Geschichten:Die Rückkehr der Pfortensteiner - Phexensstreich
Ende Travia 1044 BF, Dorf Windfels, am Morgen
Die Ritter und ihre Waffenknechte warteten verborgen hinter einem Hügel südlich des Dorfes. Rondradan hatte eine Späherin vorausgeschickt, um zu erkunden, mit welchem Widerstand sie zu rechnen hätten. Spätestens seit dem Angriff auf Berstenbein war klar, dass auch die Erlenfaller die Fehde aufgenommen hatten. Der Überfall würde bei weitem nicht so einfach verlaufen wie der auf Rallingen, zumal die Pfortensteiner dieses Mal die meisten Waffenknechte zur Absicherung auf den heimischen Gütern gelassen hatten. Auch waren inzwischen alle Felder abgeerntet, sie mussten diesmal also bis ins Dorf vorstoßen, wenn sie Schaden anrichten wollten.
„Wie sieht es aus?“, fragte Rondradan die zurückkehrende Soldatin ungeduldig.
„Ein direkter Angriff auf das Lagerhaus wird schwierig“, meinte die Kundschafterin kopfschüttelnd. „Im Dorf lungert sicherlich ein Dutzend Spießknechte herum. Aber westlich des Dorfes befindet sich dieses Ding auf dem Hügel, mit dem sie das Salz gewinnen.“ Sie deutete wage in die Richtung links von ihnen. „Da ist so ein junger Bursche mit Wappenrock, im Knappenalter. Redet mit den Arbeitern, die gerade das Salz abschlagen und alle kuschen vor ihm. Hat aber nur einen Büttel dabei.“
„Das könnte der Sohn vom Windfelser Ritter sein“, vermutete der alte Geldrion.
„Da scheint Phex uns hold zu sein“, meinte Junker Kolkja. „Wenn wir ihn in unsere Gewalt bringen könnten, brauchen wir uns vielleicht nicht mit den Wachen im Dorf herumzuschlagen.“
Wulfhelm zeigte ein wölfisches Grinsen. Er wusste genau worauf der Radewitzer aus war. „Das Leben seines Sohnes sollte dem Windfels schon etwas wert sein. Wir brauchen das Lager nicht selbst aufbrechen. Wir lassen uns einfach ein Lösegeld bezahlen.“
„Dann los“, ließ sich Irion vernehmen, „bevor die Gelegenheit vorbei ist.“
Auf ein Zeichen Rondradans saßen alle geschwind auf und gaben den Pferden sie Sporen. Als das Dorf hinter der nächsten Wegbiegung in Sicht kam, wandten sich die Pfortensteiner dem westlichen Hügel zu auf dem das Gradierwerk stand. Natürlich blieb ihre Annäherung nicht unbemerkt. Die Arbeiter riefen und zeigten mit den Fingern auf sie. Der Waffenknecht reagiert am schnellsten und versuchte den jungen Edlen an seiner Seite in Richtung des Dorfes zu ziehen. Der erfahrene Wulfhelm erkannte was sie vorhatten und gab dem neben ihm reitenden Radewitzer ein Zeichen. Sie lenkten ihre Pferde in Richtung der freien Fläche zwischen dem Hügel und dem Dorf und schnitten den Fluchtweg ab. Der Waffenknecht erkannte, dass sein Plan erraten worden war, blieb stehen und baute sich, den Spieß erhoben vor dem Jüngling auf. Ganz offensichtlich war er zu seinem Schutz abgestellt worden. Innerhalb weniger Augenblicke hatten die Reiter die beiden eingeholt und eingekreist. Rondradan ließ sein Pferd noch zwei Schritte auf den Spießknecht zumachen und deutete drohend mit dem Schwert auf ihn.
„Lass sofort den Speer fallen und du wirst leben. Widersetze dich und du machst dich in wenigen Augenblicken auf den Weg über das Nirgendmeer!“
Der Waffenknecht schien unwillig sich zu ergeben. Er versuchte in Richtung des Dorfes zu spähen und auf Verstärkung zu hoffen. Der Junge jedoch war merklich eingeschüchtert von den schweren Rössern, die sie umringten und den Waffen, die bedrohlich auf sie gerichtet waren.
„Bitte Herr“, meinte er den Blick schüchtern gesenkt. „Tut uns nichts zuleide. Mein Name ist Drego von Windfels. Ich bin mir sicher, dass wir eine Lösung finden werden. Mein Vater ist kein armer Mann.“ Dabei drückte er die Hand auf die Waffe des Spießknechtes und zwang diesen damit sie fallen zu lassen.
„Sehr schön, so werden wir vernünftig reden können. Gerthild, Alrik, Runa“, befahl Rondradan den Waffenknechten, „haltet den hier und die Knechte da oben in Schach und haltet uns den Rücken frei. Junger Herr“, wand er sich an den Jüngling, „Ihr kommt mit uns.“
Rondradan stieg ab und übergab Irion die Zügel seines Pferdes. Das Schwert in der Rechten packte er den Jungen mit der Linken fest an der Schulter und schob ihn neben sich her auf das Dorf zu. Von dort näherte sich eine Gruppe von acht Spießknechten, die von einem erfahren aussehenden Ritter angeführt wurden. Hinter der Gruppe stand eine offenbar um Fassung ringende Edeldame und eine immer größer werdende Anzahl Dorfbewohner.
