Geschichten:Die Blutspiele - Ruhe nach dem Sturm
Haselhain,Hassal'han Ammayin, 17.Peraine 1037 BF
Als Lyn statt auf die Papiere vor ihr aus dem Fenster schaute und in den klaren Frühlingsmorgen blickte, fiel ihr vor allem die Stille auf. Die Trommeln und das mehrsprachige Stimmengewirr, die an jedem der letzten Tage vom baldigen Beginn der Kämpfe kündeten, waren nahezu verstummt. Der Abbau des bunten, archaisch-wirkenden Zeltlagers war schon weit fortgeschritten und sobald sich der Boden wieder erholt hatte würden auf den Wiesen und Weiden erneut die Schafe, Rinder und natürlich Pferde grasen.
Die Ruhe war ungewohnt und gab Lyn zum ersten Mal seit bald drei Wochen das Gefühl, innehalten zu können und über die Geschehnisse der letzten Tage nachzudenken. Ein Schmunzeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie an den ersten Tag der Wettkämpfe zurück dachte. Die Blicke der anderen Teilnehmer als die Unterführerin der Schwarzen Wölfe, Jasira von Blutauge als zwar "adoptierte" aber raulsche Frau auf ihre Teilnahme an den Spielen bestand, würde sie wohl nicht so schnell vergessen. Diese Mischung aus Empörung über diese Anmaßung einerseits und der Bewunderung für Jasira als akzeptierte Kriegerin andererseits war wohl bei den Nebachoten einzigartig. Zur Überraschung ihrer Kritiker schlug sie sich auch sehr gut und war bei den Säbelkämpfen unter den besten Zehn, was sie veranlasste, die Position des A'Juwar bei den Wölfe einzufordern. Lyn war sich sicher, dass die Frau sich auch in dieser Position gut schlagen würde, gerade auch weil sie hart dafür kämpfen musste.
Lyns Gedanken gingen zu dem schönen Baburen Hamed, der vorallem durch die tanzhafte Art seines Kampfes überzeugen konnte und weiter zu dessen krassem Gegenteil Korwin von Schurr, dem Hauptmann und 1. Leibwächter der Garde der berühmtesten Einheit der Krek Awar Nebachoten - dem Neunschwänzigen Skorpion von Gerbental. Der Mann hatte gezeigt, dass er ein nicht zu unterschätzender Gegner war, aber sie war immer noch sehr irritiert von seiner fast schon wahnsinnigen Art und seinem wirren Auftreten. Der tätowierte Skorpion auf der Stirn und der irre Blick taten da sicher das ihrige und auch die Geschichten darüber, dass die Krieger seiner Einheit sich vor einem Kampf mit Skorpionsgift in einen Rausch versetzten. Diese Legende glaubte Lyn nur all zu gern nach dem sie diesen Mann hatte kämpfen sehen. Der Verrückte war bei allen Wettkämpfen stets unter den besten zwanzig gewesen, beim Faustkampf überrsachend sogar unter den besten fünf.
Die Erinnerungen an den Faustkampf riefen auch die Erinnerungen an den ihr gut bekannten Al’Arik zurück. Gnadenlos und unbarmherzig hatte er sich von seiner blutigsten Seite gezeigt und seinem Beinamen „Bluthund“ alle Ehre gemacht. Der Barbure, der sich bis zu der Begegnung mit ihm sehr gut geschlagen hatte, schwor ihm blutige Rache dafür, dass er ihm sein Ohr abgebissen hatte.
Doch hatte Eslam nicht nur ihn ins Rennen geschickt, sondern auch seinen höchsten Leibgardisten, Hamir von Turatal, den Hauptmann der legenderen "Krieger der Söhne Kors". Lyn war sehr erstaunt darüber gewesen, wie gut er sich trotz seines recht hohen Alters noch geschlagen hatte. Andererseits war dies bei der harten Schule der Elitegarde auch kein Wunder, und gerade Eslam war nicht dafür bekannt, diese Position jemandem aus Sentimentalitäten behalten zu lassen.
