Geschichten:Die Pforte aufgestoßen - Der Bund von Auenwacht
Schloss Auenwacht, Kaiserlich Gerbaldsmark, 25. Rahja 1045 BF
Zivko von Zackenberg schlenderte gemeinsam mit seinem Schwiegersohn durch einen der Gänge des Schlosses, welches seit geraumer Zeit mit einer selten gesehenen Masse an Gästen fertig werden musste. Der Adel des Königreichs und seiner Marken hatte sich hier eingefunden und jeder wollte Teil der bevorstehenden Krönung sein.
Natürlich standen die Festlichkeiten im Vordergrund, doch wie es immer war, wurde am Rande solcher Veranstaltungen knallharte Politik betrieben. Im Großen, wie im Kleinen. Nichts anderes trieb die beiden perricumer Männer auch jetzt an. Wobei Zivko die meiste Arbeit an Salix delegierte, um sich den wahrhaft großen Dingen, in seinem Fall das Treffen alter Kampfgefährten, zu widmen. Zumindest bevor die offiziellen Feierlichkeiten begannen.
Als meisterlicher Heerführer wusste er nämlich, welche Aufgaben er an vertrauensvolle Untergebene abgeben konnte und um welche er sich besser selbst kümmerte. Wie zum Beispiel das anstehende Gespräch mit Baron Ardo von Keilholtz. Dessen Familie - und vor allem Waffenschmiede - hatte sich während der Fehde als wahrlich wertvolle Stütze herausgestellt, indem sie einen Großteil der Waffenlieferungen übernommen hatten.
Die Verträge, auf denen ebenjene Lieferungen fußten, liefen jedoch aus und es bestand beidseitiges Interesse an der Fortführung dieser lukrativen Verbindung. Vor einem der bodentiefen Fenstern blieben Zivko und Salix schließlich stehen. Als hätte der Greifenfurter nur darauf gewartet bog dieser ebenfalls gerade um eine Ecke und war nach wenigen Augenblicken ebenfalls beim Fenster.
„Den Zwölfen zum Gruße, Eure Exzellenz!“, begrüßte der Baron zu Kressenburg den zackenberger Baron.
„Den Zwölfen zum Gruße, Euer Hochgeboren!“, erwiderte der perricumer Heermeister den Gruß, während sich Salix verbeugte. „Salix von Hardenstatt, mein Schwiegersohn“, stellte Zivko den blonden Adligen neben sich vor. „Er hat in den vergangenen Götterläufen einige wichtige Erfolge für meine Familie im Königreich erzielt. Sollte er an Euch herantreten könnt Ihr sicher sein, dass er in meinem Sinne handelt“. Der Baron blickte kurz zu seinem Schwiegersohn, dann wieder zu Ardo. „Wie ich erfahren habe, ist Eure Familie ebenfalls im Königreich vertreten. Darum wollte ich Euch einander vorstellen, dies dürfte etwaige zukünftige Unternehmungen vereinfachen“.
„Da seid Ihr richtig informiert worden. Im Zuge der Fehdehandlungen haben sich zwei meiner Verwandten auszeichnen können und sind mit Rittergütern belehnt worden.“ Ardo machte eine Pause und dachte kurz nach. „Mein Onkel Wulfhelm erhielt Blaufelden in der kaiserlichen Gemarkung Randersburg und mein Vetter Ingmar das Lehen Radulfsfelden in der Baronie Rallerspfort.“
Zivko schien kurz innezuhalten, setzte dann aber an. „Gut, dann wäre das geklärt. Lasst uns also auf den eigentlichen Grund unseres Treffens zurückkommen! Die Lieferungen an das Militär waren sehr zufriedenstellend, ich denke es liegt in unserem beidseitigen Interesse, diese Verbindung fortzuführen. Was meint ihr?“.
„Euer Hochgeboren!“, Salix blieb vor dem kressenburger Baron stehen und verbeugte sich. „Hättet Ihr einen Moment Zeit für mich?“. Die Adligen steuerten eine ruhigere Ecke an, wo sie ungestört reden konnten. „Ich beglückwünsche Euch zum Abschluss der neuen Lieferverträge, es ist immer eine Freude zu sehen, wenn aufrichtige Geister zueinander finden“.
„In unruhigen Zeiten wie den vergangenen Götterläufen, ist es wichtig sich auf die Stärke götterfürchtiger Verbündeter verlassen zu können.“ Mit einer Handbewegung deutet der Baron wage auf die sie umgebende Örtlichkeit. „Und mögen wir hier und heute auch auf Geheiß der Kaiserin eine neue Ordnung für das Herz des Reiches feiern, so kann es trotzdem nie schaden, die Marken und mithin die aufrechten Stützen ihrer Majestät wehrhaft und wachsam zu halten.“
Salix nickte zustimmend, schien dann kurz zu überlegen. „Apropos aufrichtig, seid Ihr mit den Geschehnissen der Baronie Rallerspfort vertraut?“, fragte der Perricumer mit einem Anflug von Neugier.
