Geschichten:Die Samen Argareths – Der Altar der heiligen Blutulme
Burg Silz, Grafschaft Waldstein, 20. Praios 1046 BF:
Der Landvogt führte die Gruppe in Richtung des Portals des Palas der Burg. Ebendieses Portal zeigte beim näher kommen das kunstvoll gearbeitete Relief einer Blutulme. Die steinernen Abbilder der mythischen Elfenkönige Simia und Orima, rechts und links vom Portal wirkten nahezu lebensecht. Es schien, als würden die Augen der beiden Hochelfen die vor das Portal Tretenden mustern. Wie von Geisterhand öffnete sich das schwere, zweiflügelige Tor und lud zum Eintreten ein. Ein langer Säulengang eröffnete sich der Gruppe. Nach wenigen Schritten bog der Landvogt in einen der Treppentürme ab und würde Navariel, Emer, Savertin und Salix in die Katakomben der Burg bringen. Viele Schritt tief führten sie die steinernen Stufen.
Die langen Gänge des scheinbar endlosen Kellergewölbes führten sie schließlich zu einer hölzernen Tür. Das Holz der Tür, das wieder nicht bearbeitet, sondern wie natürlich gewachsen schien, zeigte eine rötliche Ulme, um deren Stamm sich eine Krone wandte. Die hölzerne Tür musste erst kürzlich fertiggestellt worden sein - oder vielmehr war sie relativ frisch gewachsen. Das Holz sah noch sehr jung aus und auch die steinerne Wand um die Tür zeigte Spuren von Bearbeitungen. Womöglich wurde dieser Zugang erst kürzlich gebaut.
Auch diese Tür öffnete sich wie von Geisterhand, als Vallbart vor ihr stand. Mit einer Handbewegung lud er die Gruppe ein, in den vor ihnen liegenden Raum einzutreten.
“Seht selbst!”
Eine Handvoll Fackeln erleuchtete, als sie den ungefähr acht mal acht Schritt großen Raum betraten. In der Mitte des Raumes stand etwas, was wie eine Art Altar aussah. Dieser Altar war aus einem Block schwarzen Stein gehauen und zeigte auf der Vorderseite ebenfalls das Relief einer Blutulme.
Als Emer, Savertin und Salix sich näher umsahen, fielen ihnen die uralten und schon in Teilen etwas verblassten Wandmalereien auf. Die Wand hinter dem Altar zeigte eine große Blutulme. Über der Baumkrone der Schriftzug ‘Argareth regis’. Um den Baum hatte sich eine Gruppe von acht Personen versammelt, die den Baum anzubeten schienen. Die Wand rechts vom Altar zeigte eine entwurzelte Blutulme, die scheinbar ihren angestammten Platz im ehemaligen Herzen des alten Mittwaldes verließ. Die Wand linker Hand zeigte stark verblasst drei Menschen, die einer Elfe auf einem Thron acht Samen übergaben.
Salix zog überrascht die Augenbrauen hoch und begutachtete die Wandmalereien. Mitsamt dem Raum gaben sie ein erhabenes Bild ab. Wenngleich der Perricumer sich fragte, ob all das - ähnlich der Türe - erst vor kurzem errichtet wurde. Doch ein zweiter Blick auf die Wand strafte diese Überlegung jedoch Lüge. Er folgte den Bildern und blieb vor der Baumkrone mit dem Schriftzug stehen. Mit ihr hatte alles begonnen, dachte er sich still und leise. Wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er damals nicht in das Herz des Reiches gereist wäre? Ihm wäre sicherlich einiges entgangen, stellte er mit einem sanften Lächeln fest.
