Geschichten:Die Höhle des Löwen - Falk vom Darpat
Dramatis Personae:
- Anjun von Ingrams Fels, Geweihter Rondras, Ordensritter
- Falk vom Darpat, Rondraakoluth
Teil 12 – I Falk vom Darpat
Der alte Kämpe ärgerte sich über sich selbst. Er hatte mehrere Monde in der Wildermark verbracht und war jetzt auf den Weg nach Eslamsgrund. Eigentlich hatte er vorgehabt, heute Abend im Osten Leihenbutts eine Stube in einer Herberge zu beziehen, doch hatte er sich verschätzt. Die Herberge, die er kannte, war vor einiger Zeit anscheinend niedergebrannt worden, so dass er weiterziehen musste und jetzt von der Nacht überrascht worden war. Irgendetwas flatterte in der Dunkelheit über sein Gesicht. Müde fuhr der große Mann mit der behandschuhten Rechten durch sein Gesicht, den an den Enden herabhängenden Schnurrbart, der vom Wind schon etwas zerzaust war, und den mit ein paar grauen Haaren durchzogenen Kinnbart. Er fühlte sich vom stundenlangen Reiten erschöpft und sehnte sich nach etwas Bewegung. Mürrisch blickten seine blau-grauen Augen in die Dämmerung und versuchten, etwas auszumachen, während sich sein Pferd nur noch im Schritttempo fortbewegte. Das leise Klirren der Kettenglieder unter seinem dunkelroten Rock mit dem wehrenden goldenen Löwen auf der linken Seite hörte er kaum noch nach all den Jahren im Felde, ebenso wenig wie das Quietschen des Leders der Schwertscheide an seinem Gürtel oder das Knarren der Riemen, mit denen er seine zweite Waffe, ein langes, leicht gebogenes dünnes Schwert mit gebogenen Parierbügeln, am Sattel festgemacht hatte. Fast wünschte er sich, dass er bei Anbruch dieser Reise auf das nicht unerhebliche Gewicht des alten Spiegelpanzers verzichtet hätte, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, auch in vermeintlich sicheren Gegenden nicht unvorsichtig zu werden. Ein leichter Wind kam auf, umwirbelte ihn kurz und trieb eine lange, dunkelblonde Strähne in sein Sichtfeld. Mit einer knappen Kopfbewegung verschaffte er sich wieder freie Sicht. Doch was war das? Plötzlich war Kampfeslärm zu hören! Schnell versuchte er auszumachen, woher die Laute zu ihm drangen und lenkte sein Ross dann in diese Richtung. Als er über eine kleine Kuppe kam, konnte er keine zehn Schritt von sich entfernt beobachten, wie ein Ritter im weißen vom Blute rot verfärbten Wappenrock sich mehrerer Gegner erwehrte. Zwei der Angreifer lagen zusätzlich bereits tot oder sterbend am Boden. Er konnte erkennen, wie der weiße Ritter bereits schwankte. Dessen Schild lag zertrümmert am Boden, während sein Schildarm schlaff und kraftlos herab hing. Der Reiter zögerte keinen Herzschlag – "Bei Thalionmels Blut, vier gegen einen Verwundeten!" schoss es ihm durch den Kopf, und sein unlängst befriedigt geglaubter Zorn wallte wieder in ihm auf. Auf den ersten Metern aus den Bäumen heraus zog er sich mit geübter Hand rasch die Kettenhaube über den Kopf, um so nicht zuletzt auch das Haar zu bändigen, dann zog er das lange Schwert aus der am Sattel befestigten Scheide und trieb sein Ross an. Mit einem wütend donnerndem Schrei hielt er auf die kleine Gruppe zu und versuchte so, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und dem Verwundeten somit Luft zum Atmen zu verschaffen. Auf den letzten Metern vor den Gegnern warf er das rechte Bein über den Hals des Pferdes, rutschte an seiner linken Seite herab und drängte es so hinter den verletzten Ritter. Drei federnde Schritte später stand er auf Klingenlänge zwischen den beiden Streitparteien – die zwei Verbliebenen schräg links, den weißberockten Verletzten schräg rechts vor sich. Das Schwert hielt er mit beiden Händen fest an dem langen Griff, die Klinge leicht geneigt, während seine geübten Augen nach Erkennungszeichen auf den Röcken beider Seiten suchten. "Diese Szene spottet Rondras Geboten", knurrte er aus der Tiefe seines Zornes, während sich auf seiner Stirn eine Zornesfalte abbildete und seine Augen halb geschlossen schienen. "Erklärt euch - oder