Geschichten:Der uralte Bund - Erkenntnisse IV
Rondra-Tempel der Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF:
Ruhigen Schrittes, um nicht viel Aussehen zu erregen, traten die vier Herrschaften Fredegard von Hauberach, Perainka Adersin von Dunkelsfarn, Jolande von Grevinghoff und Salix von Hardenstatt in den Rondra-Tempel ein. Hauptmann Rallerau und zwei seiner Gardisten postierten sich vor dem Tempel.
Der Andachtsraum, in unzählige Lichter getaucht, war mäßig besucht. Hier und da saßen ein paar Gläubige zum Gebet in sich versunken. Geweihte waren auf dem ersten Blick nicht zugegen, wohl aber zwei Novizen. Die Herrschaften blickten sich behutsam im Tempelraum um. Auf einer der hinteren Reihen saß ein großgewachsener Mann, der zu der Beschreibung des Gesuchten passen könnte.
Ohne auf ihre Begleiter zu warten und so womöglich den Gesuchten zu alarmieren, schritt die Perricumerin zur hintersten Bank, wo sie leicht nach rechts versetzt hinter dem mutmaßlichen Greifenfurter Platz nahm und zugleich einen guten Blick auf ihn hatte. Anschließend tat Fredegard so, als betete sie, schaute aber immer wieder aus den Augenwinkeln heraus unauffällig zu dem Mann hinüber, weniger um ihn zu mustern - was wohl auch zu auffällig wäre - als um an seinen Bewegungen erkennen zu können, wenn er tatsächlich begänne, etwas in die Bank zu ritzen.
Währenddessen schritt Salix andächtig durch den Tempelraum. Eigentlich hatte er sich um die Aufzeichnungen kümmern wollen, doch nun durfte er im Rondra-Tempel sich um einen großgewachsenen Ritter kümmern, dem er im Fall der Fälle nichts entgegensetzen konnte. Vorne angekommen sprach er die Novizin mit gedämpfter Stimme an, wobei er sich so hinstellte, dass er die Bänke mit den wenigen Gläubigen im Blick hatte, ohne dass dies – dank seiner Position – auffällig wäre. „Rondra zum Gruße, entschuldigt die Störung, doch suche ich nach einem bärtigen Hünen. Er soll sich dieser Tage öfters hier eingefunden haben."
Die Novizin, welche sich als Birte vorstellte, schien kurz zu überlegen. „Ah, wurdet Ihr von dieser Frau geschickt? die hat sich auch für den interessiert. Der Hüne kommt fast jeden Tag her, sitzt immer an einer anderen Stelle und starrt vor sich her. Oft sind dann irgendwelche Schnitzereien in den Bänken zu finden, die ich dann wegmachen muss."
Salix nickte knapp und fuhr dann fort: „Sagt, ist dieser Mann heute schon hier erschienen oder ist er vielleicht schon hier? Und bitte, sollte dem so sein, deutet nicht auf ihn.“, bat der blonde Adlige freundlich die Pagin der Göttin.
Birte nickte knapp und deutete mit dem Kopf in die Richtung des Hünen.
Ihr Gesprächspartner lächelte zufrieden, bedankte sich knapp und wandte sich dann zum Gehen. Er wollte den Mann in flagranti erwischen. Deshalb begab er sich an einen der Schreine, welche in der Nähe des Hünen sowie der Reichsedlen standen.
Doch nachdem der Mann so gar keine Anstalten machte, sich auch nur zu bewegen, richtete sich Salix auf und begab sich neben den vermeintlichen Bänkeschnitzer. Knapp verbeugte er sich und raunte ihm ein „Den Zwölfen zum Gruße, Rondra vor. Ihr habt doch sicher nichts dagegen?“ zu und setzte sich neben dem Mann.
Der Perricumer ließ seinen Blick etwas durch den Tempel schweifen und atmete hörbar zufrieden aus. „Welch andächtiger und erhabener Ort, nicht wahr? Man spürt regelrecht, wie der Geist der alveranischen Leuin einen hier erfüllt, nicht wahr?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Oh entschuldigt mein Benehmen, ich habe mich ja gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Salix von Hardenstatt und ich komme aus Perricum – und ihr?“.