Emer wiederum war so überwältigt von dem Geschehen und der offensichtlichen Vorsehung, dass sie aus dem Stand auf die Knie ging. Beinahe ungläubig schüttelte sie sanft, kaum sichtbar, den Kopf. Die letzten Jahre, all die Entbehrungen und Prüfungen, hatten sie genau hier hergeführt und sie fühlte sich dem, was ihre Mutter das Land oder Herz Garetia nannte, so nah hier. Ein Ort zwischen Wirklichkeit und Sagenwelt, ein mythischer Ort, ein Ort dem man sich mit Haut und Haaren verschreiben konnte. Sie ertappte sich dabei, wie sie beinahe ihr Tuzakmesser gezogen und zum Schwur bereit vor sich aufgestellt hätte. Ihre Augen blickten zu ihren Gefährten, gütig voller Freude, ob es ihnen wohl genauso ging?
Als er damals die versprengten Truppen des Helme Haffax in der Kaisermark gejagt hatte, hatte einer seiner Gefährten immer wieder den gleichen Spruch parat, traue keinen Elfen. Er hatte, wie er auf Nachfrage selbst zugab, nie einen Elfen bis dahin gesehen gehabt, doch hielt es ihn nicht davon ab, diese eine Weisheit nicht nur im Herzen, sondern auch auf der Zunge zu tragen. Ob er nun Elfen traute oder nicht, spielte an diesem Ort jedoch keine Rolle. Dieser Ort war älter als sie, barg eine Wahrheit, die schon derart lang in den Wänden verewigt wurde, dass kein ach wie meisterlicher Intrigant hier seine Fäden ziehen konnte. Die Wahrheit war, die Samen kehrten Heim und sie waren lediglich das Mittel der Wahl gewesen, um dies zu ermöglichen. Zugleich verspürte er jedoch eine unerwartete Bestätigung. Seine Eltern hatten ihm immer von der Verantwortung des Adels gepredigt, dass die Herrschaft über einen Flecken Dere nicht nur ein Privileg ist, sondern vor allem eine Pflicht. Die Pflicht, sich um dieses Land und all seine Bewohner zu kümmern. Das Land war lebendig, es war älter als sie und würde sie auch alle miteinander überdauern. Das Land war wie die Götter selbst, eine Konstante in einer komplexen Formel. Während sie, die Menschen, nur winzig kleine Nachkommastellen waren.
Vallbart führte Emer, Savertin und Salix zum schwarzen Altarstein, Navariel hielt sich unterdessen im Hintergrund, er schien den Raum bereits zu kennen. Der Landvogt deutete auf die Oberfläche des Altars. Dort gruppierten sich acht Vertiefungen sternförmig um das Relief von drei dunkelroten Blutulmenbättern. Bei näherem Hinsehen schien es eher so, als seien die drei Blutulmenblätter in den Altarstein eingelassen.
“Die Hüterin des Waldes, die ihr als Gräfin Allechandriel Quellentanz kennt, sieht es als ihre Aufgabe an, das heilige Erbe Argareths zu schützen. Hier, in den Tiefen unterhalb von Silz, sollen die Samen der heiligen Blutulme ruhen, bis deren Schicksal von der blinden Sehenden offenbart wird. Euch soll dabei eine besondere Rolle zuteilwerden. Ihr seid als Hüter der Samen Argareths auserkoren.”
Salix umrundete den Altar bedächtig und widerstand dem Drang, die Samen hervorzuholen. Hier also sollten Argareths Sprösslinge, welche sie gemeinsam geborgen hatten, verwahrt werden? Und wieder sollte er Hüter einer kostbaren Sache sein, doch dieses Mal fiel ihm dieser Gedanke wesentlich einfacher als vor zwei Götterläufen. Was vielleicht auch damit zusammenhing, dass er dieses Mal die Kostbarkeiten nicht selbst verwahren musste? Er blieb gegenüber den dreien stehen und blickte den Landvogt fragend an, “Hüter? Wir?”, er zog eine Augenbraue hoch und deutete auf seine Gefährten. “Diese Zwei, sicher. Immerhin werden sie sich ihrer Haut erwehren können, sollte es darauf ankommen”. Er ließ seine Blicke kurz auf ihnen und vor allem ihren Schwertgriffen ruhen. Dann wandte er sich wieder Vallbart zu, “doch ich? Wenn man mir eine Klinge unter die Nase hält, kann ich mich zwar in die Klinge stürzen und sie so - zumindest zeitweise - unbrauchbar machen. Doch das war es auch schon”. Ein entschuldigendes Lächeln breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus.