stellt euch!" Derweilen stöhnte der Ritter im weißen Wappenrock nur und fiel kraftlos zu Boden. Noch im Fallen konnte Falk das Wappen auf dessen Brust erkennen. Steigender Löwe und steigendes Einhorn vor blau/weißem Grund. Das Wappen des Zornesordens, jenes Ordens, deren Burg im Eslamsgrundschen er aufsuchen wollte. Die beiden Söldner schauten sich beim Erscheinen des neuen Ritters verdutzt an. Als Anjun jedoch zusammenbrach und sie den – eigentlich so leicht geglaubten – Sieg endlich greifbar vor sich hatten, griffen sie ohne Vorwarnung den neuen Feind an…. Die Hiebe von Axt und Anderthalbhänder kamen kraftvoll und schnell geführt, und mit wenigen Schritten hatten die beiden den Ritter im roten Waffenrock zwischen sich und schlugen von beiden Seiten auf ihn ein. Doch dieser schien seine Augen auf beiden Seiten zu haben und konnte scheinbar gleichzeitig einen Hieb mit seiner schmalen Klinge parieren und dem anderen ausweichen. Und nur wenige Hiebe später zirkelte der ausgeruhte Ritter mit wenigen Schritten aus der Falle heraus und begann, den Mann mit dem Schwert zu anderthalb Händen mit einer aggressiven Abfolge schneller Schläge einzudecken, dabei weiterhin um ihn herum zu gehen und ihn so zwischen sich und den Axtkämpfer zu halten. Aber auch die Söldner waren in ihrem Handwerk keine Frischlinge mehr und konnten die Lage alsbald wieder zu ihren Gunsten umkehren. Mit kurzen Zurufen brachten sie sich so in Stellung, dass der Ritter wieder beiden zugleich gegenüber stand, auch wenn er sich nicht wieder einkesseln ließ. Doch erneut musste er seine Aufmerksamkeit aufteilen, und diesmal drangen hier und da die ersten Hiebe durch seine Verteidigung und alsbald durch seinen Panzer. Doch die Hiebe bedeuteten ihm -noch- nichts. Er achtete lediglich darauf, dem Axtkämpfer keine zu große Angriffsfläche zu bieten und sich nicht in eine ungünstige Richtung drängen zu lassen. Noch beobachtete er hauptsächlich. Dann begann der Schwertkämpfer ohne Vorwarnung seinesfalls eine heftige Reihe von Hieben, unter denen der Ritter sich zurück ziehen musste. Aus den Augenwinkeln sah, wie der Axtkämpfer kurz hinter seinen Kumpan zurückfiel und etwas in sich zusammensackte, als wäre er erschöpft, doch dann sprang der angreifende Söldner wieder vor, füllte sein Gesichtsfeld vollends aus und suchte, ihn nach Kräften zu beschäftigen. Wäre das Licht besser gewesen, hätte der alte Kämpfer versucht, die Augen seines Gegners zu lesen und einen Hinweis auf die eingeschlagene Taktik zu erhalten. So blieb ihm nur erhöhte Vorsicht, denn ein schneller Blick um den Söldner herum enthüllte ihm, dass der Axtkämpfer nicht mehr hinter seinem Kumpan stand und wahrscheinlich von irgendeiner Seite aus dem Schatten heraus angreifen würde. Er wappnete sich gegen jedwede Form von ehrloser Trickserei und ging schließlich in die Offensive, indem er zuerst eine Parade andeutete und dann die Klinge seines Gegenübers an der seinen nach links abgleiten ließ, wobei er mit einem flinken Schritt die Distanz zu ihm überbrückte, sich mit der Klinge eindrehte und ihn schließlich mit der rechten Schulter in den Brustkorb rammte. In diesem Moment flog raschelnd etwas hinter ihm vorbei – der andere hatte einen blätterbesetzten Ast abgerissen und ihn nun seinem Gegner seitwärts ins Gesicht werfen wollen, um ihn zu blenden oder zumindest soweit abzulenken, dass man ihm ein paar deftige Hiebe verpassen könnte. Seine plötzliche Offensive hatte ihn vor dieser Schurkerei bewahrt, doch nun hatte er den Mann mit Axt und Schild wieder hinter sich. Mit einer schnellen Bewegung hakte er seinen Fuß hinter den des Schwertkämpfers und zog ihm das Bein weg, als er sich sofort auf den hinterhältigen Axtkämpfer stürzte. Der Erfolg seiner Aktion wurde ihm von einem dumpfen Aufprall bestätigt. Er hatte etwas Zeit gewonnen. Im Schein des Mondes konnte der alte Mann das verräterische Glitzern von Schweiß auf dem Gesicht seines Gegners erkennen. Auch seine Körperhaltung