Geschichten:Die Last des Alterns - Teil 2: Von Halsstarrigen und Sanftmütigen
Dramatis Personae:
Selissa von Sturmfels-Mistelstein
Baronie Gnitzenkuhl, Herrschaft Natternhöh` im Perainemond 1033 BF
Lustlos hatte sich Selissa auf den Weg gemacht um ihre Frau Mutter aufzusuchen. Mit einem leichten Tuch um die Schultern und festem Schuhwerk an den Füßen machte sie sich daran dem Ansinnen ihres Vaters nachzukommen. Allmählich war sie es leid von den Ehegatten Mistelstein als Laufbursche benutzt zu werden. Ihre kleingeistigen Streitereien waren so unnötig. Ein wenig innere Einkehr und Disziplin würde den beiden nicht schaden. Hochwürden Korbor von Wasserburg würde das sicher genauso sehen. Beim Gedanken an den Tempelvorsteher aus Gnitzenkuhl seufzte sie auf, schritt aber sogleich zügiger aus, als ob sie lästige Gedanken vertreiben wollte.
Bereits seit einem Mond mieden sich ihre Eltern wie die Blaue Keuche. Angefangen hatte alles mit Gerüchten über ein neugeborenes Kind in Zyrpicum, das Olblodor wie aus dem Gesicht geschnitten sein sollte- angeblich wohlgemerkt, gesehen hatte es von ihnen noch keiner. In ihren Augen kein Anlass um sich so keifend und türenschlagen zu streiten, sogar vor den Knechten und Mägden. Soweit sie das beurteilen konnte war es nicht sonderlich verwunderlich, dass ihre adeligen Wurzeln bisweilen auch beim gemeinen Volk zutage traten. Nicht, dass sie das gut hieße, die Götter mögen bezeugen, dass sie nichts davon hielt sich derart untravianisch zu verhalten. Doch das Blut der Mistelsteiner war durch die Sinnenfreude der männlichen Vertreter ihrer Familie stark verbreitet worden. Olblodor war inzwischen sicher nicht mehr derjenige, der dafür verantwortlich war. So hoffte sie es zumindest!
Beim bergauf gehen in den Weinbergen schüttelte Selissa angewidert das hübsche Haupt. Eigentlich wollte sie sich ausgerechnet darüber keine Gedanken machen, aber die Ehegatten zwangen es ihr ja förmlich auf. Scheinbar verkraftete Tsaiane mit zunehmendem Alter die Missachtung ihrer eigenen verblassenden Reize immer schlechter, und suchte daher ihrerseits Ablenkung. Mit Befremden musste sie an den ein oder anderen Gast denken, den sie in den letzten Monden vom Gut hatte weg reiten sehen. Allesamt junge Herren, attraktiv und…in der Tat wohlgeformt. Ihre Ohren glühten förmlich, wenn sie nur daran dachte. Ihre Erziehung war in Perricum erfolgt, in weitaus gesitteteren Kreisen. Das Leben ihrer Eltern war ihr fremd und verlangte ihr viel ab. Die Zeit an der Seite ihres Gatten Aslan von Sturmfels hingegen war eine Wohltat gewesen.
Einerlei, gemahnte sie sich, man ließ sie in Ruhe, das war das Einzige was in ihren Augen zählte. So war es ihr vergönnt die Zeit mit ihrem Sprößling Falkwin zu verbringen und ihn so zu formen wie sie es für den Knaben für richtig hielt. Bislang hatte sie den Einfluss ihres Herrn Vaters gering halten können. Der verstieg sich nämlich darauf Anshelm das Leben schwer zu machen mit seinen ewigen guten Ratschlägen und Einmischungen. Doch eben jener war es, den Falkwin sich als Vorbild auserkoren hatte. Das war ihr nur Recht, denn das Betragen des Familienoberhauptes bot bisweilen wirklich keinen Anlass nachgeahmt zu werden.
Er machte sich gemein mit jedem der ihm sympathisch war, kein Rock war vor ihm sicher und trunksüchtig war er inzwischen auch noch. Was war nur aus dem einst von ihr so bewunderten und aufrechten Recken geworden? Oder hatte sie sich am Ende gar gewandelt?
Mit diesen trübsinnigen Gedanken erreichte sie schließlich eine unscheinbare Behausung. Für den Reisenden nicht mehr als eine größere Kate in den Weinbergen, auf deren Rückseite noch ein Anbau war.
Schwer atmend kam sie dort an der Tür der einsamen Trutz Tsaianes an. Sorgfältig stampfte sie die Erdkrume von den Sohlen ab, und klopfte nach einer kurzen Verschnaufpause an. So früh am Tag, da war sie sich sicher, musste sie mit keinem anderen unliebsamen Besuch dort rechnen.
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