Geschichten:Die Brachenwächter - Leubrecht von Vairningen

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Sie war sehr stolz auf sich, denn heute war der erste Praioslauf an dem sie den Laden öffnete und auch für mehrere Stundengläser allein führen würde. Dabei hatte sie erst im Ingerimm-Mond ihr Gesellenstück abgeliefert. Ein schönes Kleid, das perfekte Kleid für eine feine Dame auf einem schönen Fest. Feiner fließender Stoff in Mitternachtsblau, besetzt mit kostbaren Schmucksteinen und bestickt mit Silberfäden die die Sternenbilder nachzeichneten. Viele Stunden hatte sie an diesem Kleid gesessen, Schweiß und Blut investiert und es letztlich voller Stolz präsentiert. Ihre Mühen hatten sich gelohnt, nicht nur dass sie dafür gelobt wurde, nein bereits am nächsten Morgen hatte es der Meister verkauft gehabt. Entschlossen das dies ein guter Tag werden würde, hatte sie die Tür aufgesperrt und sich daran gemacht einige kleinere Anpassungen an einem Rock vorzunehmen - innerlich hoffe sie jedoch das bald ein Kunde in den Laden käme den sie bedienen konnte. Denn Nähen das konnte sie, aber erstmals einen Kunden ganz allein bedienen...

Ganz in ihre Arbeit vertieft hatte sie die Türklingel überhört, als plötzlich ein Mann vor ihr stand. Ihr erster Kunde und wahrlich sie hätte es schlechter treffen können. Groß gewachsen, von schlanker Gestalt und in hochwertige höfische Mode gekleidet. Ein getrimmter Kinnbart zierte das markante, kantige Kinn. Ein Lächeln umspielte seine vollen Lippen. Buschige, dunkle Augenbrauen lagen über graublauen Augen und eine einzelne Strähne, des zum Pferdeschwanz gebändigten hellblonden Haares, tanzte verwegen davor herum. Zugegeben trug er seine Nase etwas hoch, doch die Art und Weise wie er dies tat war weder unfreundlich noch wirkte sie aufgesetzt – nein es gehörte zu seinem Wesen und zeugte davon das er von klein auf, auf dieses Leben vorbereitet worden war. Wie er so auf den Tresen zulief, studierte sie fasziniert seine geschmeidigen Bewegungen, die Bewegungen eines erfahrenen Kämpfers, Bewegungen die einen guten Tänzer verhießen? „Die Zwölfe zum Gruße, holde Maid.“ Hatte er sie begrüßt und zugleich aus ihrer Träumerei gerissen. Erst jetzt war sie sich bewusst geworden, dass sie einen Kunden nicht nur Grüßen sollte, nein sie sollte ihn auch Fragen wie sie behilflich sein konnte. Zügig holte sie ihr Versäumnis nach und wurde zugleich rot als ihr bewusst wurde das sie soeben als holde Maid angesprochen worden war.

Große kräftige Hände legten sich zusammengefaltet auf den Tresen. Noch während sie den Wünschen des Unbekannten lauschte, spielten ihre Gedanken verrückt. Sie eine holde Maid? Wie sie wohl in ihrem Kleid ausgesehen hätte? Welches Fest hätte sie wohl besucht? Welcher Galan hätte sie wohl zum Tanz gebeten? Das und vieles, vieles mehr sollte ihre Gedanken erfüllen, während sie mehrere Stoffe heranholte und auf dem Tresen ausbreitete. Muster aus denen der Herr wählen sollte, Stoffproben die später in Form von Hemden auf der nackten Haut dieses Fremden liegen würden. Erneut trat ihr die Schamesröte ins Gesicht, was war heute nur in sie gefahren. Nachdem er sich drei wirklich schöne Stoffe ausgesucht hatte, hatte er auch noch einen robusten, groben Stoff hinzugefügt aus dem schlichte Hemden genäht werden sollten.