Dem alten Krieger galt ihr Respekt, hatte er es doch sogar fast geschafft, Eslams Bastardsohn Martok im Speerwurf zu schlagen. Doch mit zwei Punkten Vorsprung erreichte dieser die nächste Runde, um wie so oft bei diesem Turnier Hakim von Lanzenruh, dem Hauptmann der Schwarzen Wölfe, gegenüber zu stehen. Dieser schien wahrhaft beflügelt von dem Gedanken, die Ehre des Ersten Reiters für Haselhains Nebachoten zu gewinnen und dies gewiss nicht nur, weil er in diesem Falle ein eigenes Gut erhalten würde.
Lyn wurde bei dem Gedanken daran nachdenklich. Die Götter hatten es recht gut mit ihm und den anderen Haselhainer Nebachoten gemeint, die Auslosungen der Kontrahenten waren recht häufig zum Vorteil des haselhainer Favoriten und seiner Mannen gewesen. Sie war darüber recht froh, merkte aber auch dass Selo, der während der Blutspiele meist an ihrer Seite war, weniger enthusiastisch schien, ja beinahe als hätte er es geahnt. Aber dies war bei der ganzen Anspannung auch kein Wunder, war es doch für ihn auch das erste Fest dieser Art. Ja, zurückblickend erschien es Lyn fast so, als wäre es vorherbestimmt gewesen, dass Hakim diese Ehre zu Teil werden sollte. Hakim hatte den Sieg im Bogenschießen und Säbelkampf für sich erringen können, Martok war dagegen mit der Reiterlanze und beim Reiten siegreich gewesen, hatte aber die eindeutig schwereren und kräftezehrenden Kämpfe bestritten. Und auch in den anderen Disziplinen hatten sie sich jeweils gut gegen die Konkurrenz durchsetzen können und waren zumindest unter den besten zehn gewesen. So war es kein Wunder, dass der letzte Kampf der alles entscheidende war, denn beide hatten gleich viele Punkte gesammelt , die in Form von kleinen Fähnchen auf gut sichtbaren Balken aufgesteckt waren und standen beide hoch im Kurs bei den Zuschauenden.
Die Erinnerungen an diesen Kampf hatten sich in ihren Gedanken festgesetzt, fast konnte sie noch immer das Dröhnen der Trommeln hören, hatte den Geruch nach Blut, Schweiß und Rauch noch immer in der Nase. Die beiden Kontrahenten hatten sich nichts geschenkt. Unerbittlich waren sie im Säbelkampf, auch hier hatte das Los zu Gunsten Hakims entschieden, auf einander los gegangen. Martok war wie auch bei der Zwölfgöttertjoste, bei der er allerdings disqualifiziert worden war, mit größter Härte vorgegangen. Mit einer Reihe harter und fester Schläge hatte er den Haselhainer in die Defensive gedrängt. Doch dieser hatte sich dort gar nicht so schlecht gefühlt und den brachialen Martok kommen lassen, auch wenn das bedeutete einige der Schläge einstecken zu müssen. Doch dieses Risiko zeigte schnell Wirkung, da Martok die Verletzungen und Anstrengungen der vorangegangenen Tage schnell spürte und immer langsamer wurde und an Kraft verlor. Hakim kam dann aus der Reserve und hatte dem Namen seiner Einheit alle Ehre gemacht. Wie ein Rudel Wölfe umkreiste er den schnauffenden Martok und schlug ihm immer wieder kleine Wunden bis dieser zu einem verzweifelten letzten Schlag ausholte. Mit der Wucht eines Ochsen stürmte er auf Hakim los während das Blut vor Rage aus den unzähligen kleinen Schnitten aus seinem Körper sprudelte, täuschte einen hohen Schlag an um ihn dann doch tief zu setzen. Er prallte hart auf Hakim, den er damit fast umhaute. Doch dieser konnte sich noch auf dem Hacken drehen und dabei halten, auch wenn sein Waffenarm durch den kräftigen Treffer nun kraftlos herabhing. Als Martok dann noch einmal ansetzte täuschte Hakim unbeholfen mit dem kaputten Arm an um dann hart mit der Schildkante dirket in Martoks Gesicht zu schlagen. Dass Blut spritzte und floß in die Augen des Brendiltalers so dass dieser, nun blind, nur noch wild um sich schlug. Dennoch dauerte es noch eine Weile bis der mittlerweile selbst völlig entkräftete Hakim den Wildgewordenen zu Boden bringen konnte. Jubel brandete auf als alle realisierten, dass der Erste Reiter nun gefunden war und Lyn und Selo schauten sich an, glücklich darüber, dass ihr Plan aufgegangen war, ehe sie zurück zum Schauplatz des Kampfes blickten. Dort sahen sie den blutenden Martok noch am, durch die letzten Tage rot verfärbten, Boden liegen, Hakim daneben hockend, selbst völlig entkräftet und scheinbar völlig entrückt von der jubelnden, bunten Menge um den Sandplatz herum.
