Geschichten:Die Ratte im Gebälk - Zwei Besucher im Fuchsrudel
Im Feldlager des Fuchsrudels , 3. Efferd 1045
Larissa schritt durch das Feldlager. Sie war auf der Suche nach Tawil oder Obarin. Sie vermutete die beiden in der Nähe des Prinzen. Also bahnte sie sich ihren Weg zu seinem Zelt in der Mitte des Lagers. Sie hob ihren Rock, als sie über eine Pfütze steigen musste und marschierte auf ausgetretenen Pfaden durch die Zeltstadt. Wie sie das hier haßte! Sie hatte eigentlich erwartet in schönen Burgen und Schlössern zu residieren, wo man sich nicht täglich sein Kleid ruinierte. Stattdessen war der Prinz meist unterwegs, von einem Turnier zum anderen und man wohnte in Zelten. Ab und an war man Gast bei einem Adligen wie zuletzt beim Grafen von Eslamsgrund. Dort konnte man leben! Aber hier?
Als sie den Platz vor dem großen Zelt des Prinzen erreichte, blieb sie stehen und sah sich um. Doch sie fand die beiden nicht. Wen sie aber sah, war der Prinz, den sie durch den Spalt des Zelteingangs sah und mit seinen Beratern über einen großen Tisch gebeugt war.
Sie dachte zurück an den Tag an dem sie im Fuchsrudel aufgenommen wurde; als ihr Vater es endlich erlaubt hatte. Der Prinz selbst hatte sie willkommen geheißen, er, der sie damals beim Turnier angelächelt hatte. Wie sehr sie doch ihrem Vater in den Ohren gelegen war, daß der Prinz sie doch heiraten würde und nicht dieser häßliche Berg! Schließlich hatte er sie angelächelt - und sie gerettet! Erst ihre Mutter konnte ihn überreden sie doch zum Fuchsrudel gehen zu lassen. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie enttäuscht sie war, als sie erkannte, daß der Prinz sich nicht einmal an sie erinnerte!
Das ist schon fast ein Jahr her. Jetzt war sie viel klüger, schließlich war sie jetzt vierzehn und damit fast erwachsen!
Dennoch sah sie den Prinzen gerne an. Er war edel und gerecht. Und jetzt vergaß er sie nicht mehr. Jetzt wußte er wer sie war. Aber warum zeigte er nicht mehr Interesse an ihr? Stattdessen war er immer über Karten und Dokumente gebeugt oder in Begleitung seiner Ritter.
"Junge Dame", hörte sie eine Stimme, die sie aus den Gedanken riß. Es war Ritter Glaubert, der vor dem Zelt Wache stand und auf sie zu kam. "Larissa, seht Ihr den Prinzen wieder verträumt an? Ihr wißt doch, daß er jetzt keine Zeit hat."
"Das weiß ich, Herr Glaubert", antwortete Larissa freundlich. "Ich suche nur nach Tawil und Obarin. Wärt Ihr so freundlich und könntet Ihr mir sagen wo sie sind?"
"Aber natürlich", lächelte der Ritter. "Sie sind vorhin zu Eurem Zelt geeilt. Sie meinten sie wollten Euren Besuch sehen. Wahrscheinlich habt Ihr sie gerade verpaßt."
"Meinen Besuch?", fragte Larissa verwirrt.
"Ja, zwei Männer. Sind heute Morgen im Lager angekommen. Sie sagen, sie kämen von Eurem Vater. Ihr wißt nichts davon?"
Larissa schüttelte den Kopf.
"Wenn es so ist, junge Dame", meinte der Ritter, "können wir sie festnehmen lassen, wenn Ihr wollt."
"Ich weiß nicht ... Ich glaube nicht. Danke, Herr Glaubert. Ich werde mich sogleich zu meinem Zelt begeben. Dort werden Tawil und Obarin schon auf mich aufpassen." Mit diesen Worten machte sie sich auf den Weg, während Glaubert skeptisch hinterher blickte.
Wer da wohl gekommen war? Und warum? Sie würden sie doch nicht von hier mitnehmen wollen? Oder etwa doch? Vielleicht war das gar nicht mal so schlecht? Morgen soll ja eine große Schlacht stattfinden und auch wenn Larissa das niemandem gegenüber zugab, so hatte sie doch fürchterliche Angst davor. Natürlich würde sie nicht mit kämpfen, schließlich war sie keine Kriegerin und dafür auch nicht vorgesehen, aber sie hatte dennoch Angst. Nun ja, Saria, ihre Zofe, gegenüber hatte sie es zugegeben, und auch Palinai gegenüber, ihrer Zeltgenossin. Aber sonst niemandem!