ließ darauf schließen, dass er bereits gut erschöpft war und nicht mehr lange würde streiten können. Erneut schlug er eine schnelle Serie von Angriffen, die zumeist von dem Schild abgefangen wurden. Die schnelle Klinge war zu leicht, um dem Schild zu schaden, doch trieb er so den Gegner noch etwas vor sich her und konnte ihn noch mehr ermüden, ehe er ihm einen gezielten Stich durch seine mittlerweile mit großen Lücken versehene Deckung versetzen konnte. Nun – ein hoch angesetzter Schlag mit einem Schritt vor – wie erwartet wurde der Schild hochgerissen. Mit einer schnellen Bewegung hatte er sich eingedreht, die gebogene Klinge wieder zurückgezogen und ebenso schnell aus der Drehung heraus unter dem noch hoch aufragenden, das Sichtfeld seines Trägers gerade zum Teil blockierenden Schild hindurch gestoßen. Er spürte den kurzen Widerstand des Leders auf dessen Wams durch seine Handschuhe, das Kratzen der gesprengten Kettenringe an seiner Klinge, als die Spitze durch das Leder stieß und auch von dem Untergewand und der verschwitzten Haut darunter nicht mehr aufgehalten wurde. Mit einem schmatzenden Geräusch drang die lange Klinge in den Bauch des Söldners. Dieser stöhnte überrascht auf und riss mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen weit auf, so dass sein Gegner das Weiße seiner Augen im Dunkeln erkennen konnte. Dann sackte er so plötzlich zusammen, dass der Schild auf die Klinge fiel. Diese riss durch das zusätzliche Gewicht die Wunde weiter auf, und Blut strömte aus dem Schlitz in seinem Wams. Doch damit wurde auch der Ritter in seinem Gleichgewicht gestört und er musste die Waffe fahren lassen, wollte er nicht von dem Sterbenden mitgezogen werden. Doch in diesem Moment bemerkte er, wie die schweren Schritte des anderen sich ihm näherten. Er ließ sich seitwärts fallen, rollte über die Schulter ab und sprang wieder auf die Beine. Der andere hatte die Bewegungen verfolgt und kam nun mit stoßbereiter Klinge und einem siegessicheren Grinsen im erschöpften Gesicht auf den jetzt unbewaffneten Ritter zu. Noch hing sein Schwert in der Scheide an seiner Seite, und auch zwei Dolche trug er noch am Gurt. Doch eine dieser Waffen zu ziehen hätte ihn wahrscheinlich die Zeit gekostet, die der andere für seinen Stoß gebraucht hätte – also entschied er sich für einen anderen Weg und trat in den Stoß hinein. Mit seiner Linken unterlief er den Stoß und drückte die Klinge nach außen weg, während er die geballte Rechte in das immer noch grinsende Gesicht drosch. Der Kopf des Söldners flog zurück und Blut spritzte aus Mund und Nase – die Lippen waren unter der Wucht des Schlages unter dem Panzerhandschuhe aufgeplatzt und die Nase mit Sicherheit gebrochen. Der alte Kämpe ließ sogleich einen weiteren Hieb folgen – die rechte landete schwer mit der Handkante auf den Unterarm. Der Söldner war von dem Schmerzen in seinem Gesicht schon so abgelenkt, dass er seine Linke nun tatsächlich von der Waffe nahm, aber er war auch erfahren genug, sie nicht gänzlich fahren zu lassen. Doch taumelte er nun rückwärts und gab seinem Gegenüber so Raum, den dieser für einen Anlauf nutzte. Nach wenigen Schritten setzte er zu einem kurzen Sprung an und rammte dem Söldner seinen rechten Stiefel mit brachialer Gewalt in den Brustkorb. Nun stürzte der Mann. Der Ritter nahm zwei Schritt abseits des Mannes Aufstellung und wartete darauf, dass dieser sich wieder erhob oder ihn zumindest wahrnahm. Er verzichtete auch weiterhin darauf, eine Waffe zu ziehen – er war zu der Überzeugung gelangt, dass er nun wohl keine mehr benötigen würde. Schließlich hob der Gefallene stöhnend den Kopf und blickte ihn an, der die Fäuste nun in die Hüften gestemmt hatte. "Ergebe Er sich, oder sein Leben ist verwirkt, Mann!" schnarrte er ihm zu. Der Gefallene spuckte Blut aus. "Mein Leben ist bereits verwirkt!" zischte er angewidert durch anschwellende Lippen zurück, sprang auf und stieß erneut mit der langen, geraden Klinge nach dem