Salix saß links von dem Hünen auf der Tempelbank. Auf der rechten Seite, gut zwei Schritt davon entfernt am Ende der Bank, kniete eine dickliche Gläubige mit grauen Haaren, im Gebet versunken. In der Bank hinter dem Hünen, etwas versetzt nach rechts, saß Fredegard von Hauberach. Vor dem Hünen saß andächtig ein junger Mann. Perainka Adersin von Dunkelsfarn war im Eingangsbereich verblieben und beobachtete von dort aus die Szenerie, genauso wie Jolande von Grevinghoff.
Der großgewachsene Mann schien nicht sonderlich erfreut über den Redeschwall von links zu sein. „Ihr redet viel.“, kam es brummend aus ihm heraus. Dabei ließ sich die Greifenfurter Mundart erahnen.
Der Quell des Schwalls hob die Hand etwas beschämt vor seinen Mund. „Oh, verzeiht mir. Es ist nur so, dass mich dieser Ort besonders ergreift“. Kurz schien es so, als sei die Quelle versiegt, doch dann ergoss sich abermals ein Rinnsal in Richtung des Greifenfurters, „Ihr scheint aus der praiosfürchtigen Mark Greifenfurt zu kommen, edler Herr. Dann habt ihr sicherlich eine ganz besondere Verbindung zur Herrin Rondra. Immerhin stand sie den Eurigen – oder gar Euch? – bei, als es gegen die verdammte Brut der Schwarzpelze und ihre götterlästerlichen Götzen zu bestehen galt.“ Fast selbstgerecht blickte Salix nach vorne zur Statue der Sturmleuin, bevor er abermals anhob: „Eure Opfer und Taten werden nie vergessen werden, die Orkbrut mitsamt abscheulicher Götzen in das Loch getrieben zu haben, aus dem sie herausgekrochen kamen. Welch zwölfgötterliche und vor allem rondragefällige Tat!“.
Nun legte sich ein zufriedenes Lächeln auf die Gesichtszüge des blonden Adligen, der neben dem Hünen nochmals wesentlich schmächtiger und kleiner zu wirken schien, als er sowieso schon war.
Der Hüne hatte während des Perricumer Redeschwalls seine rechte Pranke zu einer Faust geballt, bewegte sich sonst jedoch nicht, was ihm einiges an Beherrschung abverlangte. „Der Kampf ist nie vorbei.“, brummte er kaum hörbar.
Der blonde Mann aus den Trollzacken nickte bestätigend, „Ja, nur ein Haderlump würde dies bestreiten. Die Feinde der zwölfgöttlichen Geschwister mögen zurückgeschlagen sein, doch gänzlich ausgerottet werden die orkischen Götzen wohl erst, wenn die Schwarzpelze ihrem falschen Glauben abgeschworen haben oder eben… ihren schwächlichen Fehlvorstellungen nicht mehr nachgehen können“. Selbstbewusst hatte er seine Worte vorgetragen und dabei das Wort „Haderlump“ im Besonderen betont. Auch wenn es so aussah, als würde Salix nicht genau auf den Mann achten, so hatte er ihn im Blick und war sich der geballten Faust bewusst. Innerlich zählte er nur die Momente, bis der Hüne austicken und den Perricumer mit seiner Faust bekannt machen würde.
Der, nun sichtlich bebende, Hüne riss die Augen auf und eine hasserfüllte Fratze setze sich in seinem Gesicht fest. Schneller, als der Perricumer hätte reagieren können, und mit einer solchen Wucht, die Knochen brechen konnte, flog die rechte Pranke zur Seite und traf Salix am Jochbein, welches unnatürlich knackte.
