Geschichten:Die Legende von Korbronn - Teil 9
„Wir werden es nie finden,“ klagte Khorena von Ahrenstedt leise und streckte sich im Sattel.
Seit einigen Tagen durchstreiften die Edlen nun schon die Ausläufer des Reichsforstes und hatten den Punkt, den sie auf der Karte als Korbronn markiert hatten, schon lange hinter sich gelassen. Die Grenze der Baronie Kressenburg konnte nicht mehr weit entfernt sein.
„Bald müssen wir umkehren, denn die Vorräte neigen sich allmählich dem Ende zu.“
„Wir kehren noch nicht um,“ fauchte Rondrigo übertrieben. Seine Schwester und seine Begleiter hatten bemerkt wie sich die Laune des Junkers von Breitenhof in den letzten Tagen stetig verschlechtert hatte.
„Aber Bruder,“ begann Khorena beschwichtigend, doch sie kam nicht weiter.
„Wir müssen den Korbronn finden, es ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht! Wir können nicht einfach aufgeben, nur weil es uns nicht sofort gelingt! Versteht ihr denn nicht? Es ist eine Prüfung der Götter!“
„Du legst schon einen Eifer an den Tag, wie mancher Praiosgeweihter,“ erwiderte Khorena harsch, denn sie war seine Launen leid. Im Moment war es fast unmöglich, ein vernünftiges Gespräch mit ihm zu führen. Dann würde sie ihn halt nicht mehr drauf ansprechen und schweigend neben ihm reiten. Demonstrativ wandte sie ihren Blick zur Seite des Weges, so als suche sie angestrengt nach etwas.
Rondrigo funkelte schon gekränkt zu ihr herüber, als Cordovan schlichtend eingriff. „Wir sind schon weit voran gekommen und wir können immer noch etwas Essbares erjagen. Dementsprechend können wir noch eine Weile suchen. Dennoch war es ein anstrengender Tag und wir sollten vielleicht langsam ein Lager aufschlagen.“
Die beiden Geschwister belauerten sich förmlich, doch beließen sie es vorerst dabei. Ein lauter Streit würde bei der Suche auch nicht helfen, das war beiden klar.
Knappe Eldwin begann damit das Zelt seines Herrn Ritter zu errichten und Khorena machte sich auf die Suche nach Feuerholz, während Gar’wain, Cordovan und Wolfward gen Süden aufbrachen, Jagdspieß und Bogen zur Hand.
Als sie von der Pirsch zurück kehrten, fanden sie bereits ein großes brennendes Lagerfeuer vor. Die Pferde waren allesamt abgesattelt worden und grasten nun friedlich an alte Bäume angebunden.
Müde saßen die Krieger vom Heiligen Zorn zusammen mit den Edlen vor dem Feuer und doch wurde nur wenig gesprochen. Sowohl Galacher als auch Masato hatten sich für die Jagd angeboten, doch anscheinend ging es auch ohne ihre guten Kenntnisse im Jagen und so waren sie über die Zeit der Ruhe dankbar und genossen sie. Das änderte sich, als Cordovan, Gar’wain und Wolfward mit einer erlegten Wildsau ins Lager traten.
Schulterklopfen und Glückwünsche erntend, übergaben die Jäger das Tier an Masato und Eldwin, worauf diese sich nicht lange bitten ließen und damit begannen das Tier auszuweiden.
Der Knappe konnte während seiner Ausbildung viel lernen und kannte sich damit aus, Tiere auszuweiden, doch als Korporal Masato Falkenberg sich an die Arbeit machte, musste er doch staunen. Mit seinem scharfen Jagdmesser, ging die Arbeit viel leichter von der Hand und der Mann schien sein Handwerk perfekt zu beherrschen. Dafür konnte Eldwin bei der Zubereitung des Fleisches auftrumpfen und dem Ordensmann noch einiges vormachen.
