Geschichten:Die Huren, die du liebtest - Ein Rückblick Teil I
Dramatis personae:
- Raimund von Dunkelwald, Ritter zu Dunkelforst
Herrschaft Dunkelforst (Junkertum Altenbeek), 1. Firun 1036 BF
„[…]und so stets behalte im Geiste, dass wo Neid, Eifersucht und die Missgunst zwischen den Menschen herrschen, die Dämonenbrut nicht fern ist, […]“
Repetitorium wider dem Dämonen, Band I, Kapitel I
„Raimund aus dem Hause Dunkelwald, nimmst du Dythlind aus dem Hause Grattelbeck zu deinem angetrauten Eheweib? Wirst du für sie sorgen in guten, wie auch in schlechten Zeiten, sie schützen in Zeiten der Gefahr, sie lieben in jedem Moment deines Lebens und ihr treu sein, bis dass der Tod euch scheide? So schwöre dies vor unserer Herrin, unserer gütigen Mutter Travia…“, die Worte der Priesterin hallten schrill durch Raimunds Kopf. Er hatte es geschworen, vor der gütigen Mutter, der Priesterin, den Familien und vor seiner Braut. Doch in diesem Moment erinnerte er sich eigentlich nicht an sie, sondern an die Frau, die er geliebt hatte, die Frau, die vor seinem Eheweib ins Grab hinabgelassen worden war. Sein Eheweib hatte nicht gewusst, dass er dort gewesen war am Tag ihrer Beerdigung. Sie hatte es nie gewusst, doch geahnt hatte sie es. Sie hatte von Hure und Schlimmerem gesprochen, geweint vor Wut und Enttäuschung, doch Raimund hatte ihr bis zum Schluss nicht verraten wer sie gewesen war, diese andere Frau.
Mit Niemandem hatte er das teilen können, was er mit ihr geteilt hatte. Wenn sie zusammen gewesen waren, waren sie wie eins, nicht nur im körperlichen Sinne. Ihn und sein Eheweib hatte alles getrennt. Was sie gesprochen hatte, was sie gedacht hatte, wie sie gedacht hatte, manchmal sogar, dass sie überhaupt gedacht hatte, es schien ja doch nichts Vernünftiges bei rum zu kommen.
An jenem Tage wurde auch ein Stück von Raimund mit begraben. Die Gäste hatten den Ort schon lange verlassen, doch Raimund hatte noch immer aus der Ferne zugesehen. Er wusste nicht mehr wie lange er dort ausgeharrt hatte. In Gedanken verloren hatte er dort gesessen. Das Grab war zugeschaufelt und die Dämmerung eingebrochen. Mit dem Rücken an einen Baum gelehnt hatte er dort gesessen und auf das Grab, einige hundert Schritt von ihm entfernt, gestarrt. Er hatte nicht hingehen wollen und noch viel weniger hatte er heimgehen wollen, erinnerte er sich. Er hatte nur dort sitzen wollen.
Aber nicht nur seine Frau hatte von ihr gesprochen als sei sie eine Hure gewesen. Auch Leute aus dem nahegelegenen Weiler hatten so über sie gesprochen. Abends beim Bier, wenn sie zusammensaßen. Sie hatten von einem Durchgereisten erzählt, der sie umgarnt hatte und einem Burschen, dem Sohn eines Holzfällers, dem sie auch irgendwann verfallen war. Der Durchgereiste war fort, doch den Burschen hatte Raimund gefunden. Er hatte ihm die Beine zerschmettert, damit er ihr nicht mehr nachjagen konnte, er hatte ihm die Hände abgetrennt, damit er sie nicht mehr berühren konnte und er hatte ihn im Wald verscharrt, weil er diesen ebenso sehr hasste wie den Burschen.
Dies tat er noch immer.
Der Bursche hatte gejammert, seine Familie hatte gesucht, doch Raimund, Raimund hatte gehasst. Den Wald, den Burschen und sich selbst. Vor allem sich selbst.