Als sie anfangen wollten Maß zu nehmen, zeigte sich das der Fremde bar jeder Scheu. Ohne lang zu zögern machte er den Oberkörper frei. Feine Narben zeigten sich an seinem Unterarm, Sehnen und gestählte Muskeln zeichneten sich gut sichtbar an seinem drahtigen Körper ab. Von angenehmen Geruch und Aussicht abgelenkt mühte sie sich akkurat maß zu nehmen, Taille, Burstumfang, Hals und alles andere was sie brauchte um das Hemd möglichst gut sitzen zu lassen. Als sie hinter ihn trag erblickte sie erschrocken eine Narbe auf dem Rücken des Fremden, doch noch mehr erschrak sie als sie bemerkte dass sie eben jene Narbe sanft mit dem Fingern nachzeichnete. Knall rot anlaufend machte sich sogleich daran einige Zahlen zu notieren – er jedoch lächelte sie weiterhin freundlich an, ganz so als wäre nichts gewesen.

‚Holde Maid‘ ging es ihr erneut durch den Kopf, sie eine holde Maid? Wie schön es wohl wäre ein Leben als edle Dame zu führen? Ein Leben auf einem kleinen, schmucken Hof etwas außerhalb von Gareth. Am Brunnen im Hof sitzend würde sie Stickarbeiten erledigen, während ihre Kinder herumtollten und Mägde und Knecht ihrem Tagewerk nachgingen. ‚Du schweifst ab, konzentrier dich!‘ schallte sie sich selbst und versuchte sich wieder auf ihre Arbeit zu besinnen. Und noch immer ließ sich ihr erster Kunde nicht beirren, bedachte sie mit einem freundlichen Lächeln und bestärkte scheinbar sie immer wieder in ihren Träumereien. Was würde sie nur dafür geben…. Nachdem sie alles vermessen hatte, was sie brauchte reichte sie ihm ein schlichtes Hemd, wartete bis er es angezogen hatte und begann dann damit es abzustecken. Immer wieder hatte sie die gestählten Muskeln durch den Stoff gespürt als sie das Hemd in Form brachte und ihre Markierungen setzte und immer heißer war ihr dabei geworden. Letztlich war eines sicher, diese holde Maid würde diesem Fremden den Zugang zu ihrer Kemenate nicht verwehren…

Nur Augenblicke zuvor hatte der Fremde den Laden wieder verlassen als sich die Tür erneut öffnete und Meister Zordan das Geschäft betrat. War es bereits so spät geworden? Hatte sie tatsächlich mehrere Stundengläser mit dem Fremden in stiller Zweisamkeit verbracht? ‚Dummes, dummes Mädchen!‘ schallte sie sich erneut und fantasierte dennoch weiter von einem Leben als holde Maid.“Phex zum Gruße mein Kind.“ Grüßte er sie wie üblich auf die ihm ganz eigene warmherzige Art, sodass sie sich seit jeher in seiner Gegenwart behaglich fühlte. Dabei ließ er ihr nicht einmal Zeit auf seine Begrüßung zu reagieren, sondern kam direkt zum Geschäftlichen. „Ich hoffe du hast den Hohen Herrn Leubrecht gut bedient?“ Setzte er direkt nach seine Begrüßung nach, ganz so als müsste sie genau wissen um wen es sich bei dem Fremden gehandelt hatte. Dabei war sie sich doch sicher, dass sie einen Mann wie ihn nicht einfach vergessen würde! Im brunstton der Überzeugung beteuerte sie Meister Zordan keine Schande gemacht zu haben und spürte derweil wie ihre Ohren heiß wurden.