Ritter. Doch der Schlag war unsicher gewesen, kraftlos, und verfehlte sein Ziel. Mit einem schnellen Schritt war der Ritter wieder bei ihm, lenkte das Schwert erneut mit der Linken ab und hämmerte mit der Rechten auf den Hals des Mannes, der daraufhin röchelnd rückwärts fiel und sich auf dem Boden zusammenkrümmte. Er beugte sich über den Mann, der seinen zertrümmerten Kehlkopf hielt und krampfhaft zu atmen versuchte. Angst stand in seinen Augen. Die gleiche Angst, die er schon unzählige male zuvor in den Augen seiner Gegner und Opfer geschaut hatte. "Wenn Er vor Rethon steht", flüsterte er dem Sterbenden zu, "sage Boron, dass es Falk vom Darpat war, der Ihn und seinen Kumpanen zu IHM gesandt hat". Dann wandte er sich abrupt ab. Als er sein Tuzakmesser aus dem Leichnam des toten Axtkämpfers gezogen hatte, waren die Augen des letzten Söldners bereits gebrochen. Dann kehrte der Ritter zu dem Platz zurück, wo der Bewusstlose in dem weißen Rock des Zornesordens lag. Schwer ließ sich Falk neben dem weißen Ritter auf die Knie fallen. Der Zornesritter lebte noch, atmete jedoch schwer. Falk konnte nicht genau erkennen, wo und wie schwer die Wunden des Ritters waren, vermutete jedoch, dass viel Blut auf dem Wappenrock dessen eigenes war. Als Falk den Ritter untersuchte, bemerkte er auch dessen Schwertfibel am Kragen. Ein Knappe der Leuin… Vorsichtig versuchte Falk an die Wunden des Bewusstlosen zu gelangen und zog ihm Wappenrock und Kettenpanzer aus. Dort wo es nicht anders ging, sprengte er vollends die Kettenglieder. Falk vom Darpat stöhnte, als er sah aus wie vielen Wunden der Geweihte blutete. Doch aufgegeben hatte er noch nie. Frisches Wasser war vorhanden und halbwegs saubere Tücher schnitt er sich aus seinem Gepäck. Gerade als er dabei war die schlimmsten Wunden zu säubern und zu verbinden, öffnete der Verwundete die Augen und blickte ihn fragend und mit einem halb vernebeltem Blick an. „Bei Rondra, bewegt Euch nicht, ich helfe Euch!“ Falk bemerkte wie der Ritter etwas sagen wollte und beugte sich über dessen Mund um das gebrochene Flüstern besser verstehen zu können. „Gefahr….. Leihenbutt…. Ohne Namen…. Bringt… Nachricht gen Schw…“ Dann verdrehte der Ritter wieder die Augen und sank zurück in die Bewusstlosigkeit. Kurz überlegte Falk was er da eben verstanden hatte. Er musste sich beeilen, wenn er alles richtig zusammenreimen würde, dann wurde seine Gnaden hier von diesen Häschern verfolgt oder zumindest überfallen. Es konnten also jederzeit weitere Söldner hier auftauchen. Ohne sich über eventuelle Folgen Gedanken zu machen, verband Falk die Wunden weiter. Als er halbwegs zufrieden mit seinem Werk war, schlug er ein paar Äste und baute eine provisorische Bahre, die er hinter das Pferd des Ordensritters band. Verwundert fand er auch noch ein zweites Ordenspferd, doch soviel er auch suchte, fand er keinen zweiten Ordensritter. Was war nur geschehen? Doch Zeit zum Nachdenken war noch auf dem Ritt in Sicherheit. So legte er den Bewusstlosen auf die Bahre, band die Ordenspferde zusammen und machte sich auf den Weg – doch wohin? Wenn in diesen Wäldern geweihte Diener der Göttin angegriffen wurden, war das Gasthaus, welches er ursprünglich aufsuchen wollte, vielleicht nicht mehr sicher für ihn und den Geweihten. Also stand ihm eine weitere Nacht unter freiem Himmel bevor, und zudem musste er sich um den Verletzten sorgen. Morgen würde er versuchen, einen abgelegenen Hof zu finden oder eine Stadt, in der er den Ritter versorgen lassen konnte – Schwertwacht, die Feste des Zornesordens und Zwischenziel seiner Reise zurück in den Windhag, dürfte nicht mehr fern sein. Er blickte hinter sich, wo der Verletzte auf der Bahre von seinem Pferd gezogen wurde. Die dunklen Flecken des Blutes hoben sich sogar in der Dunkelheit vom Weiß des Ordensrocks ab. "Eure Brüder sollten wissen, wo Ihr seid und was Euch widerfahren ist", brummte er. Doch für heute war es Zeit, in diesem Wald einen Lagerplatz zu finden.