Sie verstand die ganze Situation einfach nicht. Warum kämpften sie gegen die Königin? Was konnte sie nur dagegen haben, wenn sich der Prinz als Großfürst bezeichnet? Das ist doch nur ein Titel.
Die Königin hatte gegen Dämonen und Heptarchen gekämpft, also dachte sie, sie wäre gut. Aber vielleicht tat sie nur so? In den Geschichten gab oft einen Bösewicht, der so tat als ob er gut wäre. Der Prinz war gut - das wußte sie. Er war edel und gerecht. Er setzte sich für die Schwachen ein und hielt die Ehre hoch. Und er sah so gut aus ...! Aber der Prinz kämpfte gegen die Königin. Das konnte nur bedeuten, daß die Königin Böse sein mußte. Anders konnte sie sich das nicht erklären.
Kurz bevor sie bei ihrem Zelt ankam, hörte sie bereits Tawil. "Ihr habt nicht das Recht sie mitzunehmen, meine Herren!", hörte sie ihn sagen. "Sie gehört zum Rudel."
"So ist es", vernahm sie dann auch Obarins Stimme. "Und somit steht sie unter dem Schutz des Großfürsten."
"Wie kann man so verdammt blind sein?!" Diese Stimme kannte sie nicht. Aber es war offenbar ihr Besuch.
Larissas Schritte wurden langsamer. Sie überlegte, ob sie sich vielleicht verstecken sollte. Wenn sie sie nicht fanden, würden sie vielleicht wieder gehen? Und vielleicht kamen sie ja nicht von ihrem Vater? Und überhaupt! Er wollte sie an einen alten Sack - sie schüttelte den Kopf, nein das darf man nicht sagen, ja nicht mal denken - an einen alten Mann verheiraten.
Als sie sich gerade umdrehen und sich verstecken wollte, fragte sie sich was der Prinz in solch einer Situation machen würde. Er würde nicht wegrennen. Er würde sich der Gefahr stellen.
Sie nahm ihren Mut zusammen und hob stolz ihren Kopf. Mit gefassten Schritten näherte sie sich ihrem Zelt. "Ist euch nicht klar, daß ihr in dieser Schlacht keine Chance habt?", fragte die unbekannte Stimme soeben, als sie um die Ecke kam. Obarin wollte soeben etwas erwidern, als der zweite Mann sich einmischte. Diesen kannte Larissa.
"Es ist gut, Tristan", sagte Praiodan und beruhigte den anderen Mann. "Verzeiht meinem Begleiter, junge Herren. Seine Worte sind meist doch recht ungestüm, obwohl auch er weiß, welchen Mut und Entschlossenheit, das ihr allesamt an den Tag legt, habt und, so möchte ich hier auch gerne meine Bewunderung verdeutlichen, mit so hehren Idealen, die eigentlich auch von den Höchsten derjenigen, die eine Krone auf ihrem Haupte tragen, gelobt werden sollten. Aber um dieses Problem zu lösen, dessen wir uns zanken, schlage ich doch eine einfache Lösung vor: Fragen wie die junge Dame, was sie von unserem Vorschlag hält; denn sie ist soeben zu uns gestoßen."
"Ähm, ja", meinte Tawil und kratzte sich am Kopf, während er Obarin fragend ansah, der nur mit den Schultern zuckte.
Neben Palinai waren Tawil und Obarin Larissas beste Freunde. Sie waren die ersten, die sie im Fuchsrudel willkommen geheißen und ihr alles und jeden gezeigt hatten. Sie waren wie große Brüder, die für sie kämpfen und einstanden. Sie hat sogar den Eindruck, daß die beiden sie umgarnten und um ihre Gunst wetteiferten, aber ihr Herz gehörte bereits dem Prinzen.
Sie mochte die beiden.
"Junge Dame?" Sie wurde wieder aus den Gedanken gerissen. Praidodan war an sie heran getreten. "Können wir kurz unter vier Augen reden?"
Sie blickte zu ihren Freunden? Mit Blicken fragten sie, ob sie Hilfe benötigte. Doch diese war nicht nötig.
"Herr Praiodan, schön Euch zu sehen", sagte sie und machte einen perfekten Knicks, bevor sie sich mit einem Lächeln an ihre Freunde wandte. "Ich danke euch beiden, doch Praiodan ist ein Freund meines Vaters. Man kann ihm vertrauen."
"Gut", nickte Tawil. "Wenn du uns braucht, wir sind in der Nähe."
Praiodan führte Larissa ein paar Schritte zur Seite, damit sie ungestört reden konnten.
"Ihr glaubt ja nicht, wie froh ich bin, Euch endlich gefunden zu haben, Larissa", sagte er. "Ich bin schon seit Wochen unterwegs um Euch zu finden. Ich glaubte Euch zuerst in Eslamsgrund."