Einigte Zeit später hingen die ersten Fleischstücke über dem Feuer und der Saft troff aus ihnen herab ins prasselnde Feuer. Die Stimmung der Suchenden besserte sich, als ihnen der strenge Duft des frischen Fleisches in die Nasen stieg. Die Strapazen der Suche fielen langsam von Khorena ab, als sie sich am Lagerfeuer ein wenig entspannte. Dennoch hoffte sie, bald den Brunnen zu finden, würde doch Rondrigo dann auch wieder besser ansprechbar sein.
Der Nebachote war in den vergangenen Tagen recht schweigsam und zurückhaltend gewesen. Stets aufmerksam schien er stattdessen seine Reisegefährten zu beobachten, um sich mit ihren Gepflogenheiten und Bräuche vertraut zu machen.
Dabei sprach er auch besonders oft mit Ritter Wolfward, der für ihn schon zu so etwas wie ein Idol geworden war, um auch etwas von der Geschichte des Landes, dessen Volkes und deren Ritterschaft zu lernen. Während dieser Tage fiel Gar’wain aber auch auf, dass Khorena sehr auf ihren Bruder fixiert war. Jemand anderen schien die Kriegerin nicht an sich heran zu lassen.
Rondrigo entschuldigte sich bei Khorena für seine harten Worte und bot ihr einen Schluck Wein aus seinem Schlauch an, als Eldwin hoch schreckte und horchte.
„Habt ihr das auch gehört?“ fragte er unsicher in die Runde. Mit einem Mal verstummten die Gespräche und nur das Krachen des vom Feuer verzehrten Holzes war zu hören.
Ein Wiehern! Gar nicht weit entfernt!
Prompt packten die Ordenskrieger ihre Waffen und die Edlen sprangen wie ein einziger Mann auf. Galacher zog seine Klinge in einer fließenden Bewegung heraus und schien hochkonzentriert zu sein. Auch Masato hatte sein Langschwert aus der Scheide gezogen. In der rechten hielt er das Schwert, während er in seiner Linken das Kriegsbeil umklammerte. So wie er da stand, etwas geduckt und angespannt, vermittelte er auch den Eindruck, dass er mit beiden Waffen gleichzeitig etwas ausrichten konnte. Die beiden Ordensmänner wechselten für einen kurzen Moment die Blicke und mit einem Kopfnicken des Wächters wechselte der Korporal seine Position, um die Gegend in ihrem Rücken in Augenschein zu nehmen. Der Reichsforst war voller mysteriöser Kreaturen und Gefahren, das wusste jedes Kind.
Cordovan nahm wiederum den Sauspieß und sah die anderen an. „Am besten wir teilen uns in zwei Gruppen und nähern uns von verschiedenen Richtungen.“
Beim Aufspringen fasste Khorena das Schwert ihres Vaters fester. Sie hoffte, sie würde es nicht brauchen, aber tief in ihrem Inneren war sie sich sicher.
Rondrigo nickte und bat Galacher ben Drou, seinen Korporal als Wache für das Lager abzustellen. Masato schien davon wenig begeistert zu sein, doch auf einen kurzen Befehl seines Wächters hin, nickte der Halbmaraskaner nur und bestätigte damit, dass er verstanden hatte. Er würde im Lager bleiben und auf die Sachen aufpassen. Mit einer schnellen Bewegung klemmte er sich das Kriegsbeil wieder hinten an den Gürtel. Er brachte seinen Fuß danach unter seinen Jagdspeer, der am Boden lag und beförderte ihn mit einer schnellen Reflex in die Luft. In der Luft schnappte sich der Ordenskrieger den Speer mit der freien Hand und verschwand im Wald, um unerkannt das Lager zu bewachen.
Rondrigo, Galacher und Khorena schlichen nach links ins Unterholz, während Gar’wain, Wolfward, Cordovan und Eldwin die andere Richtung ansteuerten. Wieder das Wiehern.
Irgend jemand musste dort sein und er hatte das Lagerfeuer mittlerweile sicherlich schon gerochen oder den Rauch bemerkt.
Khorena schaute sich aufmerksam um. Das Pferd musste nun ganz in ihrer Nähe sein. Waren da nicht auch Hufe zu hören, die langsam auf den moosigen Boden niedergesetzt wurden. Fragend schaute Khorena zu ihrem Bruder. Hatte er es auch gehört?