Von einer solchen Wucht getroffen, flog das Plappermaul um und rutschte die Bank entlang. Der Greifenfurter hatte sich unterdessen aufgerichtet und stieß einen hasserfüllten Schrei aus, der dafür sorgte, dass alle anwesenden Augenpaare auf die beiden Männer gerichtet waren. Salix zog sich am Bankrücken langsam hoch, während aus der Platzwunde unter seinem rechten Auge etwas Blut floss. Noch immer benommen von dem ersten Treffer konnte er auch nichts dagegen tun, als der Greifenfurter ihn am Kragen packte und nach oben zog, um sodann seine linke Pranke auf ihn niederfahren zu lassen. Dieses Mal traf er den Bauch des Perricumers, dem nun die Luft schlagartig aus den Lungen entwich und der dadurch den Schlag lediglich mit einem stummen Keuchen quittieren konnte. Doch der Hüne war scheinbar noch nicht fertig, die Wut und der Hass wallten durch seinen Körper und mit der Kraft eines Ochsen warf er den jungen Adligen nach vorne, wodurch er gegen die Bänke geschmissen wurde, dort laut aufstöhnte und sich übergab.
Das war der Moment, wo sich zumindest Perainka Adersin von Dunkelsfarn aus ihrer Schockstarre löste und nach draußen eilte.
Davon unbekümmert fing der Hüne an, über die Gebetsbänke hinweg zu steigen, um zum, immer noch am Boden liegenden, Perricumer zu kommen.
Dieser Plan wurde jedoch durch die hereinstürmenden Wachen, unter der Leitung von Hauptmann Rallerau, unterbunden. Diese warfen sich ohne zu zögern gegen den Hünen und hielten ihn davon ab, Salix weiter zusammenzuschlagen.
Fredegard hatte das Schauspiel mit offenem Mund, ansonsten aber äußerlich ungerührt verfolgt. Sie fragte sich kurz kopfschüttelnd, ob dieser Salix nun außergewöhnlich mutig oder ebenso außergewöhnlich dumm gehandelt hatte, bevor sie sich wieder an den eigentlichen Anlass ihres Hierseins erinnerte.
Nachdem der greifenfurter Waldschrat von den Wachen überwältigt worden war, begab sich die Reichsedle zu seinem bisherigen Sitzplatz und nahm diesen sowie dessen unmittelbare Umgebung genauer in Augenschein. Vielleicht hatte der Mann sich ja bereits 'künstlerisch betätigt' und konnte so gewissermaßen in flagranti ertappt werden.
Nach kurzem Suchen hatte die Adlige die frisch eingeritzten Buchstaben ,EBSʼ am Platz des Greifenfurters entdeckt. „Ich habe hier etwas gefunden!“, rief die ehemalige Baronin, „Weiß irgendwer hier mit dem Kürzel ,EBSʼ etwas anzufangen? Und durchsucht den Kerl nach einem Messer und Holzspänen. Falls er beides bei, respektive an sich hat, dürften wir unseren Bänkeschänder überführt haben.“
Die Marktvögtin von Dunkelsfarn eilte zu dem, immer noch, am Boden liegenden Salix und schaute sich den Mann mit einer Mischung aus Ekel und Sorge an. „Ihr da! Helft dem Mann, er kann sich ja nicht mal selbst aufrichten!“, rief sie in die Richtung der zwei Novizen, welche mit offenen Mündern und regungslos dastanden. Dank des schrillen Tonfalls wurden die beiden Novizen aus ihrer Schockstarre gerissen und eilten zu dem Perricumer, um ihm aufzuhelfen.
Der verzog schmerzverzerrt das Gesicht, als man ihn hochzog, dankte den Dreien aber knapp und stützte sich auf die beiden Novizen. „Mir sagt das nichts…“, murmelte er in die Richtung der Reichsedlen.
„Wir bringen ihn zum Medicus! Er scheint übel zugerichtet worden zu sein“, erklärte Novizin Birte.
„Und was diese Abkürzung angeht, so könnte es 'Est bibendum sanguinem' bedeuten. Das ist Bosparano für 'Es gilt Blut zu trinken'. Dieser Spruch wurde zumindest schon öfter hier in die Tempelbänke geritzt. Was es damit auf sich hat, weiß ich aber auch nicht.“
„Womit wir, meiner bescheidenen Meinung nach, wieder bei den Schnittern und den Orkgötzen wären“, raunte Fredegard in Richtung der Vögtin und Salix zu. „Aber das sollten wir besser an einem anderen Ort in Ruhe erörtern. Ach ja, was hat die Durchsuchung des Mannes ergeben?“
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