Emer wiederum blieben alle Worte im Halse stecken, so sprachlos war sie ob dieser Offenbarung? Wieder war sie kurz davor auf die Knie zu sinken, Aber alles was sie tun konnte war kaum sichtbar zu nicken. Sie würde diese Aufgabe voller Inbrunst annehmen, was immer sie auch bedeutete. Würde sie dafür hier auf Silz weilen? Und wer war diese erwähnte Blinde Seherin?
“Ich denke nicht, dass wir uns in irgendwelche Klingen stürzen müssen.” Beruhigte Savertin Salix mit einem freundlichen Lächeln. “Nur wenige wissen um dieses Geheimnis…”, fuhr er fort, wobei er sich mit einem fragenden Blick an den Landvogt der Richtigkeit seiner Worte versicherte. “Der allgemein herrschende Nebel der Unwissenheit, in dieser Angelegenheit, genauso wie ein gut sitzender Mantel der Verschwiegenheit, werden der beste Schutz sein, den die Samen haben können. So wir diese Wacht antreten, wäre es wohl angebracht, wenn wir uns bereits früh einen Vertrauten erwählen, der diese Queste, nachdem Golgarie uns ereilte, fortführt.”
Die erwähnte Aufgabe nahm Savertin wie selbstverständlich an und fasste sogleich gleich noch über ihre eigene, allzu endliche Lebensspanne hinaus Pläne ins Auge.
Vallbart nickte Savertin bedächtig zu. “Ihr werdet wandeln im Schatten und mit dem Segen der gekrönten Blutulme. Es ist nicht das Schwert, welches eure Taten führen wird. Auch werdet ihr nicht in Silz verweilen, sondern euch in alle Richtungen des Windes verstreuen. Doch, hier ist euer Anfang und hier wird auch euer Ende sein.” Der Landvogt deutete auf die acht Vertiefungen im schwarz glänzenden Altar. “Offenbart die Samen Argareths und fügt so das Bildnis des Lebens zusammen.” Salix nickte knapp, griff in seine Tasche und holte die kostbaren Samen hervor. So fand ein jeder der acht Samen seinen Platz in einer der Vertiefungen des Altars und es schien, als ob diese mit der Oberfläche des Altars verschmolzen. Zeitgleich erhoben sich die drei dunkelroten Blutulmenblätter mit einem leisen Klacken ein wenig. Vallbart entnahm sie dem Altar und übergab Emer, Savertin und Salix je eines dieser Blutulmenblätter, die aus einer Art versteinertem Holz (Jaspis) gefertigt waren. An der Unterseite war ein feiner Bogen befestigt, sodass die Blutulmenblätter als Brosche tragbar waren. “Dies ist das Zeichen eures Schicksals und sogleich der Schlüssel zu Argareths Erben. Eure Lebensaufgabe wird es sein, diese Schlüssel zu hüten. Sollte euer Ende nahen, werdet ihr ihn weitergeben an eine von euch auserkorene Person. Sollte eure Anwesenheit hier in Silz erforderlich sein, wird mein Sohn Navariel euch auf magische Weise rufen. Er dient uns als Mittler. Findet euch in einem solchen Falle umgehend hier ein!”
Stumm nahm Savertin das Blutulmenblatt entgegen und machte es an seiner Brust fest. Er würde dieses Kleinod fortan wohl immer tragen, bis er es wohl eines fernen Praioslaufes wohl nicht mehr tragen konnte. Seine Neugier ließ ihn allerdings doch eine Frage stellen.