Während der alte Schneidermeister nach hinten ging hörte sie ihn nur noch zufrieden brummen, hatte er doch nichts anderes von ihr erwartet – wo der werte Herr doch ihr Lebensretter war. Es brauchte einige Augenblicke bis die Worte und ihre Bedeutung gänzlich zu ihr durchgedrungen waren, als dem jedoch so war hob sie verwirrt den Kopf. Dieser Mann hatte ihr das Leben gerettet? Wann? Wo? Bei welcher Gelegenheit? Und wie, in der holden Rahjas Namen, hatte sie diesen Mann vergessen können? Den restlichen Tag grübelte sie darüber nach, in welcher Situation der Fremde ihr das Leben gerettet haben konnte – Grübeleien die sie dadurch büßte das sie sich mit ihrer Nadel derart oft in den Finger stach, wie zuletzt in den Anfangszeiten ihrer Lehre. Wahrlich in ihrem Leben hatte es nur sehr wenige Gelegenheiten gegeben in denen ihr Leben in Gefahr gewesen war. Als kleines Mädchen hatte sie die Schlacht in den Wolken als Bewohnerin Gareths miterlebt, aber das war sicherlich zu lange her. Auch gab es in den Straßen und Gassen der Metropole häufiger brenzlige Situationen, da sie sich eigentlich aber nur in der Altstadt aufhielt bekam sie davon aber nichts mehr. Dann war da noch der Praios 1041 BF. Der Feind aus den Schattenlanden hatte vor den Toren der Stadt gestanden und nur unter großen Opfern hatten sie obsiegt. Stück für Stück ließ sie diesen grausamen Praioslauf Revue passieren, womöglich hatte der Unbekannte ihr in all dem Trubel das Leben gerettet? Schrecken über Schrecken hatte sie überstanden. Der Tod hatte die Straßen Gareths gepflastert und das Grauen war durch die Straßen gezogen. Denn Fremden, sollte sie in diesen Erinnerungen allerdings nicht finden.

Als es ihr endlich wie Schuppen von den Augen fiel, lag sie bereits in ihrem Bett und war im Begriff weg zu dösen. Wenige Wochen nach der Schlacht am Zwingstein war sie in aller Früh gemeinsam mit Meister Zordan aufgebrochen um einer betuchten Kundin auf ihrem Wohnsitz vor den Toren der Stadt neue Kleider zu verkaufen. Eine treue Stammkundin, der diese Leistung aufgrund der langen Geschäftsbeziehung und auch ihres fortgeschrittenen Alters zugestanden wurde. Am Ende hatte Meister Zordan ihr gleich mehrere Kleider verkauft. Ihre Aufgabe, als frische Gesellin, war es gewesen noch kleine Änderungen vorzunehmen, während Meister Zordan der Enkelin einige Kleider präsentierte, gewünschte Stücke absteckte und nach getaner Arbeit liefern lassen würde. Auf dem Heimweg, zurück nach Gareth, hatten ihnen dann einige Finsterlinge aufgelauert. Meister Zordan hatte man niedergeschlagen und während sich einer dieser Dreckskerle grade an ihr vergehen wollte, machten sich die letzten Beiden soeben daran die Ladung zu durchsuchen. Dann war er erschienen, hatte den Lump von ihr heruntergerissen und sich schützend vor sie gestellt. Ihre Angreifer hatten etwas Bedurft, um die neue Situation zu begreifen und diese Zeit hatte er genutzt um sein Schwert zu ziehen.

Gekonnt hatte er die ersten Angriffe pariert und gar einen der Angreifer kurzfristig zu Boden gehen lassen. Ganz unerfahren waren die Finsterlinge jedoch auch wieder nicht und so wollten sie soeben ihre deutliche Überzahl ausnutzen, als ihr Retter Hilfe bekam. Ein weiterer Recke – ihm recht ähnlich, doch mit nussbraunem Haar und Augen in der Farbe von leuchtenden Saphir – eilte ihm zur Seite. Trat einem, noch vom Pferderücken aus, mitten ins Gesicht und schlug nach einem anderen. Gemeinsam machten sie den Schurken den Gar aus, verschnürten sie und kümmerten sich anschließend um sie und Meister Zordan. Beides große, stattliche Rittersleut mit kantigen Gesichtern und Blut verschmiert. Gewandet in dunkle, hohe Stiefel. Hosen aus dem gleichen, festen Leder. Mit stählernen Arm- und Beinschienen und einen mit glänzenden Nieten besetzten Eisenmantel unter einem schmucken dunklen Wappenrock. Auch wenn sie sich an das Wappenbild nicht mehr entsinnen konnte, so wusste sie doch noch immer, dass es Schwarz und Weiß gewesen war. Ritter Leubrecht Olkward von Vairningen und Ritter Savertin Korhardt von Vairningen, so hatten sie sich vorgestellt.


 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Koenigreich Garetien.svg   Wappen Kaisermark Gareth.svg  
 Reichsstadt.svg
 
Texte der Hauptreihe:
K34. Nestbau
Autor: Vairningen