„Nicht in allen Einzelheiten, auch wenn mein Onkel mir zuletzt einige beunruhigende Schreiben zukommen ließ.“ Ardo sah sich kurz um, doch war niemand außer ihnen beiden in Hörweite. „Das Gut Radulfsfelden wurde während der Fehde angegriffen und niedergebrannt. Obschon es Zeugen gibt, die sagen dass mein Vetter samt seiner Tochter und Gefährten den Flammen entkommen konnte, gibt es seither kein Lebenszeichen mehr von ihm. Sie flüchteten wohl in ein nahes Waldstück und sind seither verschollen.“ Die ehrliche Sorge stand dem Greifenfurter ins Gesicht geschrieben, gemischt mit einem Funken Hoffnung, dass Salix vielleicht mehr wissen konnte.
„Der Überfall von waldsteiner Marodeuren auf das Lehen Eures Verwandten Ingmar ist nur das jüngste der seltsamen Vorkommnisse in dieser Baronie. Tatsächlich ist so einiges seltsames in Rallerspfort geschehen. So war der Vorgänger des amtierenden Barons keineswegs dessen Verwandter. Vielmehr war Haldan von Rallersgrund der Seneschall von Raulbrin von Rallerspfort, einem reichstreuen Streiter, der während des Mendenafeldzugs sein Leben gab“. Salix ließ seine Worte etwas sacken, ehe er fortfuhr. „Raulbrin selbst besaß einen untadeligen Leumund und doch wurde seine Tochter und Erbin bei der Erbfolge übergangen. Der reichsforster Graf gab die Baronie an besagten Seneschall und setzte sich so über die göttergewollte Ordnung hinweg“.
„Das ist tatsächlich ein sehr bemerkenswerter Vorgang“, stimmt Ardo zu. „Ich war selbst vor Mendena und erinnere mich an Raulbrin von Rallerspfort. Nach Graf Danos Tod, war er einer der ranghöchsten Streiter im Reichsforster Heerbann und nach der Schlacht einer der vielen schmerzhaften Verluste die wir hatten erleiden müssen.“ Der Baron sann kurz nach. „Seine Tochter war noch recht jung möchte ich meinen? Zu jung auf jeden Fall, um die alltäglichen Geschäfte einer Baronie zu übernehmen. Das Einsetzen des Seneschalls als Vogt, bis zu ihrer Mündigkeit, wäre wohl der praiosgefälligen Ordnung folgend der rechte Weg gewesen. Wenn es nicht andere, uns nicht bekannte Gründe gab, welche Graf Drego dazu bewogen haben mögen der Tochter das Erbe vorzuenthalten?“ Fragend sah er seinen Gegenüber an.
Der Perricumer schüttelte langsam den Kopf, nun war er es, der sich kurz danach umschaute, ob es Ohren ihn Hörreichweite gab. „Während meiner Aufgaben, die ich für die Familie Zackenberg die letzten Götterläufe erledigte, hatte ich auch Zeit mich in besagter Baronie umzuhören. Mein erster Eindruck, der Erste Blick, den ich gewann als ich unter die Decke schaute, ließ mich erschaudern“. Er stockte und schluckte merklich. „Wie es jede göttergefällige Seele erschaudern lassen würde. Gräbt man nämlich tiefer findet man so einige Ungereimtheiten in Rallerspfort. Eine Untersuchung, die seit Götterlauf und Tag in Lethargie gefangen ist und zu keinem Ergebnis kommt. Eine Erbin, die aus keinen ersichtlichen Gründen um ihr Erbe gebracht wurde…“. Des Jüngeren Miene verfinsterte sich und er blickte den Greifenfurter durchdringend an. „Selbst die Vorgänge mit Eurem Vetter… Es wurde eine Aufklärung angekündigt, doch die Wache scheint ‘‘besseres‘‘ zu tun zu haben als sich darum zu kümmern!“.
„Das ist mir allerdings auch schon aufgefallen“, gab der Kressenburger zurück. „Seit dem Vorfall bin ich mit dem Rallerspforter in Korrespondenz, außer wagen Ausflüchten und Andeutungen habe ich zu Ingmars Verbleib aber nicht zu hören bekommen. 'In den Wald gegangen und spurlos verschwunden', das ist im Grunde alles.“ Grüblerisch rieb er sich am Kinn. „Ich habe selbst schon mehrfach mit übernatürlichen Dingen zu tun gehabt und will nicht ausschließen, dass es schwer wäre solcherart nachzuvollziehen, wenn sich im Hornwald magisches oder göttliches Wirken abgespielt haben sollte. Aber auch das wäre möglich gewesen, denke ich, wenn man mit den richtigen Leuten ernsthaft gesucht hätte. Ein gewisses Desinteresse des Herrn Barons lässt sich also kaum von der Hand weisen. Aus diesem Grund gedenke ich auch nach den hiesigen Feierlichkeiten über Randersburg zu reisen, um mich mit dem Schwiegervater meines Vetters auf Schloss Sonnenfeld zu treffen. Ich hoffe, er wird mir ein paar neue Informationen geben können.“
Salix nickte verstehend. „Dann hoffe ich, dass Ihr dort weitere Antworten findet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es immer förderlich ist, gewisse Dinge mit eigenen Augen zu sehen. In Briefen oder Erzählungen kann so viel… Verloren gehen“. Er räusperte sich etwas und kratzte sich am Kinn. „Euer Hochgeboren, das ist auch der Grund, weshalb es mich freut, dass wir von Angesicht zu Angesicht sprechen. Ich möchte ganz offen sein, denn das bin ich – ist die Familie Zackenberg – Euch schuldig“. Er wartete kurz, als eine Magd aufgeregt vorbeieilte. „Der Erbe Zivkos hat sich mit der Mutter der übergangenen Erbin vermählt. Seine Familie hat der Gattin zugesichert, den Anspruch ihrer Tochter zu unterstützen“. Er hob die Hände, „doch keine Sorge, eine offene Fehde ist nicht das, was sie anstreben. Dieses Land hat genug Gewalt und Tod gesehen…“. Der blonde Adlige dachte kurz nach, „wir wollen Licht in die Dunkelheit bringen, in deren Schutz all diese Vorkommnisse entstanden sind. Dazu gehört es auch, aufzudecken was wirklich in jener Nacht auf Gut Radulfsfelden geschah“. Vielsagend blickte er zu Ardo und wartete ab, wie dieser auf das unausgesprochene Angebot reagieren würde.
