langsam schlüpfte er aus dem Bett und überprüfte die Tür und seine beiden Fenster, verschlossen wie auch beim ersten Brief. Ungläubig blickte er auf die Asche, dem einzigen Beweis, dass der Brief wirklich existiert hatte.
„Verliere keine Zeit!“ hatte draufgestanden. Eine eindeutige Aufforderung, wenngleich sie ihm – mit einem Blick aus dem Fenster – widerstrebte.
Der Perricumer setzte sich an seinen Tisch und stützte den Kopf auf seinem Arm ab. Er wusste, wo er hinmusste, zumindest hatte er eine starke Vermutung, dass der Brunnen in dem kleinen Waldstück nahe der Pfalz sein Ziel sein sollte. Jedoch war es mitten in der Nacht, Salix kannte sich nicht wirklich in der Gegend aus. Normalerweise würde er bis zum Morgen warten und sich dann einen ortskundigen Führer suchen. Auf dem Brief stand aber nicht nur, dass er nicht trödeln sollte sondern auch allein kommen sollte!
Er blickte eine Zeit lang zur Kerze und dachte nach, dann nickte er knapp und stand auf.
Der junge Mann hatte einen dicken braunen Wollmantel mit Kapuze angezogen, darunter einige Lagen Hemden und Westen sowie eine dicke Hose und Fellstiefel abgerundet wurde das Bild von seinen Fäustlingen und der Sturmlaterne, welche er sich geborgt hatte und die ihm seinen Weg zu dem Waldstück geleuchtet hatte. Tatsächlich hatte er sich weit schlechter zurechtgefunden als gehofft und war lange Zeit im Dunkeln herumgeirrt, hatte letztendlich dann doch zum Glück den Weg zur Pfalz gefunden und von dort nach ein oder zwei Irrwegen auch den richtigen Weg zum Wäldchen eingeschlagen. Was hatte er sich dabei nur gedacht? Hier stand er, noch immer war die Praiosscheibe einige Stundengläser weg, vor sich ein dunkler angsteinflößender Wald und hinter sich die entfernte Kaiserpfalz auf seinem Berg. Jetzt wünschte er sich ein Schwert oder zumindest einen Dolch, auch wenn er im Zweifel eher sich selbst als einen potenziellen Angreifer verletzten würde.
Was mache ich hier nur? Ich jage irgendeinem Kult nach und könnte mir gleich einen Wildschweinhauer oder schlimmeres einfangen! Dachte sich Salix als er tief durchatmete und weiter Richtung Wald ging.
Immer weiter und weiter stapfte Salix durch den glücklicherweise nicht allzu hohen Schnee. Allein in der Dunkelheit, nur die Sturmlaterne zeigte ihm den Weg und gab ihm ein kleines bisschen Sicherheit – wobei, besser konnte er auf sich, in der Dunkelheit, nicht aufmerksam machen als mit dieser Laterne. Wieder bereute er bei den Kampflektionen in seiner Jungend nicht wirklich bei der Sache gewesen zu sein. Endlich erspähte er in der Dunkelheit das Ziel seines nächtlichen Ausfluges.
Vorsichtig näherte sich Salix dem alten, steinernen Brunnen. Scheinbar wurde er nicht mehr benutzt, denn ein mit feinen Stacheln bewehrter Brombeerstrauch und immergrüner Efeu überwucherten hin fast zur Gänze. Salix leuchtete den Brunnen ab. An einem der gemauerten Steine konnte er das Konterfei eines Baumes erkennen, um deren Stamm sich eine Krone schlang. Das musste es sein, das Zeichen der gekrönten Blutulme. Er war am Ziel.
Langsam näherte er sich mit seiner Sturmlaterne dem Brunnenrand und wagte einen Blick in die Schwärze des Abgrundes. Die Dunkelheit ließ ihn nichts erkennen, das Licht der Laterne war zu schwach. Auf einmal hörte Salix eine Stimme aus den Tiefen des Brunnenschlundes, die ihn zusammenzucken ließ.
„Angareth hat dich gerufen, du bist dem Ruf gefolgt. Schließe den Bund mit den Mächten des Landes, werde ein Diener der gekrönten Blutulme und dir werden Türen offenstehen von denen du noch nie gewagt hast zu träumen!“
Überrascht und etwas verängstigt zuckte Salix vom Brunnenrand zurück. Er konnte nichts darin sehen und doch klang die Stimme durchdringend und mächtig. Verunsichert blickte er sich um, gab es jemand in Sichtweite, der sich einen Streich erlaubte? Ein Scharlatan der ihn zum persönlichen Vergnügen hierhergeführt und nun verschaukelt hatte? Nein, da war nichts. Der junge Mann war hier allein mit sich, dem Brunnen und Madasspiegel, der gerade hinter Wolken verschwunden war.
Salix schluckte und ging wieder zum Brunnen, langsam und vorsichtig schob er seinen Kopf über den Rand und fast wie in Trance rief er in den Brunnen: „ich bin bereit der Blutulme zu dienen! Zum Schutz des Landes!“.
„So opfere dem Land dein Blut, auf das dieser Bund für alle Ewigkeit bestand hat. Gelobe dem Land der gekrönten Blutulme zu dienen, das Unteilbare zu vereinen, so wie es Raul der Große und Alrik der Tugendhafte gefügt haben. Nimmermehr soll Menschenhand teilen, was zusammengefügt seit dem ersten Bund von Korgond.“
Salix sah sich im Licht der Laterne um. Er brauchte etwas um den Bund zu vollziehen. Unter einer Dornenranke blitzte ein silbrig glänzender Dolch auf. Sein Knauf zierte das bekannte Symbol der gekrönten Blutulme. In einem Moment des Übermutes schnitt sich Salix damit in die rechte Handfläche und ließ das daraus rinnenden Blut in den Brunnenschacht tropfen.
„Für das unteilbare Land, für Argareth, für die gerechte Herrschaft, für den Bund von Korgond!“, hörte er sich selbst sagen.
„So sei es vollbracht, Diener der gekrönten Blutulme! Du wurdest erwählt um Verrat am Land zu sühnen. Dunkle Mächte trachten danach den uralten Bund zwischen Mutter Garetia und Tochter Greifenfurt zu pervertieren. Es ist an dir dies zu verhindern! Bis aufs letzte Blut! Bist du bereit dafür zu töten?“
Salix nickte, erst langsam dann immer bestimmter. Ihn hatte ein bis dahin noch nie dagewesenes Gefühl von Erhabenheit ergriffen. „Wenn es nötig wird, bin ich bereit bis an das Äußerste zu gehen!“, rief er in den Brunnen hinein, seine Faust um den silbrig glänzenden Dolch geballt. Ein sonderbares Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit ging von diesem aus. „Sagt mir, was erwarten die Diener der gekrönten Blutulme als Erstes von mir?!“
„Folge der purpurnen Fuchsfährte und schütze die Insignien des uralten Bundes mit deinem Leben! Verrat lauert überall! Mach dich bereit die Verräter des Landes auszulöschen!“
Dann nannte die Stimme aus den Tiefen des Brunnen einen Namen. Es war also soweit, Salix würde das erste Mal in seinem Leben töten.
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