Geschichten:Die Pforte aufgestoßen - Die Zusatzklausel
Burg Trollwacht, Baronie Zackenberg, 27. Hesinde 1046 BF
Ich betrachtete den Mann vor mir mit einer gewissen Akribie. Jede Falte, Furche und Unebenheit. Vor allem die tiefen Ecken auf der Stirn meines Gegenübers zogen mich in ihren Bann. Unwillkürlich fuhr ich mir mit der Rechten durch die Haare, ganz so, als würde ich mich davon überzeugen wollen (müssen!), dass dort oben noch alles beim Alten war. Zu meiner Erleichterung war noch alles dort, wo ich es vermutet hatte. Feinsäuberlich gestutzt, so dass sie unter einem Helm keine Probleme bereiten würden, oder wenn ich irgendetwas machte. Lange Haare waren meist hinderlich und unpraktisch.
Meiner Ansicht nach stellten kurze Haare sowieso die geeignetste Frisur in den heißen Gefilden des Südens da, was sein Übriges tat, um sicherzustellen, dass meine Haare gestutzt blieben. Es war im Süden der Markgrafschaft sowieso warm genug, da musste man nicht noch unnötigen Ballast mit sich herumschleppen. Ein langgezogenes Ausatmen ließ mich aufschauen.
„Deine Meinung hierzu?“, wollte mein Gegenüber mit einem befehlsgewohntem Unterton wissen, ohne eine Miene zu verziehen. Die zahlreichen Besprechungen mit allen möglichen Personen mussten sein Boltans-Gesicht gestählt haben, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf.
„Es sind weitreichende Forderungen, doch was wir im Gegenzug erhalten, ist ebenso weitreichend“. Stellte ich zackig fest, während ich mir nochmal durch das Haar fuhr. Ich war natürlich nicht sofort aufgesprungen, als ich das Schreiben erhielt, und umgehend hier her gespurtet. Nachdem ich mir die Worte einige Male durchgelesen hatte, hatte sich auch meine Verwunderung gelegt und ich nahm mir entsprechend Zeit die Sache nüchtern zu betrachten. Es würde unserer Familie die Möglichkeit geben, auf einen Anker im Königreich zu hoffen!
Lediglich sie würde das Nachsehen haben, immerhin sollte sie auf ihr rechtmäßiges Erbe verzichten, dachte ich mir still und bemerkte, wie sich eine gewisse Melancholie aus meinem Innersten an die Oberfläche kämpfte und auszubrechen drohte. Ich musste einiges an Willenskraft aufwenden, um sie niederzukämpfen und schob sie dann weit nach unten. So etwas konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Nicht hier und nicht vor ihm.
Der Mittfünfziger hinter dem Schreibtisch nickte knapp und blickte abermals auf das Papier. „Für dich sind dies akzeptable Bedingungen?“, er stockte kurz setzte dann noch, „für euch…“, nach.
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Wie gesagt, hatte ich einige Zeit gehabt mir das Schreiben durchzulesen und die darin enthaltenen Forderung abzuwägen. Ich hatte sogar meine Frau gefragt und mich mit ihr ausgesprochen. Sie hatte gute Argumente vorgetragen, die ich so nicht einfach entkräften konnte. ‘‘Der Familie erwächst hieraus, in der Gesamtbetrachtung, nichts Schlechtes‘‘ oder ‘‘sie ist sowieso noch viel zu jung, um zu verstehen, was das bedeutet‘‘.
Aber war das nicht gerade der springende Punkt? War ich nicht auch dazu verpflichtet Sorge zu tragen, dass ihnen nichts Schlechtes erwuchs? Vertrauten sie mir nicht ohne Vorbehalte, weil sie von dem besonderen Bund zwischen Vater und Tochter wussten oder zumindest darauf vertrauen konnten? Vertrauen MUSSTEN? Opferte ich gerade die Zukunft meiner Tochter für eine mehr als unsichere Hoffnung?
Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken, „Ob diese Bedingungen für euch akzeptabel sind, möchte ich wissen“. Der nüchterne Tonfall verschleierte alle Anzeichen dafür, wie mein Gegenüber zu der Sache stand. Auch nach all den Jahren wirkte der Mann vor mir, wie ein entfernter Stern, dessen Essenz immer wieder in mein Leben trat, doch dem ich nicht habhaft werden konnte und schon gar nicht erreichen.
Nun zwirbelte ich an meinem, ebenfalls gestutzten, Bart und nickte langsam, „wenn dies der Preis ist, den wir dafür zahlen müssen, bin ich bereit ihn zu zahlen“. Es würde für Leonore sicherlich ein Auskommen geben, das ihrer würdig war. Im Zweifel musste ich meinen Schwager darum bemühen. Der war immerhin recht geübt darin Sachen, Personen und Verbindungen aufzutreiben. Ich müsste nur einen passenden Moment abpassen, immerhin durfte er nicht zu früh eingeweiht werden. Da war das Schreiben mehr als deutlich, außer der Verfasserin und die beiden Männer in diesem Raum durfte vorerst niemand davon etwas erfahren.
Ein kurzer Schauer lief mir den Rücken herab, was wenn Elissa davon erfahren würde? Sie wäre außer sich! Ihre Nichte enterbt für eine vage Hoffnung? Aber wenn dies der Preis war, damit meine Familie weiterkam…
Mein Gegenüber nickte knapp, „dann ist es beschlossen. Sag ihr, dass es in Ordnung geht und sie mich morgen vor der Zeremonie aufsuchen soll damit alles in trockene Tücher kommt“. Dann legte er das Papier in einer Schublade ab. Kurz hielt er inne, blickte mir schließlich eindringlich entgegen. Seine Stimme nahm etwas Väterliches an, ich war mir sogar sicher, eine gewisse Milde vernehmen zu können. „Wir finden schon etwas passendes“.
Mit einem schmalen Lächeln nickte ich, „ich weiß – danke, Vater“.
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