“Ruft Euer Sohn uns oder den Träger des Blutulmenblattes?”
Der großgewachsenen Halbelf mit den schwarzen, halblangen Haaren und den geheimnisvoll amethystfarbenen Augen trat an die Gruppe heran. “So ich euer nurdra, eure Lebenskraft, spüren kann, rufe ich euch. Doch bin ich auch auf besondere Weise mit diesen drei Blutulmenblättern verbunden, sodass ich auch den Träger zu rufen vermag.” Die Stimme des jungen Feytala erklang sanft und angenehm. “Nur wenn alle drei Blätter sich auf diesem Altar vereinen, gibt dieser die Samen wieder frei.”
Emer… war… sprach… los. Wie in Trance nahm sie alles nur noch gedämpft wahr und mit einem großen Gefühl der Ehre und Entrückung auch das Blatt an. Sie würde all dies erst später verarbeiten können.
Vorerst rettete sich Savertin mit schlichter Rationalität über die Situation. Es würde vermutlich einiges an Zeit bedürfen, um alles richtig zu verarbeiten und sich der neuen Lage, in der sich alle Drei fortan befanden, einschätzen zu können. Denn auch wenn die Gräfin sie zu den Hütern der acht Samen erkoren hatte und es die Anwesenheit aller drei Blätter bedurfte, um wieder an die Samen heranzukommen, so war dennoch unklar, ob oder wann ein solcher Ruf kommen mochte.
Salix nickte deutlich gefasster, während er das Blatt, neben der Fuchsfibel an seiner Brust, anheftete. Diese Aufgabe würde sich hervorragend mit der anderen ergänzen und jetzt wo er darüber nachdachte, kam er zu dem Entschluss, dass sie ihn sicherlich nicht zufällig ausgewählt hatte. Der Blick des Perricumers richtete sich auf den Landvogt, “so sei es! Für das unteilbare Land, für Argareth, für die gerechte Herrschaft und unseren Großfürsten”. Gedanklich fügte er noch ‘für den Bund von Korgond’ hinzu und ein zuversichtliches Lächeln breitete sich auf seinen Gesichtszügen aus.
Emer blickte - aus ihrer Entrückung gerissen - daraufhin kurz erstaunt zu Salix, diese Worte hätten auch von ihrer Mutter stammen können, das würde sie sich merken. Vorerst nickte sie nur, führte das Blatt in der geballten Faust zum Herzen und bekräftigte damit nun auch ihren Schwur.
“Nun ist es vollbracht, Hüter der Samen Argareths”, sprach Vallbart mit Freunde in seiner Stimme. “Es steht euch frei, wieder in den Debattierkreis zurückzukehren”, dabei blickte der Landvogt vor allem Emer, “oder euch auf eure Gästequartiere zurückzuziehen. Morgen wird euch die Gräfin empfangen, sie ist noch auf einem Ausritt im Reichsforst.”
Savertin war sich nicht sicher was er als nächstes tun sollte. Der Debatierkreis entsprach nicht unbedingt der von ihm bevorzugten Art der Unterhaltung, während ihm die frühe Einkehr in sein Quartier als verschenkte Zeit erschien. “Spricht etwas dagegen oder sollte ich etwas beachten, wenn ich mir noch ein wenig den Ort anschaue?”, fragte er deshalb den Landvogt.
“Aber nicht doch, am besten Ihr fragt den Pagen Simariel, er kann Euch hier herumführen.” Vallbart lächelte väterlich.
Emer verharrte noch ein wenig vor dem “Altar”, stand dann aber auf nickte Vallbart zu und machte sich daran in den Innenhof zurückzukehren, zum Debattierkreis. Sie warf noch einen kurzen Blick auf die Szenerie und ihren Gefährten, ließ die Szenerie auf sich wirken.
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