Geschichten:Des Vaters Sohn - Eine aufwühlende Nachricht
In der Nacht des 1. Efferd 1036 BF: Gareth: Haus des Tuchhändlers Ismeth Dshadirìn-Baerwacht
Theomar öffnete vorsichtig die Tür am Ende des Korridors. Das Zimmer war nur erhellt von ein paar wenigen Kerzenstummeln und dem letzten Rest Glut, der im Kamin vor sich hin glomm. Abgesehen von den dicken Regentropfen, die unentwegt auf den Fenstersims und gegen die Scheiben prasselten, herrschte im Raum Totenstille. Ein unangenehm süßlicher und modriger Geruch stieg ihm in die Nase und auch die vielen Duftwässerchen, mit denen offensichtlich versucht wurde, diesen Gestank zu überdecken, machten es eigentlich nur schlimmer. Theomar trat einen Schritt in den Raum hinein. „Mutter? Bist du hier?“, fragte er leise.
Dann sah er sie in der Ecke des Raums. Praiodane von Baerwacht saß in Decken gehüllt und ein wenig zusammengesackt in einem bequemen Sessel direkt neben dem Fenster und schlief. Er entschloss sich sie nicht zu wecken und ging leise zum gegenüberliegenden Ende des Raums. Hier war der Gestank noch schlimmer und in dem großen Bett an der Wand konnte er jetzt auch die Quelle ausmachen.
Da lag er also, Ismeth Dshadirìn-Baerwacht. Es dauerte ein bisschen bis Theomars Augen sich an die Dunkelheit unter dem Baldachin des Himmelbettes gewöhnt hatten und er den Mann, der darin lag, ausmachen konnte. Sein Gesicht wirkte leicht aufgedunsen und die sonst so braune Haut des Tulamiden war kreidebleich. Der Rest des Körpers war um einiges massiger als er seinen Vater ohnehin schon in Erinnerung gehabt hatte.
Theomar stand eine Weile da und sah ihn einfach nur an. Nichts... Kein Gefühl der Trauer, gar nichts. Es erschreckte ihn ein wenig, schließlich stand er hier vor dem Leichnam des Mannes, der ihn gezeugt hatte und trotzdem war das Einzige, was er verspürte, Erleichterung. Er hatte nie viel Liebe für seinen Vater übrig gehabt und sein Vater wiederum auch nicht für ihn. Das letzte Bisschen Zuneigung hatte sich im Herbst vor zwei Götterläufen aufgelöst, als Ismeth seine Frau, Theomars Mutter, in einem Zornesanfall die Treppe hinabgestoßen hatte. Theomar war damals gerade 19 geworden und hatte seine Schwertleite beendet. Drei Diener hatten ihn von Ismeth zurückhalten müssen, damit er das Gesicht seines Vaters nicht zu Brei schlug. Danach war er direkt abgereist und hatte seinen Vater bis zu dem heutigen Tag nicht wieder gesehen. Nur mit seiner Mutter traf er sich ab und zu in der Stadt, wenn Ismeth es nicht mitbekam.
Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er da stand und in das feiste Gesicht seines Vaters starrte. Vom anderen Ende des Raums hörte er wie seine Mutter sich regte. Eilig schritt er zu ihr herüber. „Mutter!“, sagte er diesmal lauter als zuvor.
„Theo, mein Junge, mein lieber Theo, hilf mir auf, damit ich dich umarmen kann“, sagte sie glücklich.
„Wie geht es deinem Bein?“ fragte er sie, nachdem die beiden sich ausgiebig umarmt hatten.
„Mal so, mal so, das Wetter setzt mir manchmal ganz schön zu“, antwortete sie. „Aber lass uns nicht hier weiter reden. Der Geruch ist doch etwas unangenehm, und es gibt viel, was wir beide zu besprechen haben.“
Während sie den Satz beendete, schweifte ihr Blick kurz ab und ihre Stimme wurde nachdenklich.
...
Als Theomar den Schlafraum seiner Mutter verließ war er völlig verwirrt und durcheinander. Sie hatten viele Stunden geredet, sodass es bereits dämmerte. Er eilte so schnell er konnte das knarzende Treppenhaus hinunter, stieß die Tür zur Straße auf und trat in den strömenden Regen. Es tat gut, das kalte Nass auf der Haut zu spüren und während er ziellos durch die Straßen lief ordnete sich langsam das Gefühlschaos in seinem Inneren. Nach einiger Zeit blieb er stehen und merkte wie kalt und nass er war.
Doch das war ihm egal, denn Ismeth war nicht sein Vater. Sein Vater war ein guter und rechtschaffener Mann, vielleicht sogar einer der besten und rechtschaffendsten Männer des ganzen Reiches.