Geschichten:Die Familie - Vereint
Wehrturm Hardenfels, Baronie Zackenberg, 1. Ingerimm 1046 BF
Der letzte Hardenstatt, Bran, war schließlich auch kurz vor knapp eingetroffen. Gero hatte geglaubt, dass der Schwertgeselle es sicher nicht rechtzeitig schaffen würde, auf dem Hardenfels anzukommen, musste er doch immerhin aus Eslamsgrund anreisen. Doch der Mann mit dem gepflegten Kaiser-Alrik-Bart und der braun gebrannten Haut hatte es in den frühen Morgenstunden geschafft sein Pferd zu den Stallungen zu reiten. Der Waffenknecht hatte sich sodann um das Pferd gekümmert und den Hohen Herrn zu den anderen Familienmitgliedern in den Turm geschickt.
Diese hatten sich auf ihre alten Gemächer verteilt und liefen nun im Turm und der Umgebung herum. Die Einen hatten sich mehr, die Anderen weniger zu erzählen. Aber das dominierende Thema war selbstredend der mögliche Grund, weswegen Wolfhelm von Hardenstatt sie alle hier her gerufen hatte. Natürlich wurde auch Gero gefragt, ob er mehr wusste, doch der konnte nur unwissend mit den Schultern zucken. Sein Herr hatte sich seit jenem Winter verändert, das hatte der Waffenknecht, wie auch die Köchin und die Magd, gemerkt. Nicht nur in seinem Auftreten, sondern auch in dem wie er sich mitteilte.
Der alte Ritter war verschlossener geworden, schweigsamer. Charaktereigenschaften, die sich seit dessen Reise am Anfang des Götterlaufs noch einmal verstärkt hatten. Wahrscheinlich lag das mit dem neu gefunden Boronglauben zusammen. Wo früher die Zeichen der Sturmleuin standen, sah man heute daneben Boronsräder und Rabenskulpturen. Auch die Vorhänge waren meist geschlossen. Das alles verlieh dem Wehrturm eine düstere Atmosphäre, die Gero schwer einordnen konnte. Umso erleichterte vernahm er nun das Kindergeschrei und das lebhafte Unterhalten der Gäste, von denen einige vor gar nicht so vielen Götterläufen diese alten Mauern ihr Heim nannten.
"Ilmar! Wie schön dich zu sehen, komm her!", rief Bran aus, als er seinen älteren Bruder gerade durch den Innenhof laufen sah. Freudig umarmte er den Ritter, der die Umarmung etwas hölzern erwiderte. Solche überschwänglichen körperlichen Zuneigungen waren dem Ritter schon immer schwer gefallen. "Gut siehst du aus! Die Luft in Kupferklamm scheint dir zu bekommen oder liegt das eher am Eheleben?", witzelte der Schwertgeselle, als sie sich aus ihrer Umarmung lösten.
"Danke, du siehst aus wie ein Landarbeiter", gab Ilmar wenig galant zurück, schob dann ein Lächeln nach, als er erkannte was er da gerade gesagt hatte und musterte seinen braungebrannten Bruder. "Ach, ich denke ein bisschen von Beidem. Das Leben in Kupferklamm ist nicht viel anders als das Leben hier, nur mit dem Vorteil, dass ich nahe bei meiner Gattin und der Kleinen sein kann". Ilmar nickte bestimmt und Bran erkannte tatsächlich Aufrichtigkeit in dessen Stimme.
"Und bei deinem Emmeran", fügte Bran ergänzend hinzu.
Sein Bruder blickte ihn kurz verwundert an und nickte dann beiläufig, "ja natürlich, der auch".
"Sag, weißt du weshalb unser Onkel uns alle sehen möchte?", wechselte Bran gekonnt das Thema. Irgendetwas schien seinem Bruder an dessen jüngsten Kind nicht zu behagen. Vielleicht würde etwas Alkohol, zur späteren Stunde, seine Zunge lockern. Oder der Schwertgeselle wandte sich direkt an Veriya, die müsste wissen, ob da wirklich etwas war oder Bran sich das nur eingebildet hatte.
Ilmar schüttelte missmutig den Kopf, "leider nicht. Ich tappe genauso im Dunkeln wie alle anderen. Wolfhelm hat sich allerdings erheblich verändert, wirkt zwar irgendwie fitter aber auch kälter...". Er stockte kurz und kratzte sich am Kopf, "schwer zu erklären aber du wirst sehen was ich meine, wenn du deine Sachen in deine alte Kammer gebracht hast".
Wolfhelm von Hardenstatt blickte aus dem schmalen Fenster in den Innenhof seines Wehrturms. Sie waren nun alle da, auch Bran, zufrieden nickte der alte Ritter und lies seinen Blick schweifen. Im Innenhof hatten sich Veriya von Aarenhaupt, Ariana von Alxertis sowie seine Frau und die seines verstorbenen Bruders eingefunden und belagerten nun gemeinsam mit der ganzen Kinder Schar den soeben angekommenen Schwertgesellen um diesem wahrscheinlich Löcher in den Bauch zu fragen. Über seine Reise, über das Leben in der Ferne. Augenscheinlich hatte dieser auch weniger Probleme darüber zu sprechen, als dessen verstorbener Vater.
Der alte Mann wandte sich vom Fenster ab und seinem Schreibtisch, oder genauer gesagt dem Schwert hinter dem Schreibtisch, zu. Fides, das Familienschwert, ein aus Maraskanstahl geschmiedetes und dreifach geflämmtes Bastardschwert, dessen Name auf der Klinge eingeätzt worden war. Das wenige Licht, was durch die schmalen Fenster hineinschien ließ die Klinge funkeln. Sie hatte etwas vertrautes, wärmendes an sich. Doch Wolfhelm spürte (oder bildete er es sich ein?), dass die Wärme langsam aber beständig aus dem Stahl wich.
Sein Blick blieb an den kunstvoll geschwungenen Buchstaben hängen. Treue, Schutz oder Zuverlässigkeit war die bosparanische Bedeutung des Namens, der da auf der Klinge prangte. Er musste unwillkürlich nicken, waren das doch auch die Eigenschaften, durch die sich ein Familienoberhaupt auszeichnen musste und ebenso die, durch die sich die Familie Hardenstatt zu ihrem Herrn auszeichnete. Doch Wolfhelms Herr war kein Irdischer mehr und so musste er für einen anderen, besser geeigneteren, Platz machen. Jemand, der wieder Wärme in das Metall bringen konnte, der mit dem Land und den Leuten verbunden war, ein Teil von ihnen war! Wolfhelm war dies seit geraumer Zeit nicht mehr, er war ein Außenstehender, ein Zaungast.
Er griff das lange Schwert mit einer Hand und steckte es in die dunkle Lederscheide. Es war soweit, sie würden sich alle in Kürze im Rittersaal treffen.
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