„Ich hätte von Seiner Exzellenz auch nicht erwartet, dass er einen von des rechtmäßigen Grafen Hand und mit der Götter Segen belehnten Hochadligen von seinem Stuhl stoßen würde.“ In Ardos Stimme schwang eine gewisse praiosgefällige Strenge mit, als wäre ihm allein der Gedanke an ein solches Tun ein Frevel. „Auch nicht für das Erbe seiner angeheirateten Enkeltochter und den Machtgewinn, den es für die Familie Zackenberg bedeuten würde, sollte die junge Edeldame doch einmal zu ihrem Recht kommen.“ Er wandte sich abrupt zum Fenster um, wie um das Gespräch zu beenden, drehte dann jedoch den Kopf zurück zu Salix und sprach deutlich bedächtiger weiter. „Sollte sich jedoch herausstellen, dass Baron Haldan sich wider meinem Vetter schuldhaft verhalten hat oder seine Position gar durch Arg und List erschlichen hat, um die Praios gefällige Lehnsfolge zu umgehen, so kann er fürderhin schwerlich für sich in Anspruch nehmen, mit der guten Götter Segen zu herrschen. Dann wäre es angebracht, Seiner Hochwohlgeboren dem Grafen, eine andere, sittsame und rechtmäßige, Erbin der Baronswürde anzuempfehlen.“
Kurz hatte Salix befürchtet, dass seine Pläne schon hier einen ersten Rückschlag erhalten würden, doch als der Baron abermals seinen Vetter ins Spiel brachte atmete der Perricumer innerlich auf. Die Saat war gepflanzt und es würde nun nur etwas Zeit brauchen, damit sie auch keimen würde. Er setzte ein verständnisvolles Lächeln auf, „etwas anderes habe ich – und seine Exzellenz – auch nicht von einem Mann mit Eurem Ruf erwartet“. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
In diesem Moment kam ein etwa vierzehn Götterläufe alter Knabe den Gang hinuntergelaufen und hielt direkt auf den Greifenfurter zu. Er trug einen in Schwarz, Grün und Gold gehaltenen Wappenrock, ähnlich dem des Kressenburgers. Doch prangte Rot auf Silber ein aufrecht stehender Hammer auf dem Flecken über seinem Herzen. In gebührendem Abstand hielt der Junge inne, verbeugte sich knapp und begann noch etwas atemlos zu sprechen.
„Herr Ardo, gut, dass ich Euch so schnell finden konnte. Die Zeremonienmeisterin hat den nächsten Tanz angekündigt, den die neue Großfürstin eröffnen soll. Man gab mir zu verstehen, dass es angezeigt wäre, wenn die Greifenfurter Delegation dazu und Ihr zu Ehren vollzählig anwesend ist.“
Der Baron seufzte leise und Götter ergeben. „Euer Wohlgeboren“, sagte er an Salix gewandt, „ich danke Euch für das offene und aufschlussreiche Gespräch. Ich denke, wir haben uns in den wichtigen Punkten verstanden und Einigkeit erzielt.“
Der Angesprochene nickte und verbeugte sich der Etikette entsprechend, mit einem warmen Lächeln auf den Gesichtszügen erwiderte er, „in der Tat. Nun bleibt mir nur noch, Euer Hochgeboren viel Erfolg bei den anstehenden… Anstrengungen zu wünschen. Die Götter mit Euch“. Wobei er offen ließ, welche Anstrengungen er nun genau meinte.
„Wohlan, Thorben“, sprach der Baron zu seinem Pagen und setzte an ihm zu folgen, „dann führe mich auf dem kürzesten Weg zum Ballsaal.“ Salix meinte in seiner Stimme eine tiefe Qual zu vernehmen, als gelte es für Ardo ein Schlachtfeld voller Dämonen zu betreten. „Machen wir der neuen Großfürstin Garetiens unsere Aufwartung.“
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