Geschichten:Des Reichsbehüters Testament
Wir, Brin, im Unseres Vaters Namen Behüter des Heiligen Neuen Reichs vom Greifenthron zu Gareth, von der Zwölfe Gnaden Kaiserlicher Prinz, König von Garetien et cetera, geben dies von eigener Hand, der Nachwelt zum Gedenken.
Denn Ihr, der Ihr diese Zeilen lest, habt das Siegel gebrochen, wohl wissend, dass Wir nicht mehr auf Deren weilen. Doch auch nur einen Blick in Eure Augen mag der gehörnte Herr der Zeit Uns nicht gönnen, und so bleibt es Uns verborgen, ob Ihr, meine liebe Frau, es seid, die Ihr als Erste Kenntnis nehmt von Unsrem Abschiedsgruß, oder ob Ihr an Unsrer Seite auf dem Feld der Ehre liegt. Gleich wer Ihr seid, Freund oder Feind, wisset um die Worte, die Wir von jenseits des Nirgendmeeres, der großen Leere, den Lebenden zurufen: Verzaget nicht!
Der Fuchs entkommt der Falle, der Greif ist nicht geschlagen, die Löwin brüllt zum Himmel auf.
Vor Euch seht Ihr Unsren Leichnam, die sterbliche Hülle, die Wir aufgegeben, und trauert um des Königs Tod. Doch Unser Geist, der Geist des Reiches, lebt, lebt fort in den Unsrigen.
Wenn nur einer von Euch, Emer, Storko, Dexter, Fingorn, Hartuwal und Leomar, noch am Leben ist, dann weht des Reiches Banner hoch! Wenn von Euch Herzögen und Fürsten nur einer noch zum Kampfe ruft, dann weh dem Feind! Wenn von Euch Grafen, Freifraun, Rittern, Edlen, Junkern nur einer noch das Schwert erhebt, wenn von Euch Vögten, Bürgern, Freien nur einer noch den Göttern dankt, dann steht das Reich! Nichts ist verloren! Und noch einmal: Verzaget nicht!
Ihr werdet wohl erwartet haben, dass Wir hier Unsren weltlichen Besitz aufteilen und das Geschacher um des Kaisers Rock eröffnen, doch nichts von alledem ist Unser Sinn. Wo sollten Wir auch beginnen, wo enden, wem sollten welche Würden Wir verleihen, wenn tausend Wendungen des Schicksals gerade vor Uns liegen? Dass Waldemar, der Weidener wack’rer Herzog, fallen würde, wer hätte das gedacht? Dass Haffax, Unser Marschall, den Wir als Freund an Unsrer Seite glaubten, dem Feind zuliefe, Rondradan von Streitzig, Unser eigner Vetter, Uns an den Schwarzen Herrn verriete, wer hätte das geglaubt? Nein, bis auf ein weniges, das Wir ans Ende dieses Dokumentes setzen, wollen Wir die Hinterlassenschaften an die Uns Nachfolgenden verfügen. Denn einzig, dass Wir Unsere Kinder, des Raulschen Reiches Erben sorgsam bewacht an sicherem Orte wissen, verschafft Uns Sicherheit in dieser Stunde.
Aus den genannten Räten und Vertrauten oben kürt Euch den einen oder eine zum Vormund und zum Reichsregenten, und in die so erwählten Hände wollen Wir vertrauensvoll die Vielzahl der Entscheide legen, bis dass das Kaisertum in Unsrer Tochter seine neue Blüte findet. Wohl hoffen Wir, dies Blatt Papier in naher Zukunft mit Unsrer guten Hand selbstselbigst zu zerreißen, auf dass sein Inhalt nimmer preisgegeben wird, doch eine Ahnung überkommt Uns düster unheilvoll.
Was bleibt noch zu sagen? In Reinheit wollen Wir vor alle Zwölfe treten, und darum sprechen Wir nun nicht mehr von Rache oder Hass, sondern von Verzeihung und Liebe. Unser Herzensgruß gilt Euch, Emer, Rohaja, Yppolita und Selindian, möget Ihr Eures Gatten oder Vaters wohl gedenken in guten wie in schlechten Stunden! Doch auch Ihr, Bernfried aus dem Hause Ehrenstein, richtet Euren Rücken! Wir vergeben Euch und Eurem Blute die Schuld Eures Vaters, Ihr habt sie mehr denn dreifach abgebüßt.
Wir schreiben dies am 17. Praioslauf in Ingerimms Mond auf der Mersinger Burg.
Mit Euch die Götter,
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