Geschichten:Des Greifen Tatzen - Der letzte Tropfen
Auf der Reichsfestung Wogentrutz auf den Efferdstränen im Rondra 1044 BF
"Was für eine verdammte Ungerechtigkeit, ahhh!", Leobrecht trat wütend den Holzstuhl und bereute den Entschluss sogleich. Der Stuhl war stabil und hart, Leobrechts auf das sechste Jahrzwölft zugehender Körper war das nicht mehr. Missmutig warf er stattdessen den Bierkrug gegen die Wand und freute sich, dass wenigstens dieser ordentlich zerbarst.
"Hochgeboren, alles in... ?", stürmte Alderan besorgt in das Arbeitszimmer hielt dann aber inne, als er den alten Mann sah, der sich grimmig seinen inzwischen nackten Fuß rieb und auf eben jenem Stuhl saß, der ihn kurz zuvor besiegt hatte.
"Ja, verdammt, alles in Ordnung - ach Scheiße, nichts ist in Ordnung. Hast Du mitbekommen, wessen Kommando die Perricumer Truppen unterstellt werden?"
"Eine durchaus vernünftige Entscheidung ihrer Majestät würde ich sagen."
Leobrecht ließ die Faust auf die Armlehne krachen und ignorierte diesmal den Schmerz, "Vernünftig? Das hätte mein Kommando werden müssen. Warum ernennt sie mich nicht zum Marschall? Habe ich nicht genug für die Kaiserin ertragen? Kein Joch zu groß?"
"Hochgeboren wäre natürlich ebenfalls..."
"...ich wäre die einzig richtige Wahl gewesen! Ich habe den Gareths den Arvepass gehalten, und ich passe auf all jene Gefangenen auf, die ihnen nicht recht sind. Ich kenne die meisten Perricumer Familien unter den Truppen seit Jahren."
"Natürlich, aber die Wahl ihrer Majestät..."
"...ist Bullenscheiße! Die Truppen ziehen über meine Heimat, da kenne ich mich besser aus als jeder andere. Verdammt, ich kenne die ganze Strecke noch aus meiner Zeit bei der Kanzlei für Handel und Wandel."
"Hochgeboren, ich kenne Euch als ruhigen, bedachten..."
"Ich habe mein Haus aus der Fehde herausgehalten, habe mich immer auf die Seite des Kaiserreichs gestellt, denn bisher hat der Kaiserhof den Ochsen ihre Treue jedes Mal entlohnt. Das war für mich der letzte Tropfen!"
Leobrecht humpelte zum Fenster und atmete mehrere Male sehr tief die Seeluft ein. Alderan hielt es für besser ebenfalls zu schweigen.
"Alderan, ich muss Dich bitten Borons Mantel des Schweigens - nein besser - Borons Segen des Vergessens über meine unbedachten Worte zu legen."
Alderan nickte, einigermaßen erschrocken über den so ungewohnt emotionalen Ausbruch seines sonst so sachlichen Lehrmeisters. Als ihm auffiel, dass der abgewandte Reichsvogt sein Nicken nicht wahrnehmen konnte, fügte er schnell ein "Jawohl, Eurer Hochgeboren" hinzu.
"Ich bin ein Ochs, ich stelle mich vor den Karren, den der Kaiserhof mir zugedenkt. Kein Joch zu groß!"
Aber Alderan hörte keine Überzeugung aus den letzten Worten...