„Drego! Bitte tut ihm nichts! Nicht mein Junge! Last ihn gehen!“ Die Edeldame war außer sich und vollkommen verzweifelt, als sie erkannte, was vor sich ging.
„Schweig still Weib!“, herrschte der Ritter sie halb im Zurückblicken an. Dann wand er sich zornig an Rondradan. „Was wollt Ihr hier Pfortenstein? Wie kommt Ihr dazu meinen Sohn zu bedrohen?“
„Ihr solltet wissen was die Stunde geschlagen hat, Windfels. Schließlich liegen wir in Fehde mit Erlenfall.“
„Was also wollt ihr?“
„Heute würde ich mich mit einem Lösegeld zufriedengeben.“ Rondradan ließ die Schwertspitze unter Dregos Kinn wandern, was zu einem erneuten lauten Aufschluchzen seiner Mutter führte. „Ich schlage vor, dass Eure werte Gemahlin meinen Gefährten den Weg zu Eurer privaten Schatulle zeigt. Dann wird heute niemandem ein Leid geschehen müssen.“
Ritter Ardach von Windfels wurde puterrot im Gesicht und an seinem Hals trat deutlich pulsierend eine Ader hervor. Nach einigen Momenten schaffte er es sich zu beherrschen, senkte die Schwertspitze zu Boden und blickte Rondradan finster an. „Es sei. Heute habt Ihr gewonnen Pfortenstein. Doch das werde ich Euch büßen lassen!“
„Das dürft Ihr gerne versuchen“, meinte der Olbershagener Junker stoisch. „Kolkja, wollt Ihr die Dame des Hauses wohl begleiten? Ihr könnt gleich sichergehen, dass Ihr für den Angriff auf Berstenbein angemessen entschädigt werdet. Wulfhelm, helft ihm doch bitte tragen. Irion, Geldrion und ich haben das hier unter Kontrolle.“
Mit einem knappen Nicken ging der Radewitzer voran und schritt ungehindert durch die Reihe der Spießknechte. „Währt Ihr so freundlich uns den Weg zu zeigen?“, sprach er die tränenüberströmte Edeldame ausgesucht charmant an und reichte ihr galant den Arm.
Verblüfft von so viel Höflichkeit und vollkommen mit der Situation überfordert sah die Dame Feliona den Radewitzer an. Widerstandslos ließ sie sich zum Herrenhaus geleiten und der Keilholtzer schloss sich ihnen an. Ein gutes halbes Stundenglas blieben sie fort und bis auf eine Magd die eilig ein paar feste Leinensäcke und Lederriemen herbeitrug wagte niemand eine Bewegung. Rondradan war kurz davor unruhig zu werden, als die zwei Ritter schwer bepackt aus dem Herrenhaus traten. Jeder trug zwei mit Riemen zusammengebundene Säcke über der Schulter, in denen es verräterisch klimperte.
„Ihr wart lange weg“, kommentierte Irion trocken.
„Es gab viel einzupacken“, erwiderte Wulfhelm grinsend, während er die zusammengebundenen Säcke seinem Pferd vor dem Sattelknauf über den Hals warf.
„Die Dame Feliona war sehr hilfsbereit“, ergänzte der Berstenbeiner. „Vor allem nachdem Ritter Wulfhelm ihr noch einmal sehr anschaulich beschrieben hat, welch schreckliches Schicksal Geiseln seiner Erfahrung nach in der Wildermark nahmen, wenn versucht wurde etwas vom Lösegeld zu unterschlagen. Da fiel ihr auch spontan noch das Geheimversteck hinter dem Kamin ein, wo die Ersparnisse der Familie lagerten.“ Er klopfte vielsagend auf den klimpernden Sack. „Als Salzvogt scheint man einen guten Schnitt zu machen.“
Rondradan hatte genau wie Ritter Ardach alles gehört. „Gut“, meinte der Pfortensteiner nachdrücklich, als er sah, dass der Windfels wieder einen roten Kopf bekam und sich anschickte das Schwert zu heben. „Damit wäre hier alles geklärt. Wie versprochen gibt es somit keinerlei Anlass irgendjemandes Blut zu vergießen. Habe ich Recht?“
„Gebt mir meinen Sohn und dann verschwindet von meinem Land, Pfortenstein! Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, wird Blut fließen, das verspreche ich Euch!“
Der Junker wartete wortlos ab, bis alle seine Gefährten im Sattel saßen und die Beute sicher verknotet hatten. Dann nahm er die Klinge vom Hals des Jünglings und schob ihn mit einem kleinen Stoß in Richtung seines Vaters. Zügig bestieg nun auch Rondradan sein Pferd und gab seinen inzwischen ebenfalls aufgesattelten Waffenknechten auf dem Hügel einen Wink. Geordnet und bemüht es nicht wie eine Flucht aussehen zu lassen, ritten die Pfortensteiner die Straße entlang nach Süden. Als sie die Hügel zwischen sich und Windfels gebracht hatten und der Waffenknecht Alrik, der die Nachhut gebildet hatte, anzeigte, dass sie nicht verfolgt wurden, löste sich die Anspannung und alle fingen vor Erleichterung lauthals an zu lachen.
◅ | Heiße Stimmung auf der Hochzeit |
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Ernteausfall | ▻ |