"Will mein Vater mich zurück holen?"
Praiodan blickte sie wissend an. Er kniete sich zu ihr hinunter. "Ihr wollt hier bleiben?", fragte er.
"Nun ... ja. Irgendwie schon."
"Mmh, ich bewundere den Mut der Leute hier. Sie scheuen sich nicht gegen die bestehende Ordnung aufzubegehren und gegen die Königin zu rebellieren. Allerdings fehlt es ihnen an Weisheit. Larissa, auch wenn sie gewinnen sollten, solltet Ihr in diesem Fall dem Wunsch Eures Vaters nach kommen. Es sind Dinge geschehen, die es erfordern, daß Ihr wieder nach Hause kommt."
"Aber er will mich an jemanden verheiraten, den ich nicht heiraten möchte."
"Ach, Larissa", sagte er und strich ihr eine Strähne aus ihrem Gesicht. "Wenn es sich vermeiden ließe, dann würde ich Euch hier gerne helfen. Aber bis zur Heirat sind noch ein paar Jahre hin und bis dahin kann vieles passieren. Ich möchte Euch eines fragen, Larissa. Vertraut Ihr mir?"
"Ähm, ja. Ja, sicher."
"Gut, dann vertraut mir auch hier. Macht es nicht für Euren Vater. Für ihn wart Ihr nur eine günstige Gelegenheit um mit den Großfüchen unter der Hand diplomatische Beziehungen führen zu können. Vielmehr sage ich: macht es für Euch selbst, Larissa."
"In Ordnung? Ich weiß nicht ... Was ist mit Saria? Und Tante Kordaella?"
"Über deine Tante kann ich nicht bestimmen. Ich bin nur wegen Euch da. Eure Zofe kann natürlich auch mit, falls sie da ist."
Larissa hatte Saria gestern zuletzt gesehen. Seitdem nicht mehr. Sie wußte nicht wo sie war und gesagt hatte sie auch nichts. Es war sehr untypisch von ihr. Man hat auch nach ihr gesucht, bis man zu dem Schluß gekommen war, daß sie wohl einfach abgehauen war. Aber das glaubte Larissa nicht. Saria würde sie nie im Stich lassen.
"Ich weiß es nicht, wo sie ist", antwortete sie.
"Ich fürchte, wir können nicht auf sie warten, Larissa", sagte Praiodan ohne näher darauf einzugehen, beruhigte sie aber mit einem Lächeln.
"Larissa, ich verspreche dir, wenn du mit mir gehst, wirst du nie mehr vor etwas Angst haben müssen. Ich kann dir helfen, daß du in Zukunft deinen eigenen Weg gehen kannst. Du kannst dann auch selbst bestimmen, wen du heiraten wirst. Und Ihr könnt immer mit unserer Unterstützung rechnen. Nun, Larissa, du vertraust mir?"
"Auch den Prinzen?"
"Ihr werdet mit Eurem Charme jeden, den Ihr wollt, verzaubern, Larissa", lächelte Praiodan.
Larissa überlegte und faßte dann schließlich eine Entscheidung. "Also gut, ja. Ich gehe mit Euch."
"Sehr gut. Dann packt Eure Sachen, wir werden heute Abend verschwinden."
In den nächsten Stunden verabschiedete sie sich tränenreich von ihren Freunden (und da wollte sie doch ihre Tränen zurück halten) und Tawil und Obarin versprachen, sie zu besuchen, sobald sie die Schlacht gewonnen hätten; Palinai gab ihr noch einen Brief mit, der für ihre Eltern war und mit Praiodan und diesem Tristan als Eskorte verließ sie das Rudel.
Ich werde zurück kommen, versprach sie sich.
Bis auf ein Ereignis lief die Rückreise ereignislos. Noch in der ersten Nacht - sie musste unter freiem Himmel schlafen! - gab es seltsame Geräusche in der Nacht. Tristan war diesem nach gegangen und in der Dunkelheit verschwunden. Praiodan war ihm kurz darauf gefolgt. Larissa hatte sich, seinen Anweisungen folgend, solange versteckt und einen einfachen Zauber gewirkt, der ihr Versteck verbarg (dieser gelang erst beim zweiten mal), bis er eilig wieder kam und meinte, daß sie jemand verfolgte und Tristan hinterrücks angegriffen wurde. Die darauf folgenden Minuten, Larissa kam es wie Stunden vor, sind sie nur durch die Dunkelheit gerannt, weg von ihrem unbekannten Verfolger. Als sie wieder Zeit zur Erholung hatten, fragte sie was mit Tristan geschehen war. Praiodan hatte sie nur in den Arm genommen, aber nicht geantwortet. Eine Antwort war nicht nötig.
"Du wirst nie wieder Angst haben müssen", war das einzige das er sagte.
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