Geschichten:Die Faust des Grafen - Zwei Männer und eine Gruft
Gut Katterquell, 23. Phex 1031 BF
Hadrumir von Schwingenfels stand allein in der Familiengruft der Familie Katterquell. Er war übernächtigt. Still stand er vor dem Grab von Linai von Katterquell. Wie viele Stunden hatten sie gemeinsam verbracht? Wie viele Kämpfe hatten sie gemeinsam bestritten? Wie sinnlos war ihr Tod gewesen? Hadrumir fühlte eine tiefe Leere in sich. Eine Leere, die ihn seit dieser tragischen Nacht auf Reinherz begleitete. Er hatte den Grafen Siegeshart von Ehrenstein um den Leichnam gebeten und sich direkt auf den Weg nach Katterquell gemacht. Doch zu seiner Trauer mischte sich auch Wut. Er musste unwillkürlich an seinen Traum auf dem Weg nach Reinherz denken. War er selbst auf dem richtigen Weg? Musste er nicht einen anderen Weg gehen?
Schwere Schritte waren auf den Stufen zur Gruft zu hören und Hadrumir wandte sich dem Neuankömmling zu. Es war Borstefred von Katterquell – Vater der Toten und Hadrumirs ehemaliger Ritterherr. Der alte Kämpe stellte sich neben Hadrumir. „Was sind das für Zeiten?“ sprach er Hadrumirs Gedanken aus. Hadrumir nickte. „Es sind auf keinem Fall gute!“ Borstefred schaute Hadrumir traurig an. „Ich habe meine einzigen beiden Kinder in dieser Fehde verloren!“ Wieder nickte Hadrumir. „Und wo ist der Dank dafür?“ Hadrumir legte seinem Lehrmeister die Hand auf die Schulter und antwortete monoton. „Treue wird mit Treue vergolten!“ Borstefred war den Tränen nahe. „Meine Familie stirbt in der Hauptlinie und der einzige, der hier neben mir steht, bist du – mein einziger, mein treuester Freund!“ „Ich werde es nicht dazu kommen lassen! Mein Wort darauf!“
Borstefred schaute auf. „Und wie willst du dies bewerkstelligen?“ Hadrumir sprach ruhig: „Die Familie Schwingenfels wird dich und deine Sorgen nicht stehen lassen.“ Zwischen den beiden Männern herrschte für einen Moment Schweigen. „Und was ist mit dem Grafen?“ fragte Borstefred. Hadrumir antwortete nur müde: „Welcher von beiden?“ Borstefred schnaubte verächtlich, ehe Hadrumir ungerührt fortfuhr: „Ich werde nicht nach Feidewald reisen und vor Geismar kriechen wie ein Hund. Und in Oberhartsteen bin ich nicht willkommen.“ Borstefreds Augen weiteten sich. „Das ist Verrat!“ Müde nickte Hadrumir. „Verrat liegt immer im Auge des Betrachters! Ich werde nur nicht länger dem Ausbluten des Landes zusehen. Hartsteen – unserer aller Heimat – werde ich niemals verraten!“ Borstefred seufzte schwer. „Man wird dich jagen! Man wird dir Tür und Tor vor der Nase zu werfen! Hast du an deine Frau und deinen Sohn gedacht?“ „Mehr als einmal!“ antwortete Hadrumir sehr entschlossen. Borstefred schaute zu den Gräbern seiner Kinder, schaute dann in die entschlossenen Augen seines Gegenübers und antwortete schließlich ebenso entschlossen: „Dann werde ich an deiner Seite sein!“ Die beiden Männer reichten sich stillschweigend die Hand und verließen Seite an Seite die Gruft.