Von diesem Bild wanderten ihre Gedanken weiter, ließen den Rest des Tages Revue passieren und blieben an den abendlichen Feierlichkeiten hängen. Natürlich hatte der Al'Shuar persönlich Hakim in einer feierlichen Zeremonie zum Ersten Reiter vor Kor und dem Völker der Nebachoten und Baburen ernannte und ihm ein neues Feldzeichen überreichte. Eine schwarze Standarte in dessen Stiel die neb. Worte "Einer ist wie Legion. Kor will es!" eingearbeitet waren. Kleine, verzierte Gefäße gefüllt mit dem roten Sand des Kampfplatzes baumelten an silberdurchwirkten Bändern von der Spitze herab herab, an dessen Ende sich ein auklappbarerer, großer, schwarzer Fächer befand, darauf das Symbol des alten Nebachots. Das wimpelartige, schwarze Banner darunter war groß und ausladend und lief in unzähligen kleinen nietenbesetzte Streifen aus und knatterte donnernd unheilvoll im Wind. Darauf prangte ein großer silberner Fächer mit historischen Darstellungen eingestickt und den geschwungenen Buchstaben "N, B, C, H, T". Lyn wusste, dass Selo und Eslam als Vorlage dafür eine sehr vage Beschreibung aus der Sage um den "Ersten Reiter" herangezogen hatten.
Doch waren es die Worte Siyandors zum Ende des Festes, die Lyn am besten im Gedächtnis geblieben waren. Als Gastgeber hatte der Knabe sich mit fester Stimme bei den Gästen und Teilnehmern der Blutspiele für ihr Erscheinen bedankt und mit seiner Wortwahl deutlich älter gewirkt als der zerbrechlich wirkende Körper vermuten ließ. Und dann hatte er fast beiläufig, so als hätte er Lyns Ermahnungen dass er kein Bittsteller auf der Suche nach Verbündeten sei verstanden, erwähnt, dass sowohl er, als auch sein Onkel auf der Suche nach einer Braut wären. Ein Blick auf Selos Gesicht verriet ihr in dem Moment, dass dies in keinster Weise mit ihm abgestimmt war und Lyn konnte sich selbst jetzt, anderthalb Tage später, ein Grinsen nicht verkneifen - ein kleiner Seitenhieb Siyandors, der wohl wollte dass sein Onkel das gleiche Schicksal einer politischen Hochzeit teilte.
Der Gedanke an Selos entgleisten Gesichtsausdruck erinnerte sie daran, dass sie mit ihm zur Mittagsstunde verabredet war und so erhob sie sich mit dem Wissen, dass der Papierkram auch noch später auf sie warten würde. Doch sie und Selo mussten noch ihre Reise nach Perlenblick besprechen, die in einem halben Monat anstand.