Geschichten:Deutung von Geshlas Traum - Geshla erzählt ihren Traum
Reichsstadt Perricum, Anfang Phex 1040 BF, Kloster des Vergessens
Sie stand in dem Zimmer, welches für Besucher gedacht war, und wartete auf den Hüter Bishdariels, Bishdaryan. Glücklicherweise weilte er gerade hier, sodass ihr langatmige Erklärungen zu dem Orden erspart bleiben würden. Er war im Bilde.
Doch würde er es auch schaffen, diesen Traum zu deuten? Fahrig strich sie sich eine Strähne aus dem dunklen Haar. Sie hatte schwitzige Hände. Ihr erster Ritter Hlutharion von Sturmfels wartete im Klosterhof auf sie. Er schien merkwürdig befangen, seitdem sie eingetroffen waren. Scheinbar plagten auch ihn Erinnerungen an üble Zeiten. Zeiten, die er einst versucht hatte, hier zu vergessen.
Unruhig blickte die Baronin hinaus auf das Treiben in der großen Stadt am Perlenmeer. Verfolgte den Gang einiger Diener, die eilig durch die Straßen gingen, und einem nichtigen Ziel folgten. Niemand ahnte, was sich hier zusammenbraute, und wenn sie ehrlich war, war dem auch gut so. Nach dem schrecklichen Verrat der Reichsstadt, und dem freien Durchzug von Haffax' Truppen, traute sie den hiesigen Städtern noch weniger. Sie waren sich immer selbst am nächsten. Das schnelle Geld, die eigene Macht oder eine leicht erhältliche Vergnügung, das war es, was man hier suchte.
"Derdie... Der Dien... Der Dienerernerner Bibibishdadadarielelelels..." Die heftig stotternde Dienstbotin riss sie aus ihren Gedanken und kündigte das lang erwartete Eintreffen des Noioniten an. Geshla von Gnitzenkuhl war sicher, dass er deshalb so lange gebraucht hatte, weil die Frau - an ihrer Tracht zu erkennen: eine Schutzbefohlene des Klosters - ihm mündlich vom Eintreffen der Baronin berichtet hatte. Eine absichtsvolle, tägliche Prüfung der Geduld der Seelsorger und Besucher gleichermaßen, vermutete sie, ausgerechnet diese Frau Nachrichten innerhalb des Klosters übermitteln zu lassen.
Bishdaryan von Tikalen trat ein und strahlte ein Gefühl der Ruhe aus, dem sich die Baronin nicht entziehen konnte. Zugleich meinte sie, dass es im Raum ein wenig dunkler wurde - sicher eine Folge seiner schwarzblauen Robe. "Der tröstende Boron mit Euch, Schwester" sagte er, umschloss ihre ausgestreckte Hand mit seinen beiden - und lächelte.
Nach der Begrüßung führte er Geshla hinaus in den Innengarten des Klosters. Im Schein der Frühlingssonne arbeiteten einige Schutzbefohlene - oder berichteten, wie eine Rothaarige an einem Kräuterbeet, unsichtbaren Zuhörern von ihren Heldentaten. Keiner von ihnen schien Interesse an den beiden zu haben.
Während sie auf den mit Küstensand gestreuten Wegen langsam durch den Garten schlenderten, fiel mehr und mehr ihrer Anspannung von der Baronin ab. "Eure Nachricht hat mich darauf vorbereitet, was Euch zu mir führt", sagte Bishdaryan schließlich. Seine Stimme war fest, doch Geshla schien's, als ob sie nur bis zu ihrem Ohr trage. "Doch berichtet mir nun genauer: Wobei kann dieser Diener Bishdariels Euch beistehen?"
Sie faltete die Hände, und vermied es ihn anzusehen. Stattdessen betrachtetesie scheinbar den Zug einiger Vögel im Himmel über ihm.
"Ich suche Rat, wegen eines sehr erschütternden Traumes. Ein Traum, von dem ich die Sorge habe, dass er, bliebe er unbeachtet, Schaden verursachen könnte."
Sie schaute ihn jetzt wieder an, und der erfahrene Mann Borons konnte aufflackernde Sorge in dem sonst so selbstsicheren Antlitz der Baronin erkennen. Doch sie sprach weiter.
"Bislang habe ich JENEN Traum niemandem erzählt, nur davon berichtet, dass es ihn gibt. Aber ich muss ihn endlich mit jemandem teilen. Jemandem, mit dem ich dann auch darüber sprechen kann, was er vielleicht zu bedeuten hat, und warum ausgerechnet ich diesen Traum erhielt. Wißt ihr, er ist so real, so präsent, als wäre ich gerade aufgewacht, und könnte ihn darum so genau erzählen."
Mit einer mechanisch wirkenden Geste hatte sie ein Tuch aus ihrem Beutel genommen und tupfte sich die Schläfen ab. Feiner Geruch von Lavendel machte sich umgehend breit. Dann atmete sie noch einmal tief ein und wieder aus, bevor sie endgültig anhob, um den Grund ihres Hier seins zu teilen.
"Ich war in dem Traum wohl in gesegneten Umständen, zumindest wähnte ich mich, als es beginnt, mitten in der Geburt. Neben mir stehen nebachotische Gelehrte, acht an der Zahl. Sie unterhielten sich tuschelnd, und ignorierten meine Schmerzen und Bitte, mich bei der Geburt zu unterstützen, obgleich ich sie anschrie. Stattdessen trat ein kleines Mädchen mit grünen Augen an mein Bett, und reichte mir Tücher sowie schmerzlindernde Tinkturen. Doch bevor ich mich noch bedanken konnte, wurde sie wenig freundlich von den acht Männern verscheucht. Schließlich war es dann soweit, und eine wahrlich schmerzhafte Geburt setzte ein. Als ich das Kind schließlich in Armen hielt, drängten die Männer hinzu und wichen erschrocken von mir, als sie sahen, was es war, was ich geborenhatte."
Bei der Schilderung hatten sich kleine Schweißperlen auf der Stirn der Baronin gebildet, und sie sah sehr mitgenommen aus. Das Tuch mit dem Lavendelduft wurde neuerlich von ihr benutzt. Entschlossen, weiterzusprechen, zerknüllte sie es schließlich in der rechten Faust, während sie stockend weiter berichtete.
"Dann... konnte ich es auch sehen. Es hatte... es hatte zwei Köpfe. Doch nicht genug, dass es diese Abnormität aufwies. Nein... auf den Köpfen fanden sich dann noch je drei Hörner. Und aus seinem Mund schlängelten sich gespaltene Zungen. Die Augen, die mich anblickten, waren grüngelb und starr. Seine Haut war mit Schuppen bedeckt. Natürlich waren die Gelehrten noch mehr als ich über diesen Anblick aufgebracht, darum spekulierten sie darüber, die Missgeburt sofort im Fluß zu ertränken. Aber... ich fühlte tief in mir, dass ich das Wesen, was ja schließlich MEIN Kind war, zu beschützen hatte. Das nächste, was ich dann weiß, ist, dass ich in schäbigen Kleidern im Dunkeln auf ein Lagerfeuer zulaufe, in der Hoffnung auf Hilfe. Das Kind, das seltsame Geräusche von sich gibt, drücke ich dabei an mich. Dort finde ich einen alten Mann, der sehr hilfsbereit aussieht, und mir einen warmen Mantel reicht. Er spricht nicht, aber in seinem Blick lese ich die Frage, wohin ich will. Dann spreche ich, ohne, dass ich zuvor daran gedacht hätte laut aus: Korgond!"
Die Baronin von Gnitzenkuhl blickt jetzt fragend herüber.